Literatur im Wohnzimmer

Mareike Fallwickl: Dunkelgruen, fast schwarz

Die Leipziger Buchmesse hat dieses Jahr für mich bereits im Januar begonnen. Und zwar während der Lektüre des Romans »Dunkelgrün, fast schwarz« von Mareike Fallwickl. Warum das so war und wie es zu einer großartigen Wohnzimmerlesung in der ehemaligen Dienstbotenwohnung einer Leipziger Gründerzeitvilla kam, möchte ich hier erzählen.

Aber eines nach dem anderen: Ich hatte das Buch im Dezember als Vorabexemplar zugesandt bekommen – so wie viele meiner Bloggerkolleginnen und -kollegen. Schließlich ist die Autorin ebenfalls Literaturbloggerin und wir sind schon seit einigen Jahren vernetzt, kennen und schätzen uns, sehen uns auf den Buchmessen oder bei Verlagsveranstaltungen. Und auf ihrem Blog Bücherwurmloch finde ich regelmäßig Buchtipps, die genau meinen Literaturgeschmack treffen. Man kann sich also vorstellen, dass ich sehr gespannt auf ihren Debütroman war. Damit war ich nicht alleine. Anfänglich stand die Frage im Raum, ob es möglich ist, ein Buch objektiv zu bewerten, wenn man die Autorin kennt und mag – aber diese Bedenken verflüchtigten sich schon nach ein paar ersten Leseminuten, so sehr hat mich der Text von Beginn an fasziniert und mich alles andere um mich herum vergessen lassen.

Ich will an dieser Stelle gar nicht viel zum Inhalt des Buches schreiben, es gibt bereits sehr lesenswerte Rezensionen, etwa in den Blogs Literaturen, Frank O. Rudkoffsky und Bücherkaffee. Oder einen schönen Leserbrief im Blog buchrevier. Möchte nur wenig über die Geschichte einer toxischen Freundschaft berichten, die Mareike Fallwickl in »Dunkelgrün, fast schwarz« erzählt. Nicht viel Worte verlieren über die drei Protagonisten; den gutmütigen, aber etwas ängstlichen Moritz, den berechnenden und hintertriebenen Raffael, die traumatisierte, seelisch zerstörte Johanna, die in Teenagerjahren zu den beiden seit dem Kindergarten befreundeten Jungs dazustößt. Der Beginn des Buches spielt in der Gegenwart und die drei haben sich seit sechzehn Jahren nicht mehr gesehen. Bis plötzlich Raffael nachts regendurchweicht vor der Türe von Moritz‘ Wohnung steht. Und schon nach der dritten Seite ist vollkommen klar, dass hier etwas nicht stimmt, etwas sehr Ungutes in der Luft liegt, beim Lesen mitschwingt.

Sehr gelungen sind die Perspektivwechsel, wenn die Geschichte abwechselnd aus der Sicht von Moritz, seiner Mutter Marie oder Johanna geschildert wird. Es ist ein gekonntes Spiel mit unterschiedlichen Zeitebenen und Rückblenden, durch die sich die in der Gegenwart spielende Handlung nach und nach erklären, sich beim Lesen gleichzeitig ein Abgrund an Boshaftigkeit und Falschheit auftun wird.

Es geschieht nicht oft, dass ich so emotional von einem Roman berührt wurde. Warum war das bei diesem so? Vielleicht weil Mareike Fallwickl eine Geschichte erzählt, die in ihren Protagonisten alles verdichtet, was viele von uns schon selbst erlebt haben. Eine Geschichte über Freundschaft, über Sehnsucht nach Nähe, Vertrautheit, über Familie. Über Eltern und Kinder, über Verlust. Über Entfremdung, über Einsamkeit, Enttäuschungen. Über Betrug und Lügen, über Manipulation. Über das Weitermachen, irgendwie. Über das Ankommen. Und über die Liebe.

Selten habe ich so mit den Personen eines Romans mitgelitten, war so tief in eine Geschichte eingetaucht. Saß Fäuste ballend da, als ich Raf am liebsten sein arrogentes Grinsen aus dem Gesicht geprügelt hätte. Moz wollte ich gerne wachrütteln und stand hilflos neben dem stillen Leiden Johannas. Und dazu ist dieses Buch sprachlich brillant; an manchen Stellen so kristallklar schön, dass ich tatsächlich feuchte Augen bekommen habe.

Mit diesem Roman, mit dieser Begeisterung saß ich Anfang Januar abends am Küchentisch, neben mir ein Glas Rotwein, als mir die kommende Leipziger Buchmesse einfiel. Und ich dachte an meinen guten Freund Hannes Lehner, bei dem ich mich meist zur Buchmesse einquartiere. Vor allem erinnerte ich mich aber daran, wie er vor zwei Jahren einmal meinte, dass er gerne eine Wohnzimmerlesung bei sich veranstalten würde.

Es gibt manchmal Momente, in denen man richtig merkt, wie ein Gedankenrädchen ins andere greift und eine Idee entsteht. Dies war ein solcher. Denn über Facebook bin ich mit der Autorin Mareike Fallwickl vernetzt, ebenso mit Hannes Lehner, dem potentiellen Wohnzimmerlesungsveranstalter, mit Anne Michaelis, die sich bei der Frankfurter Verlagsanstalt um Presse und PR kümmert und alle Termine der Autorin koordiniert, und mit Anja Kösler, eine der Leipzig-liest-Organisatorinnen, die immer auf der Suche nach Locations ist. Es genügte ein Post, um diese losen Fäden zu verknüpfen – und eine rekordverdächtig kurze Zeit später war alles geplant. Am 16. März würde Mareike aus ihrem Roman »Dunkelgrün, fast schwarz« im Wohnzimmer meines guten Freundes Hannes lesen, ich versprach die Moderation zu übernehmen.

So lautete der Plan, und jetzt, wo ich das aufschreibe, ist nach Wochen der Vorfreude schon wieder alles vorbei. Es war ein grandioser, ein wunderbarer Abend. Im ausgeräumten Wohnzimmer stand in einer Ecke vor dem Bücherregal ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen für Mareike und mich; ansonsten waren Bierbänke auf dem knarrenden Fischgrätparkett aufgestellt. Nach und nach trudelten die Gäste ein, die meisten kamen direkt von der Buchmesse, es gab Bier, draußen trieb ein kalter Wind die Schneeflocken fast waagrecht vor sich her, durch die Altbaufenster hörte man dann und wann die Straßenbahn vorbeirumpeln. Umarmungen, Lachen, Begrüßungen, Gespräche, viele kannten sich untereinander. Schließlich saßen 35 Menschen auf den Bänken und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Dann ging es los.

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Gerade frage ich mich, ob es überhaupt möglich ist, mit einem Blogbeitrag und ein paar Photos diese ganz besondere Stimmung zu vermitteln, die an diesem Abend in jenem Leipziger Wohnzimmer herrschte. Dieses Gefühl der Sympathie unter den Anwesenden, das den ganzen Raum ausfüllte, dieses Empfinden, genau im richtigen Moment am richtigen Ort zu sein. Mareike und ich plauderten. Über das Schreiben, über Zeitmanagement und Inspiration, über verschiedene Aspekte des Buches, über die Protagonisten und deren unterschiedliche Perspektiven, die alle um Raffael kreisen; er ist der Mittelpunkt, das unselige Zentrum der Geschichte. Wir sprachen über Synästhesie und Mareikes Recherchen dazu – denn Moritz ist im Roman ein Mensch, der Emotionen als Farben wahrnimmt. Was wiederum zu Fragen zum Entstehen des Titels und des Buchcovers führte, worauf wir über die Zusammenarbeit mit ihrer – ebenfalls anwesenden – Literaturagentin Caterina Kirsten und über das Engagement des Verlags für ihr Buch redeten. Von beidem schwärmte die Autorin. Dazwischen las Mareike verschiedene Passagen aus »Dunkelgrün, fast schwarz«, entspannt trotz eines langen Messetages, ab und zu drang ihr charmanter österreichischer Akzent durch. Es war – und ich weiß, dass ich mich wiederhole – ein ganz und gar wunderbarer Abend.

Dann Applaus, mehr Bier, mehr Gespräche. Jeder redete mit jedem und ganz langsam löste sich die Gesellschaft auf, verlagerte sich zum Teil zur Party der jungen Verlage im Felsenkeller Plagwitz, fünfzehn Minuten zu Fuß entfernt. Und wenn Mareike Fallwickl einst eine berühmte Autorin sein wird, dann können alle Anwesenden dieses Abends sagen: Wir kannten sie schon, als sie noch in kleinen Wohnzimmern gelesen hat.

Zum Schluss bleibt mir nur, mich bei allen Beteiligten zu bedanken. Bei den Gästen für das Dabeisein, bei Mareike für ihren großartigen Roman und das schöne Gespräch mit ihr. Und vor allem bei Hannes für seine unvergleichliche Gastfreundschaft. Wobei ich hierfür Mareike zitieren möchte, die direkt nach der Lesung auf Facebook schrieb: »Hannes ist der Beste. Hannes hat gestern sein Wohnzimmer ausgeräumt und für meine Lesung zur Verfügung gestellt. Hannes hat Bier besorgt, und als ich auf dem Weg im Stau stand, hat Hannes die Gäste bei Laune gehalten. Hannes hat gesagt: »Kein Stress« und: »Alles gut« und »Ich freu mich«, und weil Anne und ich den Mörderhunger hatten, hat Hannes uns in seiner Küche die köstlichsten Jausenbrote der Welt bereitgestellt. Hannes ist seit Studienzeiten ein Freund von Kaffeehaussitzer, der meine Lesung so großartig moderiert hat. Und dann, als wäre das alles nicht schon genug gewesen, hat Hannes mir auch noch Blumen geschenkt. Hannes ist der Beste. Seid wie Hannes!« #seidwiehannes

Weitere Eindrücke des Abends gibt es hier: buchrevier-Blogger Tobias Nazemi hat die Wohnzimmerlesung gefilmt und online gestellt. Und Paula Baudach hat für das Webprojekt Leipzig lauscht darüber geschrieben.

Dieses Photo hier ist am nächsten Tag entstanden, als wir aufgeräumt haben. Da erst habe ich bemerkt, wie perfekt die Plakate, die als Wegweiser aufgehängt waren, sich in das Treppenhaus einfügten.

Denn Treppe und Geländer sind dunkelgrün, fast schwarz.

Buchinformation
Mareike Fallwickl, Dunkelgrün, fast schwarz
Frankfurter Verlagsanstalt
ISBN 978-3-627-00248-0

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12 Antworten auf „Literatur im Wohnzimmer“

  1. Lieber Uwe,

    das klingt nach einem wirklich wundervollen Abend! Deine Worte versprühen regelrecht deine Begeisterung und ich denke, dass nach diesem Beitrag so einige – und vor allem ich! – zu Hause sitzen und hoffen, irgendwann einmal auch einen so fabelhaften Abend miterleben zu können.

    Liebe Grüße
    Cora

    1. Liebe Cora,

      es freut mich sehr, dass die Stimmung so gut rüberkommt – es war wirklich ein einzigartiger Abend. Wahrscheinlich auch deshalb, weil alles so spontan zustande gekommen ist. Trotzdem ruft es quasi nach Wiederholung, und wenn Du nächstes Jahr am Buchmessefreitag in Leipzig sein solltest…

      Liebe Grüße
      Uwe

    1. Ich danke Dir.
      Und das Moderieren hat mir auch total Spaß gemacht – hätte ich so vorher gar nicht gedacht.
      Aber man lernt ja nie aus, wer weiß, was noch alles geschehen wird…

  2. Lieber Uwe,

    um auf deine Frage einzugehen: Man kann nachempfinden, wie dieser Abend, wie die Stimmung war, wie man am etwas einzigartigem teilnehmen konnte. Danke für diesen tollen Nachbericht, der so lebendig wirkt, als wäre man dabei gewesen.

    Liebe Grüße
    Marc

    P.S. Wenn alles gut läuft, kann ich ab Samstag das Buch endlich lesen (Indiebookday ???? hooray)

    1. Ich kann mich Marc nur anschließen, in allem. Ich konnte super nachvollziehen, die Bilder sind großartig und das Buch kriege ich hoffentlich auch am Samstag!! <3-liche Grüße, Bri

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