Seele zu verkaufen

»Wenn das Internet der Buchdruck wäre, würden wir gerade im Jahr 1460 leben.« Dieses Zitat habe ich schon einmal hier im Blog verwendet, ohne zu wissen, von wem es stammt. Aber es beschreibt, so finde ich, ziemlich gut die Dimension der technischen und gesellschaftlichen Umwälzungen, in denen wir uns befinden und die uns ein Leben lang begleiten werden. Ebenso wie die Leben der kommenden Generationen. Seit ich den Satz das erste Mal zitiert habe, sind inzwischen fast zehn Jahre vergangen; ich weiß immer noch nicht, woher ich ihn habe, aber wir wären nun im Jahr 1470 – und stehen gerade an der Schwelle zur nächsten Stufe der technischen Entwicklungen. Entwicklungen, die vermutlich drastische Auswirkungen auf unsere Zukunft und unser Verhalten haben werden. Der Roman »Candy Haus« von Jennifer Egan passt perfekt in unsere sich rasant verändernde Welt und ich habe ihn nicht nur mit großer Begeisterung, sondern auch mit einem leichten Gruseln gelesen. Denn die nahe Zukunft, in der er zum großen Teil spielt, könnte bald auch unsere Gegenwart sein – so eng liegen beide zusammen.

Momentan erleben wir ein Zerfasern der Sozialen Medien, die prägend waren für die letzten fünfzehn Jahre. Facebook hat sich längst überlebt, Twitter wird von einem egomanischen Milliardär an die Wand gefahren, die Postings auf Instagram wirken wie geklonte Wiederholungen, während TikTok das Feld aufrollt und dabei konsequent die Linie Immer-schneller-immer-greller-immer-lauter fährt, Ausnahmen bestätigen wie überall die Regel. Die Zeit bleibt nicht stehen, Plattformen entwickeln sich nur langsam, während der Zug der User weiterzieht, auf der Suche nach dem Neuen. Daher stehen die Betreiber stets unter dem Druck, sich neue Gimmicks einfallen zu lassen, mit denen sie die Menschen auf ihren Seiten zum Bleiben animieren können.  

Genau in dieser Situation lernen wir im ersten Kapitel von »Candy Haus« Bix Bouton kennen, eine Art fiktiver Marc Zuckerberg, Visionär der ersten Stunde. Wir befinden uns in unserer Gegenwart, sein soziales Netzwerk Mandala spannt sich über die ganze Welt, eine »leuchtende Sphäre der Verknüpfung«. In einer starken Textstelle denkt Bix an das Jahr 1992 zurück, als er übersprudelte vor Ideen, mit denen die meisten Menschen damals nichts anfangen konnten, auch nicht seine Freundin Lizzy – doch mit denen er die Welt komplett umkrempeln würde: »Lizzy und ihre Clique wussten 1992 nicht einmal ansatzweise, was das Internet war, aber Bix spürte die Vibrationen, mit denen die Fäden eines alles verbindenden, unsichtbaren Netzes die vertraute Welt zu durchziehen begannen, als wären es immer weiter um sich greifende Risse in einer Windschutzscheibe. Das Leben, wie sie es kannten, würde bald in Scherben gehen und hinweggefegt werden, und dann würden alle gemeinsam in eine neue, metaphysische Sphäre emporsteigen.« Die Geburtsstunde von Mandala. 

Aus der metaphysischen Sphäre wurde ein gigantisches Geschäftsmodell, das Bix zum Milliardär machte. Doch der Visionär in ihm lebt weiter, spürt nun etliche Jahre später, dass das Alte an seine Grenzen stößt, dass er weiterdenken muss, damit sie ihn nicht einholt, die alles lähmende Leere in seinem Kopf. Und seine nächste Idee wird sämtlich bisher Dagewesenes in den Schatten stellen – sie bedeutet die ultimative Vernetzung. 

Bix entwickelt eine an Mandala angedockte App mit dem Namen Besitze dein Unterbewusstes™. Und wie es der Name schon andeutet, können die Nutzer mit Hilfe einer technischen Vorrichtung ihre gesamten Erinnerungen online hochladen – um sie sich anzuschauen. Die eigenen und die von Millionen und Abermillionen anderer Menschen. Eine faszinierende Idee. Eine erschreckende Idee. Bix verändert damit die Welt ein zweites Mal, diesmal noch gründlicher, denn viel gläserner kann nun niemand mehr werden. Jeder kann sein komplettes Leben mit allen Erinnerungen, auch den persönlichsten, zur Besichtigung freigeben – und die meisten stimmen dem gedankenlos zu, denn zu groß ist die Verlockung, in den Leben der anderen herumzustöbern. Wie schrecklich diese Vorstellung ist, wurde mir besonders klar, als ich für das Beitragsbild in meiner Photokiste stöberte und natürlich nur Bilder auswählte, die nicht zu privat sind, auch wenn man sie ohnehin kaum erkennen kann.

Rund um diese App Besitze dein Unterbewusstes™  hat Jennifer Egan ihren Roman aufgebaut, sie ist der rote Faden, der sich durch sämtliche Kapitel zieht. Die Autorin erzählt von einer Welt, in der das Stöbern in Erinnerungen – den eigenen und fremden – zum Leben gehört, der Unterschied zwischen On- und Offline ist kaum noch vorhanden. Zu Beginn des Buches begegnen wir Bix, kurz bevor er seine App erfindet, aber viel mehr werden wir mit ihm nicht zu tun haben, außer, dass sein Name immer wieder auftaucht. Aber in jedem Kapitel steht eine andere Person im Mittelpunkt, meist ist es jemand, den wir zuvor nur am Rande wahrgenommen haben: Eine Nebenfigur in dem einen Kapitel wird zur Hauptfigur in einem der nächsten. Auch der Schreibstil und die Erzählweise ändern sich, mal ist es die Ich-Perspektive, aus der wir auf das Geschehen schauen, mal blicken wir den Protagonisten über die Schulter, einmal besteht ein Kapitel aus einem E-Mail-Wechsel, mal aus einer Art innerem Monolog, es gibt konventionell erzählte Texte neben einem protokollartigen Einsatzbericht. Aus dieser Vielfalt der Personen und Perspektiven entsteht eine ganz eigene Dynamik, die unsere volle Aufmerksamkeit erfordert.

Denn mit der Zeit beginnen sich die Erinnerungen der Protagonisten miteinander zu verknüpfen, alles ist ineinander verschachtelt, fast wie beiläufig miteinander verzahnt. Immer wieder dreht es sich um existentielle Fragen: Kann man der eigenen Erinnerung trauen? Was ist in den Momenten wirklich geschehen, die prägend waren für das eigene Leben? Nun ist es möglich, die eigenen Erinnerungen aus fremder Perspektive zu betrachten, indem man diejenigen anderer Beteiligter aufruft. Sich die Erinnerungen von Freunden, Eltern, Kindern anzuschauen und dabei Gedanken zu finden, die vielleicht besser im Dunkel des Vergessens geblieben wären. 

Wie in der von Jennifer Egan geschilderten Welt beginnt die Romanhandlung zunehmend gläserner zu werden; es entsteht ein flirrendes Kaleidoskop aus geteilten Erinnerungen, aus Unstimmigkeiten, aus einer wie auch immer gearteten Wahrheit – und der Suche danach. Menschen gehen in ihren Erinnerungen verloren, ihr eigenes Selbstbild erleidet Risse und Beschädigungen – denn das Ureigene, das jeder Mensch hat, das jeden von uns ausmacht, wird öffentlich, kann von allen anderen betrachtet und seziert werden. 

Öffentliche Erinnerungen also. »Candy Haus« ist eine augenzwinkernde Utopie, doch im sich immer weiter und schneller drehenden Karussell der technischen Möglichkeiten klingt alles in diesem Buch so realistisch, dass es einen gruselt. Denn vieles von dem, was wir heute nutzen, erschien vor zwanzig, dreißig Jahren ebenfalls vollkommen utopisch: wer wie ich in einer vollkommen analogen Welt aufgewachsen ist, staunt immer wieder darüber, wie radikal sie sich verändert hat. Und das Preisgeben der eigenen Identität, das Schrumpfen von einer Persönlichkeit zu einer digitalen Kunstfigur im Tausch gegen Aufmerksamkeit und Reichweite – das alles lässt sich heute täglich beim Durchstreifen der digitalen Weiten betrachten. Jennifer Egan treibt dies in ihrem Roman auf die Spitze und macht klar, um was es sich letztendlich handelt: Um nichts weniger als das, was man früher in den Märchen als das Verkaufen der eigenen Seele bezeichnete. Ein brillantes Buch für unsere Zeit, genau zum richtigen Moment.

Buchinformation
Jennifer Egan, Candy Haus
Aus dem Englischen von Henning Ahrens
S. Fischer Verlag
ISBN 978-3-10-397145-3

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So viele Bücher, so wenig Zeit

Einer meiner Lieblingsfilme ist »About Time – Alles eine Frage der Zeit«. Nicht nur, weil darin eine gelungene Mischung aus Charme, Humor und Tragik geboten wird. Und nicht nur wegen der wunderbaren Schauspieler wie etwa Bill Nighy, Rachel McAdams oder Domhnall Gleeson. Sondern vor allem wegen eines kurzen Dialogs, in dem es – natürlich – um Bücher geht. Über die Handlung des Films möchte ich hier gar nicht sprechen; wer zum Beispiel »Notting Hill« oder »Vier Hochzeiten und ein Todesfall« mochte, der wird auch von »About Time« nicht enttäuscht werden. „So viele Bücher, so wenig Zeit“ weiterlesen

Mein Lesejahr 2022: Die besten Bücher

Mein Lesejahr 2022: Die besten Buecher

In einer Welt, die fast täglich mehr aus den Fugen zu geraten scheint, ist die Literatur ein Anker, sind Bücher eine Kraftquelle. Oder wie es Mohamed Mbougar Sarr seinen Ich-Erzähler in »Die geheimste Geschichte der Menschen« ausdrücken lässt: »Wir dachten keinesfalls, dass Bücher die Welt retten könnten; hingegen hielten wir sie für das einzige Mittel, um nicht vor ihr davonzulaufen.« Nicht zuletzt wegen Sätzen wie diesem steht der Roman auf meiner Liste der besten Bücher, die ich im vergangenen Jahr gelesen habe. Er befindet sich dabei in abwechslungsreicher Gesellschaft – doch seht selbst; hier sind sie, die fünfzehn Werke, die mich in den letzten zwölf Monaten am meisten beeindruckt, begeistert oder inspiriert haben. „Mein Lesejahr 2022: Die besten Bücher“ weiterlesen

Ein Wort zum Selfpublishing

Im Impressum dieses Blogs sowie auf der Seite mit den Kontaktangaben steht direkt bei der E-Mail-Adresse »Eine Anmerkung zu Selfpublishing-Titeln«. Und darunter folgender Hinweis: »Bei der Auswahl meiner Lektüre verlasse ich mich vor allem auf die Buchhandlungen meines Vertrauens und auf die Empfehlungen befreundeter Leser und Blogger. Bei der Fülle an Büchern und einer leider nur allzu begrenzten zeitlichen Kapazität lese ich ausschließlich Werke, die in einem Verlag erschienen und in einer Buchhandlung erhältlich sind. Alleine diese Vorauswahl würde für mehrere Leseleben reichen. Ich bitte daher darum, mir keine Informationen zu Selfpublishing-Titeln zukommen zu lassen.«

Wenn ich in mein E-Mail-Postfach schaue, dann frage ich mich an manchen Tagen, was an dieser Bitte nicht zu verstehen ist. Vielleicht entgeht mir ja tatsächlich die ein oder andere literarische Perle, aber dafür entdecke ich durch meine beiden Filter eben andere. In diesem Blogbeitrag möchte ich ein wenig mehr dazu schreiben. „Ein Wort zum Selfpublishing“ weiterlesen

Indiebookday 2022, improvisiert

Indiebookday 2022

Seit 2013 ist der Indiebookday ein fester Termin im Kalender vieler Literaturbegeisterter. Er findet stets an einem der letzten Samstage im März statt und ist den vielen unabhängigen Verlagen gewidmet. Die Idee dazu hatte mairisch-Verleger Daniel Beskos; sie ist einfach und hocheffektiv gleichzeitig. Die Leser sind am Indiebookday dazu aufgerufen, eine Buchhandlung aufzusuchen und ein Buch aus einem unabhängigen Verlag zu kaufen; ein Verlag also, der konzernunabhängig ist, dadurch mehr Freiheiten bei der Programmgestaltung hat und meist nur aus einem kleinen Team besteht. Auf der Seite Morehotlist, dem »Magazin für unabhängige Bücher und Buchmenschen« gibt es eine Liste deutschsprachiger Independent-Verlage. Und auf der Seite We Read Indie wird für die Frage »Was ist Indie?« eine gute Definition angeboten.

Das Wichtigste an der Aktion: Das im Lieblingsbuchladen gekaufte Buch wird anschließend auf den Social-Media-Accounts der jeweiligen Buchkäufer präsentiert – zusammen mit dem Hashtag #indiebookday. So erhalten die Bücher aus unabhängigen Verlagen an diesem Tag eine geballte Aufmerksamkeit; gleichzeitig ist es Werbung für die Vielfalt der Literatur. Auch viele Buchhandlungen beteiligen sich daran und haben für diesen Tag entsprechende Büchertische aufgebaut. „Indiebookday 2022, improvisiert“ weiterlesen

Corona in der Literatur? Bitte (noch) nicht

Corona in der Literatur: Bitte (noch) nicht

In den freien Tagen nach Weihnachten 2021 machte ich es mir auf dem Sofa bequem: Ich wollte mich mit »Never«, dem neuen Polit-Thriller von Ken Follett entspannen. Das funktionierte nur bedingt, denn das Ende dieses Buches geht – vor allem bei der aktuellen Nachrichtenlage – so unter die Haut, dass ich nachts nur schwer einschlafen konnte. Aber davon möchte ich gar nicht erzählen, sondern nur von einem winzigen Detail des Romans; von einer einzigen Formulierung. Denn die Handlung ist in der unmittelbaren Zukunft angesiedelt, so nah an unserer Zeit, dass sie schon fast in der Gegenwart spielt. Aber eben nur fast. An einer Stelle wird eine Straße, ein Stadtviertel beschrieben. Es heißt darin, dass durch die Pandemie viele der zahlreichen Restaurants und Cafés schließen mussten, inzwischen aber neue eröffnet hätten.

Das war alles zu Corona, was darin zu lesen war. Gleichzeitig war es für mich das erste Mal, dass ich das Thema überhaupt in einem Roman erwähnt fand. Und in dieser Form, als eine vage Erinnerung an eine Zeit, die glücklicherweise vorüber ist, fand ich es erträglich. Aber mehr muss nicht sein, denn das pandemische Geschehen der letzten zwei Jahre ist so bedrückend und frustrierend, dass ich nicht auch noch meine wertvolle Leselebenszeit damit verbringen möchte. Daher mache ich einen großen Bogen um Romane, die auf irgendeine Weise Corona in die Handlung mit einbauen, wie etwa Juli Zehs »Über Menschen«. Auch für das kommende Jahr sind Bücher mit dem Label »Corona-Roman« geplant; diese wandern bei mir automatisch auf die Werde-ich-sicher-nicht-lesen-Liste. „Corona in der Literatur? Bitte (noch) nicht“ weiterlesen

Mein Lesejahr 2021: Die besten Bücher

Mein Lesejahr 2021: Die besten Buecher

In vielen Literaturblogs gibt es am Ende des Jahres Rückblicke und Berichte über die Bücher, die am meisten Eindruck hinterlassen haben. Spannend ist dabei vor allem die Unterschiedlichkeit der Listen. Oftmals finde ich darin nur wenige Übereinstimmungen mit meinen eigenen Lese-Highlights – und das beweist immer wieder die Vielfalt der Literatur und die Vielfalt der Lesevorlieben. Und zeigt, wie viel großartige Bücher es zu entdecken gibt. Auch hier im Blog Kaffeehaussitzer ist ein solcher Rückblick inzwischen eine kleine Tradition. Und auch wenn das pandemische 2021 in vielerlei Hinsicht anstrengend, irritierend und manchmal auch frustrierend war, so bot die Literatur immer wieder festen Halt und Trost in seltsamen Zeiten. Fünfzehn Bücher haben es in meine persönliche Bestenliste geschafft, es sind – wie immer – nicht nur Titel, die im vergangenen Jahr erschienen sind; manche von ihnen standen schon eine lange Zeit im Regal, bis nun endlich ihre Zeit gekommen war. Daher bezieht sich dieser Jahresrückblick nicht auf 2021 als Erscheinungsjahr, sondern es sind diejenigen Bücher, die mich in den vergangenen zwölf Monaten am meisten berührt, inspiriert oder begeistert haben. „Mein Lesejahr 2021: Die besten Bücher“ weiterlesen

Der Kaffeehaussitzer im Schaufenster

Ein Schaufenster mit Büchern aus dem Literaturblog Kaffeehaussitzer in der Buchhandlung Olitzky in Köln-Klettenberg.

Die Buchhandlung Olitzky in Köln-Klettenberg ist eine der Buchhandlungen meines Vertrauens und die für mich am nächsten gelegene. Es ist kein großer Buchladen, man könnte ihn eher als recht klein bezeichnen – aber das Sortiment ist so fein ausgewählt, dass ich bei fast jedem Besuch ein, zwei Bücher entdecke, von denen ich zuvor noch gar nicht gewusst hatte, dass ich sie unbedingt brauchen würde. Das ist etwas, das kein Algorithmus kann – und auch wenn er es könnte, lasse ich mir Bücher lieber von Menschen empfehlen, mit denen ich die Leidenschaft für die Literatur teile. Daher ist es kein Zufall, dass ich ein Photo der markanten Ladenbeschriftung im Beitrag »Wo ich Bücher kaufe. Und wo nicht« verwende; einer der meistgelesenen hier im Blog. Und der mir wichtige Hashtag #SupportYourLocalBookstore steht am Ende jeder Buchbesprechung. „Der Kaffeehaussitzer im Schaufenster“ weiterlesen

Die Geschichte einer Rache

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Das Cover des Buches »Die Harpyie« von Megan Hunter ist phänomenal, ein echter Hingucker und hätte eigentlich gleich mein Interesse geweckt. Eigentlich. Denn den Vorgängerroman der Autorin fand ich sehr enttäuschend, fast schon banal. »Vom Ende an« war eine Dystopie mit viel zu gewollt apokalyptisch-dramatischer Sprache, ein ermüdendes Buch, das vom Verlag als »ein weibliches Gegenstück zu Cormac McCarthys ›Die Straße‹« angekündigt war – doch von diesem Meisterwerk war es weit entfernt. Aber gut, manchmal passen Bücher und Leser einfach nicht zusammen. Nun also der nächste Versuch, denn nachdem ich mehrere begeisterte Stimmen zu »Die Harpyie« gehört hatte, zog das zweite Buch von Megan Hunter in mein Bücherregal ein. Gleich vorab: Geblieben ist es dort nicht.  „Die Geschichte einer Rache“ weiterlesen

Mein Lesejahr 2020: Die besten Bücher

Vor einem Jahr endete der Leserückblick 2019 mit den Worten: »Ich wünsche uns allen einen guten Start in unsere Zwanzigerjahre.« Das war wohl leider ein vergeblicher Wunsch, und nun liegt ein seltsames, anstrengendes und oftmals bedrohlich wirkendes 2020 hinter uns. Ein Jahr, das Gewissheiten über den Haufen geworfen und unseren Alltag massiv verändert hat. Aber für mich war es auch ein Bücherjahr, denn selten habe ich so viel gelesen wie in den letzten zwölf Monaten. Die fünfzehn Werke, die mich dabei am meisten berührt, begeistert und beschäftigt haben, stelle ich in diesem Rückblick vor. Wobei sich die Formulierung »Die besten Bücher« nicht auf 2020 als Erscheinungsjahr bezieht, denn mir geht es bei der Lektüreauswahl nie darum, stets die aktuellen Verlagsprogramme im Fokus zu haben; viele Titel lese ich erst Jahre nach deren Erscheinungstermin. Daher ist auch diesmal eine bunte Mischung an neuen und älteren Werken zusammengekommen. Aber seht selbst.  „Mein Lesejahr 2020: Die besten Bücher“ weiterlesen

Lesestoff. Mit Erinnerungen

Eine bedruckte Stofftasche ist oft viel mehr als nur ein Werbeträger – sie ist ein Statement. Von einigen Buchbegeisterten weiß ich, dass sie Taschen mit literarischen Motiven leidenschaftlich gern sammeln. Ich würde das nicht von mir behaupten, aber trotzdem sind in den letzten Jahren einige davon zusammengekommen. Und jede von ihnen erinnert mich an eine Reise oder ein besonderes Erlebnis, immer im Zusammenhang mit Büchern oder Literatur. Die Stofftaschen sind alle nicht mehr taufrisch, denn sie sind in ständiger Benutzung – meist, um die Bücher darin einzuwickeln, die mich tagsüber begleiten. „Lesestoff. Mit Erinnerungen“ weiterlesen

Schreiben, um zu leben

Lily King: Writers & Lovers

Der Roman »Writers & Lovers« von Lily King beginnt mit einem starken ersten Satz: »Ich verbiete mir strikt, schon am Morgen an Geld zu denken.« Schon hat man als Leser eine Person vor Augen, die vollkommen mit dem Rücken zur Wand steht. Diese Person, diese Ich-Erzählerin ist Casey, die einen ganzen Sack voll heftiger Probleme mit sich trägt; ihr einziger Trost, ihre einzige Hoffnung, ihr einziges Verlangen ist das Schreiben. »Ich schreibe, weil sich ohne das Schreiben alles noch trostloser anfühlt.« Casey ist Autorin, 31 Jahre alt, pleite, Halbwaise mit einem gebrochenen Herzen und gelegentlichen Angstattacken, und sie schreibt seit sechs Jahren an ihrem ersten Roman. „Schreiben, um zu leben“ weiterlesen

Acht Tage, sechs Bücher

Acht Tage, sechs Buecher

Ende Mai hatte ich eine Operation am Knie. Danach war ich im wahrsten Sinne des Wortes für acht Tage ausgebremst; damit die OP-Narbe gut verheilen konnte, verbrachte ich die Zeit mehr oder weniger liegend. Und lesend. Sechs Bücher sind es geworden, von denen vier schon länger im Regal standen und auf den richtigen Lesemoment gewartet haben. Ein neues Buch eines Lieblingsautors aus alten Zeiten war dabei, dann ein Buch, dass mich mit einer völlig unerwarteten Wucht traf. Ein Buch, das ich fast wieder weggelegt hätte, bevor eine kurze Textstelle mich geradezu in die Story hineingerissen hat. Ein Ausflug ins 19. Jahrhundert gehörte dazu, außerdem eine literarische Begegnung mit einem amerikanischen Kultautor. Und ein Buch, das weit hinter meinen Erwartungen zurückgeblieben ist. „Acht Tage, sechs Bücher“ weiterlesen

Murakami, zweiter Versuch

Haruki Murakami: Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki

Es ist schon einige Jahre her, dass ich mein erstes Buch von Haruki Murakami gelesen habe. Es war »Wilde Schafsjagd«, ich habe mich bis zur letzten Seite durchgequält und fand es furchtbar. Abgehakt, dachte ich lange Zeit. Allerdings ist der Name des Autors so präsent, dass man immer wieder auf ihn stößt. Und durch das Bloggen über Literatur kenne ich etliche Menschen, deren Buchempfehlungen ich sehr schätze und die jedem neuen Murakami-Roman begeistert entgegenfiebern. Irgendetwas scheine ich überlesen zu haben, irgendetwas, das es doch noch zu entdecken gibt – diese Gedanken waren der Auslöser für den zweiten Versuch, den ich letzten Herbst mit »Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki« startete. Denn, so versicherten mir mehrere Murakami-Fans, dieser Roman sei einer der am leichtesten zugängliche und ein guter Einstieg. 

Um es gleich vorwegzunehmen: Ich gehöre immer noch nicht zur Murakami-Fangemeinde. Doch die Lektüre von »Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki« war ein Leseerlebnis der ganz besonderen Art. „Murakami, zweiter Versuch“ weiterlesen

Über Literatur reden? Unbedingt!

Ueber Literatur reden? Unbedingt!

Vor ein paar Tagen las ich auf Facebook den Post »Literaturliebe in Zeiten von Corona? Mache mir gerade um anderes Sorgen.« Es war eine Reaktion auf aktuelle Lektürelisten zu den Themenbereichen Ausnahmezustand, Pandemie oder soziale Distanzierung. Nun kann ich verstehen, dass man angesichts verstörender Bilder und mit der Angst vor einem drohenden wirtschaftlichen Zusammenbruch nicht unbedingt »Die Pest« von Albert Camus lesen möchte – wobei der Roman gerade eine wahre Renaissance erlebt.

Aber gerade die ohne Zweifel kommende Wirtschaftskrise betrifft in besonderem Maße auch die Literaturlandschaft und unsere fragile literarische Infrastruktur. Es gibt bei uns ein dichtes Netz von Buchhandlungen, die sich engagieren, die Autoren eine Bühne geben und dafür sorgen, dass Bücher in der Öffentlichkeit sichtbar sind. Viele dieser mittelständischen Buchläden waren schon vor der Corona-Krise unterkapitalisiert, sie funktionierten nur durch den unermüdlichen Einsatz der dort beschäftigen Buchhändlerinnen und Buchhändler. Eine möglicherweise monatelange Schließung hätte katastrophale Folgen für sie.

Und wenn Buchhandlungen aus den Städten verschwinden, dann verschwindet auch die Sichtbarkeit von Büchern, es droht eine ernsthafte Beschädigung unserer Literaturlandschaft. „Über Literatur reden? Unbedingt!“ weiterlesen

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