Ein Mahnmal aus Papier

Volker Weidermann: Das Buch der verbrannten Buecher

Für das zentrale Spektakel war in Berlin auf dem Opernplatz ein großer Scheiterhaufen aufgebaut worden. Doch nicht nur dort, sondern in vielen anderen deutschen Orten loderten am Abend des 10. Mai 1933 die Flammen. Verbrannt wurden unzählige Bücher, die fanatisierte Studenten zuvor aus den Bibliotheken gezerrt hatten. Entweder waren ihre Autoren dem sich immer stabiler konstituierenden Nazi-Regime ein Dorn im Auge oder ihr Inhalt entsprach nicht »dem deutschen Geist«. Organisiert wurde die barbarische Aktion nicht von der NSDAP, sondern durch die Deutsche Studentenschaft, dem Dachverband der studentischen Selbstverwaltung. Diese Kampagne ist einer der Tiefpunkte unserer Geistesgeschichte, an Symbolik kaum zu überbieten.

Das Datum dieses widerwärtigen Schauspiels jährt sich 2018 zum fünfundachtzigsten Mal. Ein Grund, hier »Das Buch der verbrannten Bücher« vorzustellen, mit dem Volker Weidermann den verfemten, verfolgten und zu einem nicht unbedeutenden Teil heute vergessenen Autoren ein Denkmal gesetzt hat. Natürlich eines aus Papier. Bereits vor zehn Jahren erschienen, ist es heute immer noch erhältlich und ich hoffe, dass dies noch lange so bleiben möge.

Weidermann hat gründliche Arbeit geleistet: »Das Buch der verbrannten Bücher« ist das Ergebnis jahrelanger Recherchen, um eine Literaturszene zu rekonstruieren, deren Verästelungen heute kaum noch jemand kennt. Denn es geht darin nicht nur um die großen Namen, nicht nur um Autoren wie Mann, Zweig, Feuchtwanger oder Brecht, die schon damals weltberühmt waren. Es geht auch um Werke und Autoren, die in den Zwanzigerjahren gefragt waren, um andere, die vielleicht kurz vor dem Durchbruch standen, manche, die als Geheimtipp galten, auch um jene, deren Werk uns heute vielleicht trivial vorkommen mag – ihnen allen wurde mit einem Schlag ihre Lebensgrundlage entzogen, ihre Existenz vernichtet. »Und immer wieder enden Biographien in diesem Buch mit ›spurlos verschwunden‹ oder ›der genaue Todestag ist unbekannt‹. Es sind die Jahre, in denen Menschen einfach verlorengehen. Ohne Hinweise, ohne letzte Spur.«

Nach einer kurzen Einordnung der historischen Ereignisse und deren Hintergründe folgen die Kurzbiographien aller von der Bücherverbrennung betroffenen Autoren. Der Menschen, die auf der »schwarzen Liste« der literarischen Werke standen, eine Liste, die als Grundlage für die Aussortierung, Ächtung und Verbrennung diente. Es handelt sich um vierundneunzig deutschsprachige und siebenunddreißig fremdsprachige Autoren.

Volker Weidermann stellt sie vor, jedes Kapitel hat einen thematischen Schwerpunkt und enthält die Lebensläufe der dazu passenden Schriftsteller. Unter der Überschrift »Die fantastischen 3« geht es etwa um Hermann Essig, Gustav Meyrink und Alexander Moritz Frey. Und um drei tragische Lebensläufe.

Im Kapitel »Fünf Männer im Krieg – und eine Frau« werden die Verfasser der bekannten Antikriegsromane der Weimarer Republik vorgestellt. Erich Maria Remarques Name hat die Zeiten überdauert, der von Arnold Zweig ebenso, Ludwig Renn und Edlef Köppen sind noch vage bekannt, doch was sagen uns Adrienne Thomas und Oskar Wöhrle heute noch?

»Wirklichkeit von sensationellem Rang« enthält die dramatischen und oftmals von Verzweiflung geprägten Lebensläufe von Ernst Toller, Walter Hasenclever, Oskar Maria Graf und Egon Erwin Kisch. Sie sind zwar nicht vergessen – doch was wäre noch möglich gewesen an literarischem Schaffen ohne diese Zäsur?

Alle Kapitel, alle Namen aufzuzählen würde hier den Rahmen sprengen, es sind bekannte dabei wie Jakob Wassermann, Franz Werfel, Max Brod, Hermann Kesten, Kurt Tucholsky, Alfred Döblin, Bertha von Suttner, Irmgard Keun, Johannes R. Becher, Anna Seghers, Stefan Zweig oder Joseph Roth. Und dazu viele, die ich noch nie gehört habe, die untergegangen sind, verschollen, vergessen. Alleine die Kapitelübersicht, in der alle Namen aufgeführt sind, liest sich zu einem Teil wie das Who is who des literarischen Lebens der Zwanzigerjahre in Deutschland, während der andere Teil uns heutigen Lesern nichts mehr sagt. Schon diese drei Seiten machen deutlich, wie sehr die Sense der Barbarei das deutsche Geistesleben niederlegte – und das hier ist nur der Bereich der Literatur.

So ist dieses Buch nicht nur ein Mahnmal, sondern auch eine Entdeckungsreise in eine Epoche der deutschen Literatur, die beinahe verschwunden wäre. Die aber immer noch zu finden ist, wenn man weiß, wie und wo man suchen muss. »Das Buch der verbrannten Bücher« ist dafür Kompass und Grabwerkzeug in einem. Ein Lesebuch, durch das man sich treiben lassen kann; sich hier eine Leseanregung holen mag, dort fassungslos über das Geschehene innehalten möchte. 

Es ist ein grandioses Projekt, das einen tiefen Einblick in die Dramatik der damaligen Geschehnisse gibt. Ein trotziger Triumph über totalitäre Einfalt, dem ein Ehrenplatz in jeder Büchersammlung gebührt.

Und es ist eine Mahnung.

Denn wir nehmen heute Meinungs- und Publikationsfreiheit als eine Selbstverständlichkeit wahr. Doch das ist sie nicht, wie uns Entwicklungen auch in so manchen europäischen Staaten zeigen. Sie muss vielmehr immer wieder aufs Neue erkämpft und verteidigt werden. Das sollten wir nie vergessen.

Gut aufbereitete Hintergrundinformationen zur Bücherverbrennung im »Dritten Reich« finden sich unter verbrannte-buecher.de.

Der Online-Atlas »Verbrannte Orte« gibt einen eindrucksvollen Überblick, wo im Deutschen Reich 1933 die Bücher brannten – von Rosenheim bis Helgoland.

Buchinformation
Volker Weidermann, Das Buch der verbrannten Bücher
Kiepenheuer & Witsch
ISBN 978-3-462-03962-7

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5 Antworten auf „Ein Mahnmal aus Papier“

  1. Das ist bestimmt ein interessantes Buch! Wie du schon schreibst, viele werden uns unbekannt sein. Um so wichtiger, dass wir uns nie wieder den Mund verbieten lassen und unser Bücherregal nicht reglementiert wird!
    Lesende Grüße
    Andrea

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