Lesestoff. Mit Erinnerungen

Eine bedruckte Stofftasche ist oft viel mehr als nur ein Werbeträger – sie ist ein Statement. Von einigen Buchbegeisterten weiß ich, dass sie Taschen mit literarischen Motiven leidenschaftlich gern sammeln. Ich würde das nicht von mir behaupten, aber trotzdem sind in den letzten Jahren einige davon zusammengekommen. Und jede von ihnen erinnert mich an eine Reise oder ein besonderes Erlebnis, immer im Zusammenhang mit Büchern oder Literatur. Die Stofftaschen sind alle nicht mehr taufrisch, denn sie sind in ständiger Benutzung – meist, um die Bücher darin einzuwickeln, die mich tagsüber begleiten.

What are you reading now? Eine Tasche aus der NYPL

New York Public Library

Es ist die Frage der Frage aller Buchmenschen: Was liest du gerade? Manchmal stelle ich sie auf Twitter, schicke sie in die Runde und erhalte die unterschiedlichsten Antworten. So unterschiedlich wie die Menschen sind auch deren Lesevorlieben – und gleichzeitig verbindet uns die Liebe zum geschriebenen Wort. 2018 war ich zum ersten und bisher einzigen Mal in New York, meinem Sehnsuchtsort schlechthin. Eine überwältigende Erfahrung und eines der vielen Highlights war natürlich der Besuch der New York Public Library. Grandios das Gebäude, geradezu paradiesisch der monumentale Lesesaal. Bei alldem ist die NYPL mit ihren Zweigstellen aber viel mehr als eine gewöhnliche Bibliothek, sie ist eine Institution mit einem umfassenden Angebot für Menschen in den unterschiedlichsten Lebenssituationen. Sehr zu empfehlen ist der Film »Ex Libris«, der einen spannenden Blick hinter die Kulissen wirft und zeigt, was diese Bibliothek gesellschaftlich alles leistet. Und das ist eine ganze Menge. 

18 Miles of Books – The Strand Bookstore

The Strand Bookstore New York

Noch einmal New York: Mit den sagenhaften 18 Meilen Buchregalen wirbt der Strand Bookstore, den es seit 1927 in Manhattan gibt. Weltweit gilt »The Strand« als eine der berümtesten Buchhandlungen und wird in einem Atemzug genannt mit Shakespeare & Company in Paris, dem in einem alten Theater untergebrachten El Ateneo in Buenos Aires oder dem City Lights Bookstore in San Francisco, einst Weiheort der Beat Generation. Und natürlich durfte beim Flanieren durch New Yorks Straßen ein Besuch beim Strand nicht fehlen. Während ich zwischen den alten, abgestoßenen Holzregalen umherstreifte, senkte sich der frühe Oktoberabend auf die Stadt, draußen gingen die Lichter an, und als ich die Buchhandlung verließ, tauchte ich ein in den Strom der unzähligen Menschen auf den Gehwegen, die überall unterwegs waren. Ein langer Spaziergang bis hoch zum Hotel in der 48. Straße folgte, das alles in der Tageszeit, die ich in einer Stadt neben dem frühen Morgen am meisten liebe: Wenn der Nachmittag in den Abend übergeht und eine Mischung aus Spannung und Ausgeglichenheit über allem liegt. Selten habe ich mich so im richtigen Moment am richtigen Ort gefühlt wie an diesem Abend. 

Norsk Litteraturfestival in Lillehammer

Norsk Litteraturfestival Lillehammer

2019 war Norwegen das Gastland der Frankfurter Buchmesse. Für die norwegische Literatur, die aufgrund der Bevölkerungsgröße des Landes sehr auf Übersetzungsrechte angewiesen ist, bedeutete das eine riesige Chance, sich einem weltweiten Publikum exklusiv zu präsentieren. Geplant wurde der Auftritt von NORLA, einer Institution, die ausgeschrieben Norwegian Literature Abroad heißt. NORLA lud vorab zu verschiedenen Pressereisen nach Norwegen ein und ich hatte die Ehre und das große Vergnügen, Ende Mai 2018 mit einer Pressedelegation nach Oslo und zum Literaturfestival Lillehammer zu reisen. Es waren drei inspirierende Tage, vollgepackt mit wunderbaren Gesprächen, beeindruckenden Erlebnissen und jeder Menge Literatur. Hier im Blog habe ich ausführlich darüber berichtet. Während ich dies schreibe, wirkt eine solche Reise gedanklich schon fast unwirklich. Aber gleichzeitig sind diese Erinnerungen ein Trost und ein Ausblick auf Zeiten, die wiederkommen werden. 

Beim Suhrkamp Verlag auf der Leipziger Buchmesse

Suhrkamp Verlag

Auch das Gedränge auf den Buchmessen in Leipzig und Frankfurt kommt einem gerade irreal vor. All die Menschen, die Gespräche, die Treffen, die inspirierenden Begegnungen, das Wiedersehen mit alten Freunden, die schon fast zur Tradition gewordene Leipziger Wohnzimmerlesung – ich bin zuversichtlich, dass dies wiederkehren wird, doch die Durststrecke ist sehr mühsam. Diese Tasche erinnert mich an einen der letzten Gesprächstermine, die ich am Suhrkamp-Stand mit Demian Sant’Unione geführt habe, der bei Suhrkamp das Onlinemarketing verantwortet. Zum Abschied gab es – natürlich – ein Buch und eben diese Tasche. Eine Erinnerung an gute Messezeiten. Und seit einem Tweet auf Twitter muss ich als Tolkien-Leser dabei auch stets an Mittelerde denken, auch wenn dies mit Suhrkamp nichts zu tun hat. Leider ist der Twitter-Account nicht mehr aktiv, daher sieht der zitierte Tweet etwas seltsam aus.

The Notting Hill Bookshop

The Notting Hill Bookshop

Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, wie oft ich den Film »Notting Hill« schon gesehen habe, aber an dieser Stelle muss ich gestehen, dass ich bei Filmen aus irgendeinem Grund sehr nah am Wasser gebaut bin. Und wenn in der Abschlussszene Julia Roberts sagt: »Indefinitely«, dann bekomme ich auch bei der gefühlt dreißigsten Wiederholung feuchte Augen. Das war mir früher peinlich, aber warum eigentlich? Es ist, wie es ist. Und es war eine Selbstverständlichkeit, dass ich bei einer London-Reise den Notting Hill Bookshop besucht habe, der in der Realität keine Reiseführer-Buchhandlung ist, sich aber trotz des Rummels um den Film einen angenehmen Charme bewahrt hat. Das war im Februar 2020, das Wort »Corona« existierte schon, aber zu diesem Zeitpunkt war es für mich noch irgendeine dubiose Seuche in China. Keinen Monat später hatte sich die ganze Welt verändert. 

Die Kölner Literaturnacht

Koelner Literaturnacht

Der Verein Literaturszene Köln e.V., zu dessen Gründungsmitgliedern ich gehöre, ist der Ausrichter der Kölner Literaturnacht. Das Ziel des Vereins ist es, die vielfältige Arbeit Kölner Literaturschaffender sichtbarer zu machen, Netzwerke zu bilden und letztlich die Arbeitsbedingungen für das Entstehen von Literatur in Köln zu verbessern. Vor diesem Hintergrund war die erste Kölner Literaturnacht unser erstes großes Projekt. Anfang Mai 2019 fand sie statt, mit 137 Veranstaltungen an 42 Orten – ein Abend, eine Nacht, in der Menschen zusammenkamen, um die Literatur zu feiern, die in ihrer Stadt entsteht. Es war eine wunderbare Erfahrung und eigentlich sollte es 2020 eine zweite Kölner Literaturnacht geben. Die Fördermittel waren geklärt, das Programm kuratiert, die Programmhefte gedruckt und die Webseite fertiggestellt. Dann kam Corona und wie so viele andere Veranstaltungen musste auch diese abgesagt werden. Doch diese Tasche erinnert an das bisher Erreichte und zur Zeit arbeiten wir an einem Nachholtermin für 2021 (Nachtrag: Die zweite Kölner Literaturnacht fand am 18. September 2021 statt).

Die Liebeskind Verlagsbuchhandlung – ein Andenken

Liebeskind Verlag

Nicht aus Stoff, sondern aus Papier, dafür aber eine Rarität. Der Liebeskind Verlag in München ist einer meiner absoluten Lieblingsverlage. »Winters Knochen« von Daniel Woodrell, »White Tears« von Hari Kunzru, »Graben« von Cynan Jones oder »McGlue« von Ottessa Moshfegh, natürlich »Das finstere Tal« von Thomas Willmann – alleine schon diese fünf Romane gehören zu meinen Lesehighlights der letzten Jahre.  In den Anfangstagen firmierte das Unternehmen als »Liebeskind Verlagsbuchhandlung« mit eigenen Verkaufsräumen. Leider sorgten Gentrifizierung und drastische Mieterhöhungen dafür, die Buchhandlung zu schließen und sich ausschließlich auf den Verlag zu konzentrieren, und diese Papiertasche ist eine der letzten aus jener Zeit. Ich habe sie vom Verleger Jürgen Christian Kill bekommen, als ich bei einem Besuch in München mit ihm und seiner Kollegin Susanne Fink über die verlegerische Arbeit, das Entdecken neuer Autoren und über Bücher und Literatur gesprochen habe. 

 Die Buchhandlung meiner Lesesozialisation

Buchhandlung Wendelin Schmid

Plastiktüten halten ewig. Das ist global gesehen ein riesiges Problem, aber in diesem einen Fall bin ich dafür dankbar. Denn diese vermutlich über 35 Jahre alte Tüte ist eine ganz besondere Erinnerung. Eine Erinnerung an die Buchhandlung in meiner Heimatstadt, in der ich das erste Buch meines Lebens selbst gekauft habe. Es war »Das Rätsel von Burg Schreckenstein« von Oliver Hassenkampp;  in den folgenden Jahren meiner Kindheit und Jugend habe ich einen Großteil meines Taschengelds und zusammengejobbten Verdienstes in dieser Buchhandlung gelassen. Beim Ausräumen meines Elternhauses vor einigen Monaten habe ich diese Tüte gefunden und die ganze Atmosphäre der Buchhandlung mit ihren dunklen Regalen und dem Geruch nach bedrucktem Papier stand wieder vor meinen Augen. Die Buchhandlung gibt es schon lange nicht mehr, aber sie hat neben dem Vorlesen und den permanenten Besuchen in der Stadtbibliothek meine Lesesozialisation maßgeblich mitgeprägt. In einem anderen Beitrag hatte ich bereits darüber geschrieben – und erhielt eine E-Mail von einer Leserin meines Blogs, die in den Achtzigerjahren die letzte Auszubildende in genau dieser Buchhandlung war. Da hat sich auf grandiose Weise ein Kreis geschlossen – ich liebe dieses Internet. 

Es hat Spaß gemacht, in diesen Tagen, in denen man auf die eigenen vier Wände zurückgeworfen ist, die ein oder andere Erinnerung hervorzukramen. Das alles in der Hoffnung, in absehbarer Zeit wieder neue sammeln zu können – bei Besuchen von Literaturfestivals, beim Reisen oder dem unbeschwerten und maskenfreien Bummeln durch die Buchhandlungen. 

Hoffen wir das Beste. 

#SupportYourLocalBookstore

3 Antworten auf „Lesestoff. Mit Erinnerungen“

  1. Wieder ein sehr schöner Beitrag. Taschen und Tüten haben sich interessanterweise bis heute als Werbeträger erhalten. Bei allem Wandel gibt es auch Bleibendes. Ich bin immer noch ganz stolz auf meine dunkelblaue „Norway Guest of Honour“ Tasche, die ich 2019 auf der Frankfurter Buchmesse gerade noch ergattern konnte. Und die Chefin von NORLA saß direkt neben mir in der Buchhandlung „Weltenleser“ in Frankfurt am Main, als der Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkel dort u.a. aus dem „Eis-Schloss“ von Tarjei Vasaas las. Wahnsinn, wie eng man da zusammen saß! Die Tasche hängt bis heute am Regal, wie eine Trophäe.

  2. Hallo Uwe,
    wie kommst du nur immer auf so tolle Ideen? Nachdem ich deinen inspirierenden Beitrag gelesen habe, betrachte ich meine bislang etwas achtlos gestapelten Stofftaschen mit deutlich mehr Wertschätzung und siehe da: Es haben sich noch zwei Stofftaschen einer alten Lieblingsbuchhandlung gefunden, die es leider nicht mehr gibt. Ich habe mir fest vorgenommen, diese beiden Taschen nur noch zum Buchtransport zu benutzen. – Vielen Dank für deine wunderbaren Empfehlungen und Texte in diesem Jahr. Ich wünsche dir eine schöne Weihnachtszeit und viel Glück im neuen Jahr. Mögen die Zeiten besser werden!!!

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