Wie ich Herrn Lehmann traf

Sven Regener: Herr Lehmann | Kaffeehaussitzer

DAS Lieblingsbuch gibt es nicht. Aber »Herr Lehmann« von Sven Regener kommt dem schon sehr nahe. Alles fing damit an, als ich im Frühjahr 2001 Post bekam. Es war ein Bücherpäckchen von einer Freundin, die zu diesem Zeitpunkt gerade beim Eichborn-Verlag arbeitete. Darin war ein Leseexemplar von »Herr Lehmann« und ein Kärtchen, auf dem stand, das mir dieses Buch bestimmt gefallen würde. Das Problem: Im Frühjahr 2001 und besonders gerade zu dem Zeitpunkt, als mir dieses Buch in den Schoß fiel, war ich mitten in der heißen Phase meiner Diplomarbeit und hatte eigentlich absolut gar keine Zeit zum Lesen. Was solls. Neugierig habe ich also »Herr Lehmann« aufgeschlagen. Am sehr späten Abend habe ich es dann wieder zugeklappt und hatte es in einem Rutsch durchgelesen. Es war Freundschaft auf den ersten Blick und ich war begeistert. So, dass ich es kurz danach – immer noch eigentlich in der heißen Phase meiner Diplomarbeit – gleich noch einmal gelesen habe. Und seitdem immer wieder, mindestens einmal im Jahr. Jedes Jahr, bis heute. Später sind dann noch die anderen Bände der »Lehmann-Trilogie« dazu gekommen, erst »Neue Vahr Süd«, dann »Der kleine Bruder«. Die fand ich auch fantastisch, viele Szenen in »Neue Vahr Süd« in ihrer Absurdität sogar noch gelungener, aber »Herr Lehmann« ist für mich eines der absoluten Lieblingsbücher geblieben und hätte in einer Liste der fünf Bücher, die man auf eine einsame Insel mitnehmen dürfte, einen festen Platz.

Aber woran liegt das? Bestimmt zu einem großen Teil am Wortwitz Sven Regeners und an den großartig skurrilen Dialogen. Wahrscheinlich aber, weil mir jener Frank Lehmann so durch und durch sympathisch ist. Er läuft in seinem Buch perspektivlos, aber durchaus glücklich durch das Kreuzberg im Jahr 1989, bis seine Welt quasi über Nacht zerbröselt wie die Berliner Mauer. Aber selbst dann bleibt er sich treu: »Herr Lehmann stand da, verkehrsumtost und fühlte sich leer. Er wollte nicht nach Hause, da erwartete ihn nichts außer ein paar Büchern und einem leeren Bett. Vielleicht sollte ich mir doch mal wieder einen Fernseher anschaffen, dachte er. Oder mal Urlaub machen. Oder was ganz anderes anfangen. Man könnte auch noch einen trinken, dachte er, irgendwo. Ich gehe erst einmal los, dachte er. Der Rest wird sich schon irgendwie ergeben.«

Vieles von dem, was ich Anfang der 90er Jahre erlebt habe, erkenne ich in dem Buch wieder. Sich mit irgendwelchen Jobs über Wasser halten, nicht so genau wissen, was man vom Leben eigentlich will, mit Freunden völlig absurde Gespräche in verrauchten Kneipen führen, Enttäuschungen verkraften, viel Spaß haben, sich vage Gedanken über den Sinn des Lebens machen. Und dann irgendwann erst einmal losgehen.

»Herr Lehmann« lässt bei mir eine Zeit im Leben wiederauferstehen, die intensiv war, die anstrengend war, die ich gerne auch ein bisschen verkläre, die ich auf keinen Fall missen möchte und die schon lange her ist. Die Verfilmung mit Christian Ulmen finde ich übrigens sehr gelungen. Jedes Mal wenn ich mir den Film wieder einmal anschaue, muss ich danach unbedingt das Buch lesen. Und beim Lesen des Buches freue ich mich schon wieder auf den Film. Ein Teufelskreis. Wie komme ich da je wieder raus?

Buchinformation
Sven Regener, Herr Lehmann
Eichborn Verlag
ISBN 978-3-8218-0705-8

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4 Antworten auf „Wie ich Herrn Lehmann traf“

  1. Ganz so oft hab ich das Buch noch nicht gelesen, aber mehr als einmal sicher. Der Film lief auch schon öfter auf meinem Bildschirm.
    Bisher habe ich die beiden Folgebände noch nicht gelesen, sie stehen aber schon seit einiger Zeit im Regal.
    Da ich grad Urlaub habe, könnte ich ja…

    1. Neue Vahr Süd ist großartig. Toller Sprachwitz und völlig abgedrehte Szenen…Wenn Du es liest, dann freu Dich schon auf die Colabombe und die Axt in der Tür…

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