Nebel, Ruß und Druckmaschinen

Die Buecher, der Junge und die Nacht

Das Schreiben jedes Blogbeitrags beginnt mit einem kleinen Ritual: Das Buch, um das es gehen soll, liegt auf dem Tisch vor mir und ich denke darüber nach, was genau mich daran beeindruckt, begeistert, was Spuren im Gedächtnis hinterlassen, was dieses eine Buch für mich besonders gemacht hat. Wie ich das in Worte fassen kann. Und vor allem, wie ich damit beginne. Beim Roman »Die Bücher, der Junge und die Nacht« von Kai Meyer starte ich mit einem Exkurs, mit einem Abstecher in das alte Leipzig, genauer gesagt, in das Graphische Viertel, denn dort spielt sein Roman zu großen Teilen. Und am Ende des Beitrags gibt es ein Interview mit dem Autor zur Wahl seines Schauplatzes. Die Bilder in diesem Beitrag stammen von meinen Leipziger Streifzügen, auf Spurensuche in einem verschwundenen Stadtbezirk. „Nebel, Ruß und Druckmaschinen“ weiterlesen

Mehr lesen, wissen, können

Mehr lesen, wissen, können: Das Leipziger Buchmaennchen

»Mehr lesen, wissen, können« – eine Weile kam ich fast jeden Tag an diesem Satz vorbei. Er gehört zu einer alten DDR-Leuchtreklame, die an der Fassade des LKG-Gebäudes in Leipzig hängt. Ein stilisierter Mensch reckt froh ein Buch in die Luft und darunter ist jener Slogan zu lesen. Die Leuchtreklame stammt aus dem Jahr 1964; einer Zeit, in der diese Art der Werbung sich in der DDR zu einer eigenen Kunstform entwickelt hatte.

Die Leipziger Kommissons- und Großbuchhandelsgesellschaft (LKG) war die wichtigste Buchauslieferung in der DDR und trug entscheidend zur Versorgung der Bevölkerung mit dem gedruckten Wort bei. Als ich Ende der Neunzigerjahre in Leipzig studierte, lag das wuchtige Gebäude an meinem Weg in die Innenstadt, wo ich einen Nebenjob als Buchhändler hatte. Zu diesem Zeitpunkt leuchtete die Lichtwerbeanlage – so die offizielle Bezeichnung – schon lange nicht mehr, das Areal stand leer und verfiel; ein Schicksal, das es mit zahlreichen Leipziger Industriebauten teilte. „Mehr lesen, wissen, können“ weiterlesen

Abhandengekommen

Demian Lienhard, Ich bin die, vor der mich meine Mutter gewarnt hat

In Köln gibt es die Redewendung: »Beim ersten Mal haben wir es ausprobiert, beim zweiten Mal ist es schon Tradition und beim dritten Mal Brauchtum.« Allerdings geht es jetzt nicht um Köln, sondern um Leipzig. Genauer gesagt um die Wohnzimmerlesung anlässlich der Leipziger Buchmesse. Diese Lesung fand dieses Jahr zum zweiten Mal statt, ist nach obiger Definition also schon eine Tradition. Und genau so hat es sich angefühlt, etliche der letztjährigen Besucher waren wieder dabei, aber auch einige neue Gesichter. Zu Gast war dieses Jahr Demian Lienhard mit seinem Roman »Ich bin die, vor der mich meine Mutter gewarnt hat«. Ein Buch, dass den Lesern die dramatische Situation im Zürich der Achtzigerjahre nahebringt. Sehr nahe. „Abhandengekommen“ weiterlesen

Der Sessel

Der Sessel. Ein Beitrag für das Lesemagazin KUDU.

Mitten im Raum stand der Sessel. Ein wuchtiges Ding, das dazu einlud, es sich darin mit einem Buch bequem zu machen. Der Fußboden war übersät mit Mörtelbrocken und Glasscherben, die Wände waren vollgesprüht mit Graffiti, in einer Ecke lagen angekohlte Holzstücke und durch die eingeschlagenen Fenster wehte ein eiskalter Wind. Und doch ratterte beim Anblick dieses Sessels sofort das Kopfkino los. Wie mochte er wohl an diesen Platz gekommen sein? Aber bevor ich weitererzähle, sollte ich zuvor die Frage beantworten, wo wir eigentlich gerade sind. Und was ich da mache. „Der Sessel“ weiterlesen

Literatur im Wohnzimmer

Mareike Fallwickl: Dunkelgruen, fast schwarz

Die Leipziger Buchmesse hat dieses Jahr für mich bereits im Januar begonnen. Und zwar während der Lektüre des Romans »Dunkelgrün, fast schwarz« von Mareike Fallwickl. Warum das so war und wie es zu einer großartigen Wohnzimmerlesung in der ehemaligen Dienstbotenwohnung einer Leipziger Gründerzeitvilla kam, möchte ich hier erzählen.

Aber eines nach dem anderen: Ich hatte das Buch im Dezember als Vorabexemplar zugesandt bekommen – so wie viele meiner Bloggerkolleginnen und -kollegen. Schließlich ist die Autorin ebenfalls Literaturbloggerin und wir sind schon seit einigen Jahren vernetzt, kennen und schätzen uns, sehen uns auf den Buchmessen oder bei Verlagsveranstaltungen. Und auf ihrem Blog Bücherwurmloch finde ich regelmäßig Buchtipps, die genau meinen Literaturgeschmack treffen. Man kann sich also vorstellen, dass ich sehr gespannt auf ihren Debütroman war. Damit war ich nicht alleine. Anfänglich stand die Frage im Raum, ob es möglich ist, ein Buch objektiv zu bewerten, wenn man die Autorin kennt und mag – aber diese Bedenken verflüchtigten sich schon nach ein paar ersten Leseminuten, so sehr hat mich der Text von Beginn an fasziniert und mich alles andere um mich herum vergessen lassen. „Literatur im Wohnzimmer“ weiterlesen

Druckerschwärze und Digitalverlage

Leipzig: Museum fuer Druckkunst

Vier Jahre lang, von 1997 bis 2001, habe ich in Leipzig gelebt. Und obwohl diese Zeit inzwischen schon eine ganze Weile her ist, obwohl sich die Stadt seitdem sehr verändert hat, fühlt es sich auch heute jedes Mal wie Heimkommen an, wenn ich im riesigen Leipziger Hauptbahnhof aus dem Zug steige. Wie immer im März voller Vorfreude auf die trubeligen Tage der Buchmesse. »Manchmal gibt es so Orte, an denen alles irgendwie zusammenläuft. Für mich gehört Leipzig definitiv dazu. Immer wieder.« Das hatte ich vor einem Jahr in einem Buchmessebericht geschrieben, und auch dieses Jahr verknüpften sich die Eindrücke zu einem inspirierenden und bereichernden Erlebnis.

Das wird jetzt aber trotzdem kein Messerückblick, denn da gibt es bereits die lesenswerten Texte auf lustauflesen.de, glasperlenspiel13 oder buchrevier. Bei vielen der von meinen geschätzten Bloggerkollegen geschilderten Begebenheiten war ich mit dabei, so dass ich sie hier nicht ein weiteres Mal beschreiben, sondern stattdessen über eine Art Zeitreise berichten möchte, die ich am Messesamstag erlebt habe. Und die meine Wahrnehmung ein großes Stück verändert hat. „Druckerschwärze und Digitalverlage“ weiterlesen

Nachbuchmesseblues

Leipziger Buchmesse

Seit 1998 war ich jedes Jahr – mit nur einer Ausnahme – auf der Leipziger Buchmesse. Mal während des Studiums als Standbetreuer, mal beruflich, mal privat, aber immer sind die paar Tage im März ein Highlight im Jahresablauf. So gepackt voll mit persönlichen Begegnungen waren sie aber selten und ich führte eine Menge interessanter und anregender Gespräche; so viele, dass man sich an das Ankommen im Alltag erst wieder gewöhnen muss. Ein richtiger Nachmesseblues eben.

Seit Kaffeehaussitzer im Juni 2013 online gegangen ist, bin ich im regen Austausch mit anderen Literaturbloggern. Es ist ein sehr angenehmes Netzwerk Gleichgesinnter, dass da entstanden ist, die Kommunikation findet über Twitter, Facebook und unsere Blogs statt. Nur gesehen hatte ich von all diesen Menschen im realen Leben noch nie jemanden. Nun, dies hat sich jetzt geändert. Und wie. „Nachbuchmesseblues“ weiterlesen

Ein jüdisches Familientreffen. Unerwartet

Jüdisches Familientreffen

Die Leipziger Buchmesse steht vor der Türe. Wie jedes Jahr freue ich mich auch dieses Mal wieder auf das Treffen mit Freunden und alten Bekannten, auf das Kennenlernen neuer Menschen und auf unerwartete Begegnungen. Unerwartet, wie bei der letztjährigen Messe. Denn man macht in seinem Leben oft die Bekanntschaft völlig unterschiedlicher Personen, die aber doch in irgendeinem Zusammenhang miteinander stehen. Letztes Jahr bin ich durch die Leipziger Buchmesse drei jüdischen Familien begegnet. An drei aufeinanderfolgenden Tagen. Völlig unterschiedlich und vor allem komplett unerwartet. „Ein jüdisches Familientreffen. Unerwartet“ weiterlesen

Spurensuche im Graphischen Viertel

Durch das Graphische Viertel: Der Leipziger Gutenbergweg

Man stelle sich eine Stadt vor. Eine Stadt mit weit über 700.000 Einwohnern. Eine Stadt, in der Kultur, Handel und Industrie in einer perfekten Symbiose existieren. Eine Stadt mit mehr als unzähligen Buchhandlungen, Verlagen und Druckereien. Eine Stadt als Zentrum der Medienproduktion schlechthin. Eine Buchstadt. Wohlhabend. Lebendig. Innovativ. Verschwunden im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs. Geblieben ist ein Mythos. „Spurensuche im Graphischen Viertel“ weiterlesen

Stolz noch im Verfall

Marc Mielzarjewicz: Lost Places Leipzig

Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts war Leipzig eine der wichtigsten deutschen Industriestädte und einer der bedeutendsten europäischen Handelsplätze. Industrie und Handel, beides prägte das Stadtbild der Gründerzeit und der folgenden Jahrzehnte. Da Leipzig im 2. Weltkrieg »nur« zu einem Drittel zerstört wurde, sind viele Spuren dieser Zeit noch sichtbar, auch wenn die sozialistische Planwirtschaft fast genauso verheerende Auswirkungen hatte wie der Krieg. „Stolz noch im Verfall“ weiterlesen

Leipzig, im Herbst

Andreas Platthaus: 1813 - Die Voelkerschlacht von Leipzig und das Ende der alten Welt

Schon wieder Leipzig. Diese Stadt erwähne ich oft, dabei habe ich dort nur vier Jahre gelebt. Aber in dieser Zeit ist sie mir ans Herz gewachsen, bis heute. Damals wohnte ich eine Weile im Stadtteil Stötteritz in einem unsanierten Altbau. Der schönste Platz in der Wohnung war der verglaste Balkon. Direkt davor, nur ein paar hundert Meter entfernt, thronte das Völkerschlachtdenkmal wie ein gewaltiger Steinklotz über den Dächern der Stadt. Ich saß dort oft mit einem Milchkaffee und schaute auf diese Szenerie.

Als geschichtlich Interessierter wusste ich, was es mit der Völkerschlacht auf sich hatte, habe mir aber bis vor Kurzem keine weiteren Gedanken über die damaligen Ereignisse gemacht. Mit dem Buch »1813« von Andreas Platthaus hat sich das geändert. »Die Völkerschlacht und das Ende der alten Welt« lautet der Untertitel: Wie wichtig für den Lauf der europäischen Geschichte die Geschehnisse waren, die sich vor exakt 200 Jahren um und in Leipzig abspielten, ist mir durch dieses Buch klar geworden. „Leipzig, im Herbst“ weiterlesen

Leipziger Träumerei

Clemens Meyer: Als wir traeumten

Als sich 1990 die DDR einfach in Luft auflöste, blieben als Vermächtnis des real existierenden Sozialismus ganze Ruinenfelder einst prächtiger Städte und zahllose Menschen mit ungewissen Zukunftsaussichten zurück. An manchen Orten, wie etwa in den Leipziger Stadtteilen Volkmarsdorf, Reudnitz oder Stötteritz sah es aus wie kurz nach dem Krieg: Zerbröselnde Hausfassaden, Risse in den Wänden, kaputte Straßen, alles Grau in Grau und darüber der Geruch der Braunkohleöfen, mit denen ein Großteil der Leipziger Wohnungen geheizt wurde. Dazu das Rattern der 40 Jahre alten Straßenbahnen aus tschechischer Produktion, die damals für den gesamten Ostblock gefertigt worden waren. Das 2006 erschienene Buch »Als wir träumten« von Clemens Meyer ist die Geschichte von vier Freunden, die im Leipzig der Nachwendezeit als junge Erwachsene genau dort zu Hause sind. „Leipziger Träumerei“ weiterlesen