Seit mehr als elfeinhalb Jahren schreibe ich hier im Blog Kaffeehaussitzer über Bücher, Literatur und Leseerlebnisse. In dieser Zeit ist der Blog zu einem festen Teil meines Lebens und zu einem virtuellen Zuhause geworden. Wobei die virtuelle und die »reale« Welt sich durch das Bloggen so eng miteinander verzahnt haben, dass diese Unterscheidung nicht mehr notwendig ist. Ein Zuhause also. Eines, das stets für Besucher offen steht. Und in diesem Zuhause sind einige hundert Texte zusammengekommen. Ein paar davon habe ich hier zusammengestellt – als Einladung, um durch die vergangenen Jahre zu stromern und sich auf eine kleine Zeitreise zu begeben. Wer also mag: Viel Spaß beim Flanieren durch eine Blog-Dekade. „Durch ein Blog-Jahrzehnt flanieren“ weiterlesen
Happy Birthday! Herr Lehmann wird 65
Kürzlich bin ich über ein Zitat der Autorin Marie von Ebner-Eschenbach gestolpert. Es stammt aus der 1880 veröffentlichten Novelle »Lotti, die Uhrmacherin« (die laut Wikipedia die erste deutschsprachige Erzählung über eine Handwerkerin ist) und darin lässt sie die Protagonistin sagen: »Ein schönes Buch nicht wiederlesen, weil man es schon gelesen hat, das ist, als ob man einen teuren Freund nicht wieder besuchen würde, weil man ihn schon kennt.« Wunderbar auf den Punkt gebracht, finde ich, denn es gibt so einige Bücher, die ich immer wieder lese und jedes Mal stellt sich dabei eine wunderbare Vertrautheit ein, man beginnt sich auf bestimmte Szenen oder Dialoge zu freuen, entdeckt neue Details und genießt die Sprache. Und manchmal verändert sich auch die eigene Rezeption im Laufe der Jahre – das ist spannend zu beobachten.
Ein Buch erneut zu lesen, ist wie einen Freund zu besuchen: Vermutlich trifft das bei mir auf keinen Roman so sehr zu wie auf »Herr Lehmann« von Sven Regener. Ich habe hier im Blog schon an verschiedenen Stellen über dieses Buch geschrieben und wer hier schon etwas länger mitliest, der weiß, wie wichtig es mir ist. Wahrscheinlich gibt es kein anderes Werk, in dem ich so viel von mir selbst, so viel eigenes Lebensgefühl der Dekade zwischen dem zwanzigsten und dem dreißigsten Geburtstag wiederfinde. In die Hände bekommen habe ich das Buch im Jahr 2001 und es hat mich beim ersten Mal – kurz vor Abschluss der Diplomarbeit, als ich eigentlich gar keine Zeit dafür hätte haben sollen – so begeistert, dass ich es gleich noch einmal gelesen habe, direkt am nächsten Tag. Und nicht lange danach ein weiteres Mal. Seitdem besuche ich Herrn Lehmann und seine liebenswert chaotischen Freunde im Kreuzberg des Jahres 1989 Jahr für Jahr erneut. Und seitdem freue ich mich bei jeder Lektüre auf die letzten beiden Sätze, die für mich die vollkommen perfekte Lebensphilosophie darstellen: »Ich gehe erst einmal los, dachte er. Der Rest wird sich schon irgendwie ergeben.« „Happy Birthday! Herr Lehmann wird 65“ weiterlesen
Das geht doch schnell vorbei
Es gibt sie, diese besonderen Bücher, die einen das Leben lang begleiten. Die fester Bestandteil der eigenen Biographie und mit wertvollen Erinnerungen verbunden sind. Die man unzählige Male gelesen hat. Die vergilbt, zerfleddert und mit losen Seiten im Regal stehen – und von denen man sich nie, niemals und unter keinen Umständen trennen würde. Jahre- und jahrzehntelang erinnern sie einen an längst vergangene, prägende Zeiten – und wenn man sie eines Tages wieder einmal in die Hand nimmt, sie nach einer langen Pause erneut liest, dann ist das wie eine Zeitschleuse zurück in die eigene Vergangenheit. Und es kann geschehen, dass eine Textstelle, die man damals zwar schon angestrichen hat, beim Wiederlesen vollkommen anders wirkt. Intensiver. Wuchtiger. Einen frösteln lässt. Und man sie nicht mehr aus dem Kopf bekommt. So geschehen bei dem Roman »Alle Menschen sind sterblich« von Simone de Beauvoir. Und das schreibe ich jetzt auf. „Das geht doch schnell vorbei“ weiterlesen
Herbstliche Melancholie
Wahrscheinlich kennt jeder dieses Gedicht, es gehört zu den meistzitiertesten. Und für mich zu den schönsten. Vor über einem Jahrhundert verfasst, hat es nichts von seiner nachdenklichen Eleganz verloren, in der die Schönheit der Natur im Jahreslauf mit der Vergänglichkeit des menschlichen Daseins verknüpt wird. Ich liebe die Melancholie, die aus den Versen spricht und die mich jedes Mal aufs neue berührt – und daher möchte ich diesem zeitlosen Werk deutschsprachiger Poesie auch hier im Blog einen Platz geben. „Herbstliche Melancholie“ weiterlesen
Sieben Jahre später
Es geschieht nicht oft, dass ich sieben Jahre nach einem Blogbeitrag noch einmal über das gleiche Buch schreibe. Es geschieht allerdings auch nicht oft, dass ein Autor als Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten in den US-Wahlkampf zieht – und dabei mit grotesk reaktionären Sprüchen den blondierten Psychopathen unterstützt, der eine ernsthafte Gefahr für die Demokratie und die freie Welt darstellt. Natürlich ist die Rede von J.D. Vance und seinem autobiographischen Werk »Hillbilly-Elegie«. Ein Werk, das mich sehr beeindruckt hat, als ich es 2017 gelesen habe. Damals schrieb ich hier im Blog: »Ein Buch über das Verschwinden einer Arbeiterklasse, über die Verlogenheit des amerikanischen Traums und über den steinigen Weg zu einem bürgerlichen Leben: J.D. Vance zeigt uns in »Hillbilly-Elegie« eine für uns kaum vorstellbare Welt und beschreibt anschaulich den Zerfall der amerikanischen Gesellschaft. Außerdem ist es ein Buch, das mir eine Türe zu längst vergessen geglaubten Erinnerungen aufgestoßen hat.« „Sieben Jahre später“ weiterlesen
Kaffeehaussitzers Kafka-Jahr
Als ich zum ersten Mal etwas von Franz Kafka las, stand ich im Licht einer Straßenlaterne. Es ist lange her und muss im Herbst des Jahres 1990 gewesen sein, aber ich habe diesen Moment, diesen Abend nie vergessen. Vielleicht, weil dabei einiges zusammenkam. Es war kurz nach dem Ende meines Zivildienstes, und beim Start ins Leben war ich gleich in einer Sackgasse gestrandet. Denn ich hatte keine Ahnung, was ich machen sollte, keine Idee, was die Zukunft bringen könnte, keine Perspektive. Ich wohnte zur Untermiete bei einer Kollegin; nicht ganz legal, denn laut Mietvertrag war dies nicht erlaubt – was dazu führte, dass ich immer schnell durch das Treppenhaus huschte und möglichst wenig zu Hause war. Falls man es unter diesen Umständen überhaupt ein Zuhause nennen konnte. Der Zivildienst war gegen einen Job als Altenpflegehelfer eingetauscht worden, das Geld genügte, um jeden Abend auszugehen oder die freien Nachmittage in Cafés zu verbringen. Die nagende Unzufriedenheit wurde dabei durch ständiges Unterwegssein und viel zu wenig Schlaf mehr oder weniger erfolgreich übertüncht. Doch nach einer langjährigen Pause hatte ich einige Monate zuvor das Lesen wieder entdeckt – und in dieser Zeit wurde es mir zur Gewohnheit, immer ein Buch bei mir zu tragen. Eine Gewohnheit, die ich nie wieder abgelegt habe. „Kaffeehaussitzers Kafka-Jahr“ weiterlesen
Heimkommen. Ein Textbaustein*
Es gibt diese Textstellen, die einen beim Lesen innehalten lassen. Über die man geradezu stolpert, die man noch einmal liest und ein weiteres Mal. Und die einem danach nicht mehr aus dem Kopf gehen. Eine solche Stelle ist mir im Roman »Heimweh« von Graham Norton begegnet. Es ist eine Schlüsselszene des Romans: Der über fünfzigjährige Connor Hayes kehrt nach jahrzehntelanger Abwesenheit nach Mullinmore zurück; es ist ein kleiner Ort in Irland, irgendwo in der Gegend von Cork. Als er sich in seinem Mietwagen langsam der Landschaft nähert, in der er aufgewachsen ist, als die Straßen, die Felder, die in der Luft liegende Stimmung immer vertrauter werden und trotzdem vage fremd bleiben, als er das Städtchen vor sich sieht, in dem vor langer Zeit sein unstetes Leben den Anfang nahm – da fallen sie, die beiden Sätze. „Heimkommen. Ein Textbaustein*“ weiterlesen
Zehn Jahre Kaffeehaussitzer
Der Literaturblog Kaffeehaussitzer wird zehn Jahre alt und mit einer Mischung aus Freude, Dankbarkeit und ungläubigem Staunen denke ich an den Juni 2013 zurück, als ich das allererste Mal auf den »Veröffentlichen«-Button geklickt habe – ohne auch nur die geringste Ahnung davon zu haben, was daraus entstehen würde. Jedenfalls erinnere ich mit gut daran, wie faszinierend ich es fand, dass mit diesem ersten Klick meine eigene Seite, mein Literaturblog zum Leben erweckt wurde. Geplant war das alles nicht, irgendwie hat es sich zufällig ergeben. Wie so oft. „Zehn Jahre Kaffeehaussitzer“ weiterlesen
Fünfzehn Bücherfragen
»Ein Buch, das außer dir alle gemocht haben?« Oder: »Ein Buch, in dem du gern leben würdest?« Beim Flanieren durch die Literaturblogs bin ich auf der Seite Wissenstagebuch auf fünfzehn Bücherfragen gestoßen. Es ist ein Beitrag, der zum Mitmachen einlädt und schon beim Lesen ratterten die Gedanken los – ich konnte gar nicht anders, als mir diese Fragen zu schnappen und selbst zu beantworten. Und wer sich ebenfalls beteiligen mag: Lasst beim Wissenstagebuch in den Kommentaren einen Link da, so entsteht eine schöne Sammlung mit vielen Buchempfehlungen. Die Fragen stammen ursprünglich von der amerikanischen YouTuberin Steph Borer, um als book recommendation tag mehr Literatur in die Timelines zu bringen. Aber langer Rede kurzer Sinn: Hier sind sie, die Bücherfragen. Und meine Antworten. „Fünfzehn Bücherfragen“ weiterlesen
Apokalypse, Sinnsuche und Literatur
Schon seit sieben Jahren möchte ich diesen Beitrag schreiben. Und seit sieben Jahren suche ich dafür die passenden Worte, denn es geht um einen sehr persönlichen Blick auf die Welt: Um Glauben, Religion und Spiritualität. Auch jetzt, in dem Moment, in dem ich beschlossen habe, damit zu beginnen, weiß ich nicht, wohin der entstehende Text mich führen wird. Wieder einmal hat alles mit einem Buch zu tun, diesmal mit einem ganz besonderen: 2016 ist im Manesse Verlag eine Neuübersetzung der Apokalypse erschienen. Ein spannendes Projekt, denn die Offenbarung des Johannes – wie der offizielle Name ja lautet – ist in dieser aufwendig gestalteten Ausgabe eine Art Auskopplung aus der Bibel. Und wird zu einem literarischen Text, kraftvoll, wuchtig, finster und rätselhaft; auf eine surreale Weise dystopisch wie ein fiebriger Traum. Die Übersetzung aus dem Altgriechischen stammt von Kurt Steinmann, der dazu in einem Interview sagte: »Für mich ist die Apokalypse in erster Linie ein bildhaftes und wortgewaltiges Sprachkunstwerk. In seinen ungeheuren Bildern wirkt es beinahe wie eine Antizipation, eine Vorwegnahme der expressionistischen Literatur etwa von Trakl oder Heym.« „Apokalypse, Sinnsuche und Literatur“ weiterlesen
So viele Bücher, so wenig Zeit
Einer meiner Lieblingsfilme ist »About Time – Alles eine Frage der Zeit«. Nicht nur, weil darin eine gelungene Mischung aus Charme, Humor und Tragik geboten wird. Und nicht nur wegen der wunderbaren Schauspieler wie etwa Bill Nighy, Rachel McAdams oder Domhnall Gleeson. Sondern vor allem wegen eines kurzen Dialogs, in dem es – natürlich – um Bücher geht. Über die Handlung des Films möchte ich hier gar nicht sprechen; wer zum Beispiel »Notting Hill« oder »Vier Hochzeiten und ein Todesfall« mochte, der wird auch von »About Time« nicht enttäuscht werden. „So viele Bücher, so wenig Zeit“ weiterlesen
Leben, Blog & Bücher

Als Literaturblogger darf ich hin und wieder Interviewfragen beantworten. Dabei mag ich es besonders, wenn Fragen gestellt werden, die auf den ersten Blick den Eindruck erwecken, sie seien einfach zu beantworten; die sich dann aber als viel kniffliger herausstellen, wenn man beginnt, sich Gedanken über sie zu machen. Ein schönes Beispiel dafür ist das Interview, das Janine Rumrich für ihren Literaturblog Frau Hemingway mit mir geführt hat – es ging dabei um das Bloggen, um Bücher und um das Leben. Und wie alles miteinander zusammenhängt. Das Interview liegt nun schon einige Jahre zurück, es stammt aus dem Januar 2019. Da es zur Zeit online nicht abrufbar ist, da mir die Fragen so gut gefallen haben und da ich die meisten Antworten heute genau gleich formulieren würde, gebe ich es hier in Auszügen wieder; »Leben, Blog & Bücher« hat Janine alias Frau Hemingway diesen Teil genannt. Als Bonustrack gibt es ein paar zusätzliche Buchtipps. „Leben, Blog & Bücher“ weiterlesen
Ein Satz wie ein Geschenk
In der Beschreibung dieses Blogs heißt es, dass es darin um Bücher, Texte und Leseerlebnisse geht. Manchmal werde ich gefragt, was unter einem Leseerlebnis zu verstehen sei, doch darauf gibt es keine eindeutige Antwort. Es kann etwa ein Buch sein, das mich zurückführt in eine vergangene Zeit meines Lebens, so, als würde ich in einen Spiegel schauen. Oder ein Roman, in dem eine mir wenig bekannte Epoche so intensiv vor mir ausgebreitet wird, wie es mit literarischen Mitteln nur möglich ist. Ein Buch, das seltsame Träume auslöst. Oder eines, das mich so tief in die Handlung hineinzieht, dass ich mich danach wochenlang auf keine neue Lektüre einlassen kann. Und manchmal kann ein Leseerlebnis lediglich aus einer kurzen Textstelle* bestehen oder aus einem einzigen Satz; wenn ich dort Worte finde, die etwas in mir verändern. Worte, die mich mitten ins Herz treffen. Die Trost spenden und eine offene Wunde schließen. Oder zumindest ein Pflaster darauf kleben. Und genau solch ein Pflaster, solch eine Textstelle ist mir auf den ersten Seiten des Romans »Chamäleon« von Annabel Wahba begegnet. Davon möchte ich hier erzählen. „Ein Satz wie ein Geschenk“ weiterlesen
Das Verschwinden der Leichtigkeit
Braucht man ein großformatiges Buch mit Photos vom Bau des Eiffelturms und mit darin abgebildeten Originalbauplänen? Natürlich nicht. Wozu auch? Konnte ich daran vorbeigehen, als ich es im Schaufenster einer Buchhandlung sah? Auf keinen Fall. Und das hat mit einer Erinnerung zu tun, die schon ziemlich lange zurückliegt, die ich aber niemals vergessen werde. Deshalb ist der Band »The Eiffel Tower« aus dem Taschen Verlag jetzt in meinem Bücherregal eingezogen. Es ist der viersprachige Nachdruck des im Jahr 1900 erschienenen Prachtbands »Gustave Eiffels 300-Meter-Turm« und ein echtes Schmuckstück. Und ich erzähle eine alte Geschichte, die auf eine traurige Weise in unser Heute passt. „Das Verschwinden der Leichtigkeit“ weiterlesen
Papiergewordene Geschichte, Teil zwei
Im Blogbeitrag »Papiergewordene Geschichte« habe ich vor einiger Zeit alte Bücher aus meinen Buchregalen vorgestellt, die für mich besondere Schätze sind. Nicht, weil sie besonders wertvoll wären, sondern weil sie als Objekte schon selbst Geschichten erzählen – und dadurch ein Stück papiergewordene Geschichte darstellen, vollkommen unabhängig vom Inhalt. Es sind Bücher, die schon seit Jahrzehnten durch die unterschiedlichsten Hände gegangen sind, die historische Umwälzungen überlebt haben und nun durch die Zeiten hindurch zu uns sprechen. Hier kommt die zweite Runde dieser Buchschätze. „Papiergewordene Geschichte, Teil zwei“ weiterlesen