Das Reisen und das Lesen

Das Reisen und das Lesen: Mit Dennis Lehane, Joan Sales und Leonardo Padura

Eine der wichtigsten Ferienvorbereitungen – wenn nicht sogar die allerwichtigste – ist die Auswahl der Bücher, die einen auf der Reise begleiten werden. Schon Wochen vor dem Urlaubsstart beginne ich darüber nachzudenken; vor dem Buchregal stehend treffe ich nach und nach meine Auswahl. Und das ist nicht einfach, denn zum einen steht nur ein begrenzter Platz im Gepäck zur Verfügung und zum anderen warten zahllose Bücher darauf, endlich gelesen zu werden. Nicht davon zu reden, dass auch in der Vorbereitungszeit neue Bücher Einzug ins Regal halten. Dazu kommt die Befürchtung, dass der Lesestoff nicht reichen könnte; ein furchtbarer Gedanke. Und tatsächlich gingen mir vor fünfundzwanzig Jahren einmal die Buchvorräte aus, auf einem abgelegenen Campingplatz mitten in Andalusien. Eine traumatische Erfahrung, die dazu geführt hat, dass ich ganz bewusst mehr Bücher mitnehme, als ich in der Urlaubszeit schaffen kann – aber man braucht ja auch eine kleine Auswahl, oder nicht? Geht es mit dem Auto in die Ferien, ist auch schon mal ein extra Buchkoffer mit circa zwanzig Büchern dabei; eine Art Reisebibliothek. Und ja, ich weiß, dass ein Tolino viel platzsparender wäre und dass ich mir zur Not auch ein Buch auf das iPhone laden könnte (was auch schon vorkam, da es genau der eine Titel in genau diesem Moment sein musste). Aber außerhalb von Notfällen kommen E-Books für mich nicht in Frage, es fehlt ihnen alles, was zum Lesen gehört: Der Geruch, die Haptik, das Rascheln der umgeblätterten Seiten, die Markierungen mit dem Bleistift – und im Urlaub die Sandkörner, die noch Wochen oder Jahre später im Buch zu finden sind. 

Diesen Sommer ging es für knapp drei Wochen in die Region zwischen Porto und Salamanca. Es war ein wunderbarer Roadtrip, der in menschenleere Bergregionen führte und in den Trubel wunderschöner, alter Städte. Und in viele Cafés, natürlich. Sieben Bücher hatte ich im Gepäck, drei davon habe ich während der Reise gelesen. Alle drei standen schon seit Jahren im Regal und alle drei haben mich vollkommen begeistert. Es sind die Romane »Im Aufruhr jener Tage« von Dennis Lehane, »Flüchtiger Glanz« von Joan Sales und »Der Mann, der Hunde liebte« von Leonardo Padura. Es werden noch ausführliche Texte zu diesen Büchern folgen, hier kommen schon einmal die Kurzvorstellungen.

Das Reisen und das Lesen: Mit Dennis Lehane, Joan Sales und Leonardo Padura

Dennis Lehane: »Im Aufruhr jener Tage«

Es war eigentlich keine Überraschung, dass mir dieses Buch gefallen würde, denn bisher mochte ich alles, was ich von Dennis Lehane gelesen habe – wie etwa sein Mafia-Epos »In der Nacht«. Wäre mir aber bewusst gewesen, wie herausragend gut »Im Aufruhr jener Tage« ist, dann hätte ich nicht jahrelang damit gewartet. Der Roman führt nach Boston in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Es brodelt, Gewalt liegt in der Luft. Eine Wirtschaftskrise deutet sich an; materielle Not, Korruption, Wut und Rassismus verbinden sich zu einer explosiven Mischung. Lehane erzählt die Geschichte dreier Menschen: Danny Coughlin, der aus einer irischen Polizistenfamilie stammt und der beginnt – aufgerüttelt von der Notlage der einfachen Polizisten, deren Gehälter schon längst nicht mehr reichen, um ihren Familien ein menschenwürdiges Dasein zu bieten – an der gewerkschaftlichen Organisation des Polizeikorps mitzuarbeiten. Und sich damit zahlreiche Feinde in Politik und Stadtverwaltung schafft. Luther Laurence, Afro-Amerikaner und Baseball-Talent, der aus der Stadt Tulsa fliehen musste, nachdem er sich dort mit dem örtlichen Gangsterboss angelegt und einige Leichen hinterlassen hat. Und Nora O’Shea, die einer erzwungenen Ehe in Irland entkommen ist und in Boston versucht, sich ein neues Leben zu schaffen. Vor dem Hintergrund einer Zeit gewaltsamer Umbrüche verknüpfen sich diese drei Lebensläufe zu einem grandios und mitreißend erzählten Drama. Und wir lernen Joe Coughlin kennen, Dannys kleinen Bruder, dem wir im Roman »In der Nacht« wieder begegnen werden. 

Joan Sales: »Flüchtiger Glanz«

»Flüchtiger Glanz« ist im Jahr 1956 erschienen; aufgrund der Zensurbestimmungen in Francos Spanien allerdings nur in einer stark gekürzten Version. Erst seit 1971 liegt der vollständige Roman vor und er gilt heute als einer der Meilensteine der katalanischen Literatur. Joan Sales schildert darin den Lebenshunger von vier jungen Menschen aus Barcelona, deren Welt durch den Spanischen Bürgerkrieg zerbricht. Es sind dies Lluís, der auf Seiten der Republikaner in den Krieg gezogen ist, im tiefsten Inneren froh darüber, sich in dieser Ausnahmesituation beweisen zu können – bis ihn der Horror der Kämpfe und die Tristesse im Hinterland der Front verändern werden. Die Anarchistin Trini, Lebensgefährtin von Lluís, die mit dem gemeinsamen kleinen Sohn in Barcelona lebt, dort erst den anarchistischen Terrors erlebt, der ihre Überzeugungen zerstört, und später das faschistische Bombardement. Der Sanitäter Cruells, der – obwohl überzeugter Katholik und angehender Priester – auf republikanischer Seite kämpft. Und Soleràs, der verzweifelt nach dem Sinn des Lebens sucht und dabei verloren zu gehen droht: Obwohl er nur in den Berichten und Briefen der anderen drei vorkommt, ist er die Schlüsselfigur des Romans, bei dem alle Fäden zusammenlaufen. »Flüchtiger Glanz« ist ein wahrhaft episches Werk, das es schafft, anhand von vier Schicksalen eine Epoche zum Leben zu erwecken, die entscheidend war für den Verlauf der europäischen Geschichte. 

Leonardo Padura: »Der Mann, der Hunde liebte«

In »Der Mann, der Hunde liebte« erzählt Leonardo Padura die Lebensgeschichte von Ramón Mercader, dem Mann, der am 20. August 1940 Leo Trotzki in seinem mexikanischen Exil einen Eispickel in den Kopf rammte und ihn damit umbrachte. Auf drei Erzählebenen nähern wir uns dem dramatischen Ereignis an: Padura schildert minutiös, wie Mercader während des Spanischen Bürgerkriegs für den NKWD – Stalins Mordmaschinerie – rekrutiert, wie er ausgebildet und darauf getrimmt wurde, andere Identitäten anzunehmen. Wie er mit Hass auf den Dissidenten gefüttert wurde, um jegliches Mitleid oder gar Verständnis abzutöten. Parallel dazu beschreibt der Autor Trotzkis Weg in die Verbannung und die Eskalation von Stalins Terrorherrschaft, der unzählige Menschen zum Opfer fallen werden; auch fast die gesamte Riege der einstigen Akteure der Oktoberrevolution. Und wie sich der Ring der Einsamkeit und Ausgrenzung immer enger um Trotzki zieht, bis zum Ende. Die beiden Handlungsstränge laufen bei dem Ich-Erzähler Iván zusammen, einem Kubaner, der in den Siebzigerjahren einen Mann mit zwei wunderschönen Hunden am Strand kennenlernt. Einen todkranken Mann, der nicht mehr lange zu leben hat und ihm eine Geschichte erzählt, die sein Weltbild erschüttern wird. 

Das waren meine drei Urlaubslektüren, die mich noch einmal zusätzlich in andere Zeiten schickten, während ich unterwegs war. Wie Reisen innerhalb einer Reise – etwas, das nur die Literatur schafft. Immer wieder. 

Bücherinformationen
Dennis Lehane, Im Aufruhr jener Tage
Aus dem Englischen von Sky Nonhoff
List Verlag
ISBN 978-3-548-61029-0

Joan Sales, Flüchtiger Glanz
Aus dem Katalanischen von Kirsten Brandt
Hanser Verlag
ISBN 978-3-446-24910-3

Leonardo Padura, Der Mann, der Hunde liebte
Aus dem Spanischen von Hans-Joachim Hartstein
Unionsverlag
ISBN 978-3-293-20579-6

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5 Antworten auf „Das Reisen und das Lesen“

  1. Schöner Beitrag Uwe, jedes Jahr vor dem Urlaub geht es mir exakt so, wie Du schreibst.

    Wir fahren meist nach Dänemark und da ich inzwischen Dänisch gelernt habe, kann ich im Urlaub in jeden Buchladen gehen und mir Lektüre holen. Das nutze ich von Jahr zu Jahr mehr und so verschwindet die «Höllenangst« vor einer Lesedürre. Hängt natürlich auch von der Qualität der Buchläden ab, da bin ich mit »Olivarius« (auf Bornholm) klar im Vorteil.
    Zu Deiner Lektüre Auswahl kann ich nicht viel sagen, ich sehe, daß Du auf einer völlig anderen literarischen Schiene fährst 🌝
    Was das reinschauen in Deinen Blog wiederum reizvoll macht.
    Grüße aus Berlin!

  2. Lieber Uwe,
    mir geht es bei der Urlaubsplanung ganz genau so! Und auch ich hatte schon das traumatische Erlebnis – allerdings auf einen Bauernhof irgendwo im Hunsrück. Es war zum VERRÜCKTWERDEN!
    Aber ich liebe es auch vor Ort in den Buchläden zu kaufen. Ich hatte dieses Jahr u.a. Elena Fischer „Paradise Garden“ mit.
    Deine Auswahl ist wunderbar!
    Padura und Sales habe ich schon gelesen. Zu Sales hatte ich geschrieben: „Für „Flüchtiger Glanz“ braucht man einen langen Atem. Man muss sich auf die unterschiedlichen und weitschweifenden Gedankengängen der verschiedenen Hauptcharaktere einlassen können – zuweilen ein kleiner Kampf mit der Lektüre, der aber belohnt wird!“

    Lieben Gruß aus Mainz!

  3. Ich finde das so schön, dass auch andere finden, dass die Frage nach der Urlaubslektüre sehr entscheidend ist. Allerdings scheitert bei mir die Planung (ich nehme natürlich auch immer viel zu viel mit) regelmäßig daran, dass ich vor Ort (zumindest wenn die Chance auf englisch- und deutschsprachige Bücher gegeben ist) natürlich auch in jeden Buchladen muss. Und dann habe ich viel mehr Lust auf meine spontanen Entdeckungen. Eigentlich könnte ich also getrost nur mit ein oder 2 Büchern losreisen. LG Anna

  4. Lehane und Padura hab ich schon gelesen – perfekte Sommerlekture, wurde ich sagen. Joan Sales hort sich sehr interessant an, besonders da wir (also Corylus Books) bald ein Roman veroffentlichen, der auch ein bisschen von Jugendtraume und Freundschaften wahrend des Spanischen Burgerkrieges handelt (Black Storms).

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