Leben, Blog & Bücher

Photo: (c) Vera Prinz

Als Literaturblogger darf ich hin und wieder Interviewfragen beantworten. Dabei mag ich es besonders, wenn Fragen gestellt werden, die auf den ersten Blick den Eindruck erwecken, sie seien einfach zu beantworten; die sich dann aber als viel kniffliger herausstellen, wenn man beginnt, sich Gedanken über sie zu machen. Ein schönes Beispiel dafür ist das Interview, das Janine Rumrich für ihren Literaturblog Frau Hemingway mit mir geführt hat – es ging dabei um das Bloggen, um Bücher und um das Leben. Und wie alles miteinander zusammenhängt. Das Interview liegt nun schon einige Jahre zurück, es stammt aus dem Januar 2019. Da es zur Zeit online nicht abrufbar ist, da mir die Fragen so gut gefallen haben und da ich die meisten Antworten heute genau gleich formulieren würde, gebe ich es hier in Auszügen wieder; »Leben, Blog & Bücher« hat Janine alias Frau Hemingway diesen Teil genannt. Als Bonustrack gibt es ein paar zusätzliche Buchtipps.

Frau Hemingway: Wie bist du derjenige geworden, der du bist? 

Was für eine spannende Frage zum Einstieg. Bei der Beantwortung hilft mir ein Zitat aus einem meiner Lieblingsbücher, nämlich die letzten beiden Sätze aus Sven Regeners »Herr Lehmann«. Dort heißt es: »Ich gehe erst einmal los, dachte er. Der Rest wird sich schon irgendwie ergeben.« Das ist für mich die perfekte Lebensphilosophie, denn vom Planen halte ich nicht viel. Die typische Vorstellungsgesprächsfrage »Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?« finde ich vollkommen absurd, denn woher soll ich wissen, was in fünf Jahren sein wird?! Vieles in meinen Leben hat sich irgendwie ergeben, weil ich es nicht geplant, aber auch, weil ich es dann einfach gemacht habe. Ehrlicherweise muss ich aber zugeben, dass es dabei auch Zeiten gab, in denen ich das Gefühl hatte, mit dem Rücken an der Wand zu stehen und nicht weiter zu wissen. Aber das ging vorbei – hier hat mir oft auch ein anderer Text geholfen, er stammt von Franz Kafka: »Solange du nicht zu steigen aufhörst, hören die Stufen nicht auf, unter deinen steigenden Füßen wachsen sie aufwärts.«

Was zeichnet dein Leben aus? 

Es ist schwierig, sich selbst zu charakterisieren. Ich würde sagen, es ist eine Mischung aus Neugier auf Unbekanntes und dem Bewahren von Bewährtem. Passt ja auch irgendwie zu meinem Blog: Mit den Mitteln der digitalen Kommunikation gedruckte Bücher präsentieren.

Was wolltest du eigentlich als Kind werden? 

Als Kind wahrscheinlich das Übliche, Feuerwehrmann, Lokführer, Privatdetektiv mit der Yps-Ausrüstung oder so etwas in der Art. Mit etwa sechzehn wurde es dann konkreter, ich hatte den Plan, die Schule abzubrechen, eine Kochlehre zu machen und dann nach Australien auszuwandern. Koch ist eine der Tätigkeiten, die damals dort als Einwanderungsberuf anerkannt waren – was ich aus den Unterlagen wusste, die ich mir von der australischen Botschaft in Bonn angefordert hatte. Das war 1985 und meine Eltern waren not amused. Naja, es ist dann irgendwie alles anders gekommen. Aber ein paar Jahre später war ich dann tatsächlich eine Weile in Australien unterwegs. 

Wie kamst du zum Buchbloggen? 

Das wurde ich schon oft gefragt und eine ganz konkrete Antwort darauf gibt es eigentlich nicht. Die Domain »Kaffeehaussitzer« hatte ich schon vor etlichen Jahren registriert, weil mir das Wort so gut gefiel und ich dachte, dass man damit irgendwann mal etwas anfangen könnte. 2013 habe ich mich aus Neugier mit WordPress beschäftigt und dann kam eines zum anderen; der Name war ja schon da, über Bücher reden schon seit meiner Buchhändlerzeit eine meiner liebsten Beschäftigungen, ebenso das Lesen in Cafés und das Photographieren – plötzlich hat das dann alles gepasst. Ein schönes Beispiel, dass es eben nicht immer einen Plan braucht, um etwas Neues anzugehen, sondern dass einzelne Aspekte des Lebens sich neu zusammenfügen können. Wenn man sie lässt.  

Was war das schönste Erlebnis für dich als Buchblogger?

Es gab einige Highlights in meinen bisherigen Blogger-Leben, etwa die Tätigkeit im Festivalbloggerteam bei Zürich liest, ein wunderbares Suhrkamp-Wochenende in Berlin, die Auszeichnung mit dem ersten Buchblog-Award auf der Frankfurter Buchmesse, die Einladung zur Pressereise nach Norwegen  und die Berufung in die Jury für den Deutschen Buchpreis 2018. Das waren alles unvergessliche Erlebnisse, die ich nicht missen möchte. Aber es war eine kurze E-Mail, die für mich die schönste Bestätigung überhaupt war: Jemand schrieb mir, dass er durch die regelmäßigen Besuche auf meinem Blog seine Freude am Lesen und an den Büchern wiedergefunden hätte. Da dachte ich, wow, alles richtig gemacht.  

Was sollte ein Buchblogger deiner Meinung nach niemals tun?

Niemals würde ich in meinen Blog Affiliate-Links zu Amazon einbauen. Diese Firma ist in meinen Augen das Sinnbild für Raubtier-Kapitalismus in Reinform und steht beispielhaft für vieles, was wirtschaftlich und gesellschaftlich bei uns gerade schiefläuft – vom Versand-Wahnsinn mit seinen ökologischen Folgen bis hin zur Destabilisierung der Gesellschaft durch das Wegbrechen des Mittelstands und der Infrastruktur vor Ort. Als Buchblogger liebe ich es, in den Buchhandlungen meines Vertrauens immer wieder Unerwartetes zu finden. Mit der Verwendung von Amazon-Links hätte ich das Gefühl, meine Seele zu verkaufen. Überhaupt ist das ein Thema, das mir sehr wichtig ist: Jede Buchvorstellung endet mit dem Hashtag #SupportYourLocalBookstore und der Beitrag »Wo ich Bücher kaufe. Und wo nicht«“ ist einer der meistgelesenen Texte auf Kaffeehaussitzer.

Für deine Kolumne »Fundstücke aus den Literaturblogs« hast du jeden Monat die Buchblogosphäre im Blick. Haben sich die Buchblogger über die Zeit verändert? 

Diese monatliche Kolumne auf BuchMarkt.de gibt es nun seit August 2016. Von Beginn an standen darin nicht die Buchbesprechungen auf den unterschiedlichen Blogs im Vordergrund, sondern die Texte, die sich mit übergreifenden Themen beschäftigen – egal, ob sie sich auf die Buchbranche oder auf gesellschaftliche Veränderungen beziehen. Viele Blogs sind kritischer geworden, viele Beiträge politisch engagierter. Das ist vor dem Hintergrund der weltweit rückwärtsgewandten Entwicklungen sehr zu begrüßen, denn es kommt auf jede Stimme in der Öffentlichkeit an. 

Welche Bücher empfiehlst du gerade besonders oft? Warum? 

In den letzten Monaten sind mir vier Bücher besonders wichtig gewesen. In »Der Platz an der Sonne« erschafft Christian Torkler eine gespiegelte Welt, in der Mitteleuropa aus korrupten, halbzerstörten Dritte-Welt-Staaten besteht und sich die Menschen auf die gefährliche Reise zu den wohlhabenden afrikanischen Staaten machen. Und viele die Suche nach einer besseren Zukunft nicht überleben. Das klingt plakativ, ist aber mit einer solchen Detailtreue umgesetzt, dass einem klar wird, dass niemand einfach so seine Familie und sein Land verlässt. Und plötzlich sind die Menschen in den Booten keine Fremden mehr, sondern wir selbst. 

Hannes Köhler beschäftigt sich in seinem Roman »Ein mögliches Leben« mit einem dieser Momente, in dem für das Leben ein ganz anderer Verlauf möglich gewesen wäre, wenn man auf sein Herz gehört hätte und nicht auf seinen Verstand. Das alles eingebettet in einen historischen Kontext, der uns Lesern einen wenig erforschten Ausschnitt der Geschichte des 20. Jahrhunderts näherbringt. 

»Töchter« von Lucy Fricke ist ebenfalls ein Buch, das mich sehr begeistert hat. Ein wahnwitziges Roadmovie mit viel schrägem Humor, sarkastischer Selbstironie und ein wunderbarer Roman über das Älterwerden und das Verhältnis zur eigenen Familie.  

 »Was dann nachher so schön fliegt« schildert den Aufbruch eines jungen Menschen in das Leben, hin- und hergerissen zwischen seinem Zivildienst und dem Wunsch, als Schriftsteller in der Literaturwelt durchzustarten. Das Buch hat mich zurückkatapultiert in die Zeit als Zwanzigjähriger, eine Zeit, die mich geprägt hat, wie kaum eine andere. Diese Ungewissheit, die Ahnungslosigkeit von der Welt, die Rastlosigkeit eines jungen Erwachsenen, der nicht weiß wohin mit sich – diese Gefühlswelt hat Hilmar Klute in seinem Roman grandios eingefangen.

Nachtrag, Dezember 2022: Das Interview ist – wie eingangs erwähnt – schon ein paar Jahre her, aber die vier genannten Bücher sind nach wie vor unbedingte Leseempfehlungen von mir. Seitdem sind etliche Werke hinzu gekommen, die mich begeistert haben; beispielhaft seien »Der Wilde« von Guillermo Arriaga, »Max, Mischa & die Tet-Offensive« von Johan Harstad, »Zuhause« von Daniel Schreiber,  »Der Distelfink« von Donna Tartt, »Long Bright River« von Liz Moore, »Propaganda« von Steffen Kopetzky, »Ritchie Girl« von Andreas Pflüger, »Gesammelte Werke« von Lydia Sandgren oder die Thomas-Cromwell-Trilogie von Hilary Mantel genannt – um nur ein paar zu erwähnen.

Und was ich ganz aktuell allen Literaturinteressierten an Herz legen möchte ist die von Sandra Kegel herausgegebene Anthologie »Prosaische Passionen – die weibliche Moderne in 101 Short Stories« – eine Einladung zu einer literarischen Zeitreise, die es so noch nie zuvor gegeben hat.

#SupportYourLocalBookstore

3 Antworten auf „Leben, Blog & Bücher“

  1. Wunderbar, das Interview! Und die Antworten z.T. auch, ebenso überraschend wie inspirierend.
    Apropos „inspirierend“: Und schon habe ich wieder ein Buch entdeckt, das ich mir unbedingt näher ansehen möchte, schließlich [Buch-]blogge ich ja auch (unter http://www.pendeln.mobi), allerdings mit dem Schwerpunkt auf Medien, bei denen es ums Unterwegs-Sein, Pendeln, Reisen, Heimatsuchen, … geht. Da passt ein Roadmovie wie „Töchter“ natürlich sowas von hinein … Sehe gleich mal zu, dass ich da rankomme.
    Weiterhin gute Fahrt, gute Bücher — und guten Kaffee! PG alias Die Passagierin

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert