Corona in der Literatur? Bitte (noch) nicht

Corona in der Literatur: Bitte (noch) nicht

In den freien Tagen nach Weihnachten 2021 machte ich es mir auf dem Sofa bequem: Ich wollte mich mit »Never«, dem neuen Polit-Thriller von Ken Follett entspannen. Das funktionierte nur bedingt, denn das Ende dieses Buches geht – vor allem bei der aktuellen Nachrichtenlage – so unter die Haut, dass ich nachts nur schwer einschlafen konnte. Aber davon möchte ich gar nicht erzählen, sondern nur von einem winzigen Detail des Romans; von einer einzigen Formulierung. Denn die Handlung ist in der unmittelbaren Zukunft angesiedelt, so nah an unserer Zeit, dass sie schon fast in der Gegenwart spielt. Aber eben nur fast. An einer Stelle wird eine Straße, ein Stadtviertel beschrieben. Es heißt darin, dass durch die Pandemie viele der zahlreichen Restaurants und Cafés schließen mussten, inzwischen aber neue eröffnet hätten.

Das war alles zu Corona, was darin zu lesen war. Gleichzeitig war es für mich das erste Mal, dass ich das Thema überhaupt in einem Roman erwähnt fand. Und in dieser Form, als eine vage Erinnerung an eine Zeit, die glücklicherweise vorüber ist, fand ich es erträglich. Aber mehr muss nicht sein, denn das pandemische Geschehen der letzten zwei Jahre ist so bedrückend und frustrierend, dass ich nicht auch noch meine wertvolle Leselebenszeit damit verbringen möchte. Daher mache ich einen großen Bogen um Romane, die auf irgendeine Weise Corona in die Handlung mit einbauen, wie etwa Juli Zehs »Über Menschen«. Auch für das kommende Jahr sind Bücher mit dem Label »Corona-Roman« geplant; diese wandern bei mir automatisch auf die Werde-ich-sicher-nicht-lesen-Liste. „Corona in der Literatur? Bitte (noch) nicht“ weiterlesen

Mein Lesejahr 2021: Die besten Bücher

Mein Lesejahr 2021: Die besten Buecher

In vielen Literaturblogs gibt es am Ende des Jahres Rückblicke und Berichte über die Bücher, die am meisten Eindruck hinterlassen haben. Spannend ist dabei vor allem die Unterschiedlichkeit der Listen. Oftmals finde ich darin nur wenige Übereinstimmungen mit meinen eigenen Lese-Highlights – und das beweist immer wieder die Vielfalt der Literatur und die Vielfalt der Lesevorlieben. Und zeigt, wie viel großartige Bücher es zu entdecken gibt. Auch hier im Blog Kaffeehaussitzer ist ein solcher Rückblick inzwischen eine kleine Tradition. Und auch wenn das pandemische 2021 in vielerlei Hinsicht anstrengend, irritierend und manchmal auch frustrierend war, so bot die Literatur immer wieder festen Halt und Trost in seltsamen Zeiten. Fünfzehn Bücher haben es in meine persönliche Bestenliste geschafft, es sind – wie immer – nicht nur Titel, die im vergangenen Jahr erschienen sind; manche von ihnen standen schon eine lange Zeit im Regal, bis nun endlich ihre Zeit gekommen war. Daher bezieht sich dieser Jahresrückblick nicht auf 2021 als Erscheinungsjahr, sondern es sind diejenigen Bücher, die mich in den vergangenen zwölf Monaten am meisten berührt, inspiriert oder begeistert haben. „Mein Lesejahr 2021: Die besten Bücher“ weiterlesen

Der Kaffeehaussitzer im Schaufenster

Ein Schaufenster mit Büchern aus dem Literaturblog Kaffeehaussitzer in der Buchhandlung Olitzky in Köln-Klettenberg.

Die Buchhandlung Olitzky in Köln-Klettenberg ist eine der Buchhandlungen meines Vertrauens und die für mich am nächsten gelegene. Es ist kein großer Buchladen, man könnte ihn eher als recht klein bezeichnen – aber das Sortiment ist so fein ausgewählt, dass ich bei fast jedem Besuch ein, zwei Bücher entdecke, von denen ich zuvor noch gar nicht gewusst hatte, dass ich sie unbedingt brauchen würde. Das ist etwas, das kein Algorithmus kann – und auch wenn er es könnte, lasse ich mir Bücher lieber von Menschen empfehlen, mit denen ich die Leidenschaft für die Literatur teile. Daher ist es kein Zufall, dass ich ein Photo der markanten Ladenbeschriftung im Beitrag »Wo ich Bücher kaufe. Und wo nicht« verwende; einer der meistgelesenen hier im Blog. Und der mir wichtige Hashtag #SupportYourLocalBookstore steht am Ende jeder Buchbesprechung. „Der Kaffeehaussitzer im Schaufenster“ weiterlesen

Die Geschichte einer Rache

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Das Cover des Buches »Die Harpyie« von Megan Hunter ist phänomenal, ein echter Hingucker und hätte eigentlich gleich mein Interesse geweckt. Eigentlich. Denn den Vorgängerroman der Autorin fand ich sehr enttäuschend, fast schon banal. »Vom Ende an« war eine Dystopie mit viel zu gewollt apokalyptisch-dramatischer Sprache, ein ermüdendes Buch, das vom Verlag als »ein weibliches Gegenstück zu Cormac McCarthys ›Die Straße‹« angekündigt war – doch von diesem Meisterwerk war es weit entfernt. Aber gut, manchmal passen Bücher und Leser einfach nicht zusammen. Nun also der nächste Versuch, denn nachdem ich mehrere begeisterte Stimmen zu »Die Harpyie« gehört hatte, zog das zweite Buch von Megan Hunter in mein Bücherregal ein. Gleich vorab: Geblieben ist es dort nicht.  „Die Geschichte einer Rache“ weiterlesen

Mein Lesejahr 2020: Die besten Bücher

Vor einem Jahr endete der Leserückblick 2019 mit den Worten: »Ich wünsche uns allen einen guten Start in unsere Zwanzigerjahre.« Das war wohl leider ein vergeblicher Wunsch, und nun liegt ein seltsames, anstrengendes und oftmals bedrohlich wirkendes 2020 hinter uns. Ein Jahr, das Gewissheiten über den Haufen geworfen und unseren Alltag massiv verändert hat. Aber für mich war es auch ein Bücherjahr, denn selten habe ich so viel gelesen wie in den letzten zwölf Monaten. Die fünfzehn Werke, die mich dabei am meisten berührt, begeistert und beschäftigt haben, stelle ich in diesem Rückblick vor. Wobei sich die Formulierung »Die besten Bücher« nicht auf 2020 als Erscheinungsjahr bezieht, denn mir geht es bei der Lektüreauswahl nie darum, stets die aktuellen Verlagsprogramme im Fokus zu haben; viele Titel lese ich erst Jahre nach deren Erscheinungstermin. Daher ist auch diesmal eine bunte Mischung an neuen und älteren Werken zusammengekommen. Aber seht selbst.  „Mein Lesejahr 2020: Die besten Bücher“ weiterlesen

Lesestoff. Mit Erinnerungen

Eine bedruckte Stofftasche ist oft viel mehr als nur ein Werbeträger – sie ist ein Statement. Von einigen Buchbegeisterten weiß ich, dass sie Taschen mit literarischen Motiven leidenschaftlich gern sammeln. Ich würde das nicht von mir behaupten, aber trotzdem sind in den letzten Jahren einige davon zusammengekommen. Und jede von ihnen erinnert mich an eine Reise oder ein besonderes Erlebnis, immer im Zusammenhang mit Büchern oder Literatur. Die Stofftaschen sind alle nicht mehr taufrisch, denn sie sind in ständiger Benutzung – meist, um die Bücher darin einzuwickeln, die mich tagsüber begleiten. „Lesestoff. Mit Erinnerungen“ weiterlesen

Schreiben, um zu leben

Lily King: Writers & Lovers

Der Roman »Writers & Lovers« von Lily King beginnt mit einem starken ersten Satz: »Ich verbiete mir strikt, schon am Morgen an Geld zu denken.« Schon hat man als Leser eine Person vor Augen, die vollkommen mit dem Rücken zur Wand steht. Diese Person, diese Ich-Erzählerin ist Casey, die einen ganzen Sack voll heftiger Probleme mit sich trägt; ihr einziger Trost, ihre einzige Hoffnung, ihr einziges Verlangen ist das Schreiben. »Ich schreibe, weil sich ohne das Schreiben alles noch trostloser anfühlt.« Casey ist Autorin, 31 Jahre alt, pleite, Halbwaise mit einem gebrochenen Herzen und gelegentlichen Angstattacken, und sie schreibt seit sechs Jahren an ihrem ersten Roman. „Schreiben, um zu leben“ weiterlesen

Acht Tage, sechs Bücher

Acht Tage, sechs Buecher

Ende Mai hatte ich eine Operation am Knie. Danach war ich im wahrsten Sinne des Wortes für acht Tage ausgebremst; damit die OP-Narbe gut verheilen konnte, verbrachte ich die Zeit mehr oder weniger liegend. Und lesend. Sechs Bücher sind es geworden, von denen vier schon länger im Regal standen und auf den richtigen Lesemoment gewartet haben. Ein neues Buch eines Lieblingsautors aus alten Zeiten war dabei, dann ein Buch, dass mich mit einer völlig unerwarteten Wucht traf. Ein Buch, das ich fast wieder weggelegt hätte, bevor eine kurze Textstelle mich geradezu in die Story hineingerissen hat. Ein Ausflug ins 19. Jahrhundert gehörte dazu, außerdem eine literarische Begegnung mit einem amerikanischen Kultautor. Und ein Buch, das weit hinter meinen Erwartungen zurückgeblieben ist. „Acht Tage, sechs Bücher“ weiterlesen

Murakami, zweiter Versuch

Haruki Murakami: Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki

Es ist schon einige Jahre her, dass ich mein erstes Buch von Haruki Murakami gelesen habe. Es war »Wilde Schafsjagd«, ich habe mich bis zur letzten Seite durchgequält und fand es furchtbar. Abgehakt, dachte ich lange Zeit. Allerdings ist der Name des Autors so präsent, dass man immer wieder auf ihn stößt. Und durch das Bloggen über Literatur kenne ich etliche Menschen, deren Buchempfehlungen ich sehr schätze und die jedem neuen Murakami-Roman begeistert entgegenfiebern. Irgendetwas scheine ich überlesen zu haben, irgendetwas, das es doch noch zu entdecken gibt – diese Gedanken waren der Auslöser für den zweiten Versuch, den ich letzten Herbst mit »Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki« startete. Denn, so versicherten mir mehrere Murakami-Fans, dieser Roman sei einer der am leichtesten zugängliche und ein guter Einstieg. 

Um es gleich vorwegzunehmen: Ich gehöre immer noch nicht zur Murakami-Fangemeinde. Doch die Lektüre von »Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki« war ein Leseerlebnis der ganz besonderen Art. „Murakami, zweiter Versuch“ weiterlesen

Über Literatur reden? Unbedingt!

Ueber Literatur reden? Unbedingt!

Vor ein paar Tagen las ich auf Facebook den Post »Literaturliebe in Zeiten von Corona? Mache mir gerade um anderes Sorgen.« Es war eine Reaktion auf aktuelle Lektürelisten zu den Themenbereichen Ausnahmezustand, Pandemie oder soziale Distanzierung. Nun kann ich verstehen, dass man angesichts verstörender Bilder und mit der Angst vor einem drohenden wirtschaftlichen Zusammenbruch nicht unbedingt »Die Pest« von Albert Camus lesen möchte – wobei der Roman gerade eine wahre Renaissance erlebt.

Aber gerade die ohne Zweifel kommende Wirtschaftskrise betrifft in besonderem Maße auch die Literaturlandschaft und unsere fragile literarische Infrastruktur. Es gibt bei uns ein dichtes Netz von Buchhandlungen, die sich engagieren, die Autoren eine Bühne geben und dafür sorgen, dass Bücher in der Öffentlichkeit sichtbar sind. Viele dieser mittelständischen Buchläden waren schon vor der Corona-Krise unterkapitalisiert, sie funktionierten nur durch den unermüdlichen Einsatz der dort beschäftigen Buchhändlerinnen und Buchhändler. Eine möglicherweise monatelange Schließung hätte katastrophale Folgen für sie.

Und wenn Buchhandlungen aus den Städten verschwinden, dann verschwindet auch die Sichtbarkeit von Büchern, es droht eine ernsthafte Beschädigung unserer Literaturlandschaft. „Über Literatur reden? Unbedingt!“ weiterlesen

Mein Lesejahr 2019: Die besten Bücher

Mein Lesejahr 2019: Die besten Buecher

2019 war ein lohnendes Lesejahr mit zahlreichen Entdeckungen und vielen Büchern, die mich begeistert haben. Eine Statistik führe ich nicht und zähle auch nicht, wie viel ich in einem Jahr lese – mehr als ein Buch nach dem anderen geht ja nicht und letztendlich sind sowieso nur die Inhalte wichtig. Für diesen Beitrag habe ich meine persönlichen fünfzehn Favoriten zusammengestellt; es sind die Romane und Sachbücher, die mich am meisten bewegt haben. Manche sind 2019 erschienen, andere standen schon seit ein paar Jahren im Buchregal. Und nicht alle davon sind schon hier auf Kaffeehaussitzer präsentiert worden, daher ist die Liste auch als eine Art Ausblick auf kommende Beiträge zu sehen. „Mein Lesejahr 2019: Die besten Bücher“ weiterlesen

Nicht wegschauen!

Ein Gastbeitrag von Maria-Christina Piwowarski* zur Schließung des Georgian National Book Center.

Die erfahreneren Buchmessebesucherinnen und -besucher raunten bewundernd: So etwas hätten sie seit Island nicht mehr erlebt, diese Stimmung der Begeisterung, des Mitgerissenwerdens, der literarischen Euphorie.

Georgien ist ein kleines Land am Schwarzen Meer, das geografisch bereits zu Asien gehört, ein Grenzland der Kontinente, ein Verbindungsstück der Kulturen.

Auf einer Fläche kleiner als Bayern leben nur ungefähr ein Viertel so viele Menschen. Und doch hat Georgien einen leidenschaftlichen Sturm der Sympathie für seine Literatur entfacht, als es im vergangenen Jahr Gastland der Frankfurter Buchmesse war.

Auch der Auftritt des Gastlandes Brasilien im Jahr 2013 bleibt den meisten als besonders gelungen in Erinnerung, doch Georgien hat 2018 noch einmal völlig neue Maßstäbe gesetzt und für viele sogar den eingangs erwähnten, oft gerühmten Auftritt Islands in den Schatten gestellt. Georgien in Frankfurt war etwas Einmaliges. „Nicht wegschauen!“ weiterlesen

Der Sessel

Der Sessel. Ein Beitrag für das Lesemagazin KUDU.

Mitten im Raum stand der Sessel. Ein wuchtiges Ding, das dazu einlud, es sich darin mit einem Buch bequem zu machen. Der Fußboden war übersät mit Mörtelbrocken und Glasscherben, die Wände waren vollgesprüht mit Graffiti, in einer Ecke lagen angekohlte Holzstücke und durch die eingeschlagenen Fenster wehte ein eiskalter Wind. Und doch ratterte beim Anblick dieses Sessels sofort das Kopfkino los. Wie mochte er wohl an diesen Platz gekommen sein? Aber bevor ich weitererzähle, sollte ich zuvor die Frage beantworten, wo wir eigentlich gerade sind. Und was ich da mache. „Der Sessel“ weiterlesen

Der Zeit nicht mehr gewachsen

Lucy Fricke: Toechter

Es geschieht manchmal, aber nicht oft: Man beginnt abends mit einem neuen Buch, versinkt vollkommen darin und klappt es komplett durchgelesen mitten in der Nacht wieder zu. Bei »Töchter« von Lucy Fricke war es genau so. Am Tag danach war ich zwar furchtbar müde, aber es hat sich gelohnt. Jede Seite. Jedes Wort.

Ich hatte sowieso vor, den Roman zu lesen. Bald. Dann landete ich beim abendlichen Durchforsten der Literaturblogs wieder einmal bei buchrevier, wo Blogger Tobias Nazemi Lucy Frickes Buch vorstellte – so begeisternd, dass ich »Töchter« direkt aus dem Berg der Buchvorräte hervorgezogen habe. „Der Zeit nicht mehr gewachsen“ weiterlesen

Gesellschaftsstudie

J. D. Vance: Hillbilly-Elegie

Ein Buch über das Verschwinden einer Arbeiterklasse, über die Verlogenheit des amerikanischen Traums und über den steinigen Weg zu einem bürgerlichen Leben: J.D. Vance zeigt uns in »Hillbilly-Elegie« eine für uns kaum vorstellbare Welt und beschreibt anschaulich den Zerfall der amerikanischen Gesellschaft. Außerdem ist es ein Buch, das mir eine Türe zu längst vergessen geglaubten Erinnerungen aufgestoßen hat. Aber davon später. „Gesellschaftsstudie“ weiterlesen