Im letzten Blogbeitrag ging es um das Buch »Die Entscheidung« von Jens Bisky. Es ist ein großartiges Werk, in dem das Scheitern und das blutige Ende der Weimarer Republik geschildert werden. Unzählige darin aufbereitete historische Details ergeben ein lebendiges Bild dieser Jahre, die unsere Welt geprägt haben, bis heute. Und es wird dabei klar, dass die faschistische Terrorherrschaft des »Dritten Reichs« kein Betriebsunfall der Geschichte war, sondern bis zu einem bestimmten Zeitpunkt hätte verhindert werden können. Angesichts der Zunahme dumpfen rechtsradikalen Denkens und angesichts eines weltweit zu beobachtenden politischen Rechtsrucks hat das Buch einen aktuellen Bezug, der erschreckend ist. Besonders vor dem Hintergrund der Geschichtsvergessenheit des momentanen CDU-Kanzlerkandidaten, der aus wahlkampftaktischen Gründen den Schulterschluss mit Rechtsextremen sucht. Wie naiv kann man sein? Und wie wenig kann man aus der Geschichte gelernt haben?
Beendet hatte ich die Buchvorstellung mit den Worten: »Vielleicht sollte ich Herrn Merz dieses Buch schicken. Und am besten beginnt er die Lektüre mit dem letzten Satz: ›Wer heute auf das Ende Weimars zurückblickt, weiß: Es ist politisch leichtfertig, nicht mit dem Schlimmsten zu rechnen.‹«
Und genau das habe ich nun gemacht: Herrn Merz dieses Buch geschickt. Der Rowohlt Verlag hat mir freundlicherweise ein Exemplar dafür zur Verfügung gestellt, das ich nun per Post auf den Weg nach Berlin gebracht habe. Zusammen mit einem Brief, den ich hier wiedergebe.
Friedrich Merz MdB
Deutscher Bundestag
Platz der Republik 1
11011 Berlin
Köln, 8. Februar 2025
Sehr geehrter Herr Merz,
mit diesem Schreiben übersende ich Ihnen das Buch »Die Entscheidung« von Jens Bisky. Der Untertitel verrät, um was es geht: Deutschland 1929 bis 1934. Es sind diese vier Schicksalsjahre unserer Geschichte, die der Autor detailliert und mitreißend zugleich beschreibt. Nun sind Sie mitten im Wahlkampf und werden wohl kaum Zeit haben, die 580 Seiten dieses herausragenden Werks zu lesen. Aber vielleicht – und ich würde es mir wünschen – finden Sie die Gelegenheit, sich den letzten Satz anzuschauen, der da lautet:
»Wer heute auf das Ende Weimars zurückblickt, weiß: Es ist politisch leichtfertig, nicht mit dem Schlimmsten zu rechnen.«
Ich habe das Buch vor einigen Wochen gelesen, aber als ich mit Entsetzen gesehen habe, wie Sie im Bundestag einen Schulterschluss mit einer rechtsradikalen Partei gesucht haben – denn anders kann man es kaum nennen – machte dies den Text gleich um Längen aktueller, als er ohnehin schon ist. In meinen Literaturblog Kaffeehaussitzer habe ich das Buch vorgestellt. Einen kurzen Absatz aus der Besprechung erlaube ich mir, hier zu zitieren:
»Ja, ich weiß, Weimar ist nicht die Bundesrepublik, die AfD ist nicht die NSDAP. Aber trotzdem: Viele verschiedene Entwicklungen haben zwischen 1929 und 1934 gemeinsam zum Ende der Demokratie beigetragen. Doch ein wichtiger, ein entscheidender Punkt war das Zusammengehen der konservativen Parteien mit den Rechtsradikalen – um die SPD und alles was in irgendeiner Weise als »links« galt, aus der Regierung zu drängen und davon fernzuhalten. Und wenn nun, Anfang 2025, der Kanzlerkandidat der CDU beginnt, mit einer rechtsradikalen, faschistoiden Partei zu paktieren, dann bedeutet es entweder, dass er aus der Geschichte nichts gelernt hat. Oder dass es ihm egal ist. Die AfD ist kein politischer Gegner, sondern ein Feind unserer Gesellschaft, unserer Freiheit und unseres Landes. Und mit einem Feind sucht man keinen Schulterschluss, man bekämpft ihn.«
Es ist mir ein Anliegen, Ihnen dies mitzuteilen. Denn ich verstehe Ihr Handeln in keinster Weise. Es gibt zahlreiche dringende Themen, die uns Bürgerinnen und Bürgern auf den Nägeln brennen. Da wäre die dramatisch kaputtgesparte Infrastruktur. Da wäre der verlorene Anschluss an den digitalen Wandel unserer Welt. Da wäre die mangelhafte Verteidigungsbereitschaft unseres Landes angesichts eines skrupellosen Aggressors im Kreml. Da wäre die katastrophale Lage auf dem Wohnungsmarkt. Da wären marode Schulen, ein schon längst nicht mehr zeitgemäßes Bildungssystem, das mit viel zu wenig Mittel auskommen muss. Da wäre ein kommender Zusammenbruch der Pflegeinfrastruktur, auf den wir angesichts einer alternden Gesellschaft unaufhaltsam zusteuern. Und da wären in der Tat immense Probleme bei unserer Migrationspolitik – die man aber nicht löst, in dem man rechtsextremes Denken bedient. Denn dadurch entstehen Fronten zwischen den demokratischen Parteien, die gemeinsam verabschiedete und rechtskonforme Lösungen unmöglich machen.
Doch um noch einmal auf das Buch »Die Entscheidung« zurückzukommen, das ich Ihnen wirklich ans Herz lege: Auf Seite 574 gibt es eine weitere Textstelle, die hier zitieren möchte.
»Im Jahr 1932 hing das Schicksal der Republik von den Entscheidungen einiger weniger ab, denen es an politischer Urteilskraft mangelte. Das lag zum einen an ihrer Überzeugung, qua Herkunft und gesellschaftlicher Position zur Führung des Landes berufen zu sein. Es lag auch an ihrer Weigerung, die Nation, in deren Namen sie handelten, als eine in sich vielfältige, von Interessengegensätzen geprägte zu begreifen.«
Ich schreibe Ihnen nicht und sende Ihnen dieses Buch nicht zu, um Sie zu belehren oder zu düpieren. Ich schreibe Ihnen in aufrichtiger Sorge um unser Land, um unsere Demokratie und unsere Zukunft.
Ich wünsche Ihnen eine gute Lektüre.
Mit freundlichen Grüßen
Uwe Kalkowski
PS: Wenn hunderttausende Menschen gegen Rechtsextremismus demonstrieren, hat das nichts mit links sein zu tun. Sondern mit Anstand.