Ganz exakt weiß ich nicht mehr, wann ich das erste Buch aus dem Liebeskind Verlag in die Hände bekommen habe. Aber sehr genau erinnere ich mich daran, sofort vollkommen begeistert gewesen zu sein. Es sind Bücher, wie sie sein sollen: Inhalt, Gestaltung, Papier, Geruch, Haptik – alles passt perfekt zusammen und machen jedes zu einem kleinen Gesamtkunstwerk. Und bis auf wenige Ausnahmen haben bisher fast alle meinen Lesegeschmack exakt getroffen. Deshalb wollte ich schon lange wissen, wer sich eigentlich hinter dem Verlagsnamen verbirgt. Als ich kürzlich beruflich einige Tage in München war, ergab sich ein Termin für einen Besuch. So stieg ich im dämmrigen Licht eines Märznachmittags die Holztreppe eines alten Hauses irgendwo in der Nähe des Marienplatzes hoch, hörte das Fischgrätparkett unter meinen Füßen knarren und stand schließlich vor der Türe des Liebeskind Verlags. Ich war gespannt.
Begrüßt wurde ich von Verleger Jürgen Christian Kill und von Susanne Fink, die für Pressearbeit und PR zuständig ist. Mir saßen damit bereits zwei Drittel des Verlags gegenüber und das war gleich die erste Überraschung, denn ich hätte nicht gedacht, dass ein so feines Buchprogramm mit nur drei Personen zu stemmen ist – zudem bis auf den Verleger in Teilzeit. Wir machten es uns bequem und plauderten.
Natürlich wollte ich etwas über die Anfänge des Verlags wissen, gestartet als Verlagsbuchhandlung Liebeskind. So lautet heute noch der offizielle Name, aber bei der Gründung im Jahr 2000 war es tatsächlich die Kombination aus literarischer Buchhandlung und ambitioniertem Verlag, die im Münchener Gärtnerviertel die Pforten öffnete. Dort war Liebeskind bis 2009 beheimatet, dann sorgten Gentrifizierung und damit verbundene drastische Mieterhöhungen dafür, die Buchhandlung zu schließen und sich ausschließlich auf den Verlag zu konzentrieren. Das alte Ladenschild steht im Besprechungsraum und zeugt von dieser Zeit.
Was mich besonders interessierte: Wie schafft es ein kleiner, unabhängiger Verlag sich zwischen den Konzernverlagen zu behaupten, die sich regelmäßig wahre Bieter-Schlachten liefern, um vielversprechende Autoren an Land zu ziehen. Hier plauderte der Verleger aus dem Nähkästchen und schilderte sehr lebendig, wie er tagtäglich auf Perlensuche geht. Ganz wichtig dabei ist die Lektüre der Buchkritiken, des Feuilletons in der ausländischen Presse, in der New York Times, in Le Monde und in vielen anderen. Als wahre Fundgruben erweisen sich vor allem Literaturmagazine, wie etwa Granta – The Magazine of New Writing. Hier war Jürgen Christian Kill auf eine darin abgedruckte Erzählung von Ottessa Moshfegh aufmerksam geworden – ihr Roman »McGlue« erscheint nun bei Liebeskind. Ihr nächstes Buch »Eileen« schaffte es bis auf die Shortlist des Man Booker Price. Und soll ist nun auf Deutsch ebenfalls bei Liebeskind erscheinen erschienen.
Schön sind auch die Anekdoten, wie ein Autor den anderen empfiehlt. David Peace war einer der ersten Stars im Liebeskind-Programm. Durch seinen Tipp kam Daniel Woodrell zu Liebeskind – ein absoluter Volltreffer.
Und immer wieder die Funde über das internationale Feuilleton. 2006 erschien in Le Monde eine Besprechung des Romans »Train« von Pete Dexter. Was für eine Wiederentdeckung dieses großartigen Autors in Deutschland sorgte. Durch Liebeskind. Ebenfalls in Le Monde gab es einen Artikel über Noir-Western – dem wir »Einsame Tiere« von Bruce Holbert verdanken. Manchmal kamen die Empfehlungen über Literaturagenten, wie z.B. bei James Sallis oder Donald Ray Pollock, aber meistens sind die Liebeskind-Bücher die Ergebnisse sorgfältiger Recherchen und einem guten Gefühl für Unentdecktes oder Wiederzuentdeckendem.
Da das Hauptaugenmerk auf diesem Vorgehen liegt – dem Erkunden internationaler Literatur und dem entsprechenden Lizenzeinkauf – sind relativ wenig deutschsprachige Autoren im Programm. Überrascht haben mich Roman und Erzählungen-Band von Bruno Preisendörfer, den ich bisher als Sachbuchautor kennen und schätzen gelernt habe. Und schön ist auch die Geschichte von Thomas Willmann, der – auf Empfehlung einer befreundeten Buchhändlerin – sein Manuskript in einer Plastiktüte in den Verlag gebracht hat. Herausgekommen ist dabei »Das finstere Tal«, eines der großartigsten Bücher, das ich in den letzten Jahren gelesen habe. Hier spielte auch der Verkauf der Filmrechte eine wichtige Rolle für den Verlag, wobei die Entscheidung für die Produktionsfirma in den Händen des Autors lag. der als hauptberuflicher Filmkritiker auch genau wusste, was er wollte. Das Ergebnis gibt ihm recht, den solch eine stimmige Literaturverfilmung wie in diesem Fall gibt es selten.
Zwei weitere Details aus dem Verlagsalltag, der sich in einer Drei-Zimmer-Wohnung mit Holzboden und hohen Altbau-Decken abspielt, fand ich ebenfalls bemerkenswert: Ansprechpartner für den Vertrieb ist der Verleger, aber Bestellungen werden durch denjenigen der drei Verlagsmenschen abgewickelt, der gerade einen entsprechenden Anruf entgegennimmt – für den Vertrieb vor Ort im Buchhandel sind bundesweit Vertreter unterwegs. Und auch die Buchcover entwickelt der Verleger selbst, recherchiert passende Bilder und gibt diese dann weiter an einen externen Graphiker.
Nach dem angenehmen Gespräch über Literatur, über Autoren und ihre Werke, über spannende Entdeckungen und die Begeisterung für schöne Bücher kamen wir noch auf ein weniger schönes Thema zu sprechen, nämlich die Entwicklungen rund um das unverständliche VG-Wort-Urteil. Unverständlich jedenfalls in Bezug auf solch engagierte, kleine und unabhängige Verlage wie Liebeskind. Dabei ging es in unserem Gespräch gar nicht einmal um die Rückzahlungen jahrelang erzielter Einkünfte, die ein kleines Unternehmen durchaus in eine schwierige Situation bringen können. Vielmehr wirke dieses Urteil wie eine staatliche Bescheinigung, dass Verlagsarbeit nichts wert sei, so Verleger Kill. Hier stimme ich ihm voll und ganz zu, diese Entscheidung des Gerichts war und ist ein Schlag ins Gesicht für alle diejenigen, die sich tagtäglich auf Entdeckungsreisen begeben, um neue Autoren zu finden, neue Stimmen bekannt zu machen, Literatur in all ihrer Vielfalt uns Lesern zu erschließen.
Umso wichtiger ist es, sich als eben jene Leser nicht von den Bestsellerstapeln beindrucken zu lassen, sondern nach dem Besonderen Ausschau zu halten. Nach Büchern aus Verlagen mit einem Gespür für das Außergewöhnliche.
Inzwischen war es draußen dunkel, aus dem Nachmittag Abend geworden. Mit einer Papiertüte (eine Rarität: Eine der letzten Tüten der Verlagsbuchhandlung) voller Bücherschätze verließ ich den Verlag, nachdem ich mich bei Susanne Fink und Jürgen Christian Kill für das inspirierende und interessante Gespräch bedankt hatte. Später war ich mit Freunden auf ein Bier verabredet, aber ich hatte Zeit für einen langen Spaziergang. Und zwischen all den tausenden von Passanten, die gerade shoppend in Münchens Innenstadt unterwegs waren, musste ich unwillkürlich lächeln. Gibt es doch tatsächlich Menschen, die beim Namen Liebeskind an irgendeine Modemarke denken. Und nicht an die wunderbaren Bücher eines sympathischen Verlages.
Verlagsbuchhandlung Liebeskind
München
Das Programm und Informationen zum Verlag gibt es unter liebeskind.de
Und die Bücher in jeder Buchhandlung.
#SupportYourLocalBookstore
Ein so wundervoller Verlag! Hab Dank für den schönen Einblick.
Ein schöner Beitrag, bei dem ich viel nachempfinden konnte, denn mir geht es mit Liebeskind tatsächlich nicht anders. Allerdings habe ich es, im Gegensatz zu manch anderem geschätzten Verlag, hier noch nicht geschafft, mal direkt am Standort vorbeizuschauen. Dafür freue ich mich auch dieses Jahr wieder, Frau Susanne Fink am Messe-Stand anzutreffen und sich über Bücher austauschen zu können. Es ist schon manchmal unheimlich, was da Halbjahr für Halbjahr für Perlen entdeckt und veröffentlicht werden. Und wie es dazu kommt, ist immer wieder spannend zu erfahren. Vor allem wenn dann, wie bei der letzten Zusammenkunft in Frankfurt, auch noch ein Peter Torberg mit von der Partie ist.
Danke für diesen tollen Einblick in den Ursprungsort all der lesenswerten Schmöker.
Oh ja, Peter Torberg ist ein begnadeter Übersetzer, ihn würde ich auch gerne einmal kennenlernen.
Ein interessanter Gesprächspartner. Hatten uns damals u.a. über seine gerade zurückliegende (Neu-)Übersetzung von „Der Herr der Fliegen“ und natürlich sein Wirken für Liebeskind unterhalten. Und das ist schon wirklich aufschlussreich zu hören, auf welche Weise man bei einer Übertragung ins Deutsche vorgehen bzw. was man beachten muss. Kann da nur den Hut vor ziehen. Würde mein Englisch durchaus als sehr gut bezeichnen, mir dies aber niemals zutrauen.
In jedem Fall ist der Name Peter Torberg (wie übrigens auch bei Conny Lösch, Jürgen Bürger oder Joachim Körber), für mich meist schon Grund genug, einen Buchtitel auf den Merkzettel zu setzen oder gleich zu kaufen. Erstens aufgrund der Qualität, zweitens weil die übersetzten Bücher in der Regel zu 99 % in mein Beuteschema fallen.
Anlässlich der Neuübersetzung von »Fahrenheit 451« konnte ich Peter Torberg interviewen: https://kaffeehaussitzer.de/ray-bradbury-fahrenheit-451-interview-mit-peter-torberg/