Mein Lesejahr 2019: Die besten Bücher

Mein Lesejahr 2019: Die besten Buecher

2019 war ein lohnendes Lesejahr mit zahlreichen Entdeckungen und vielen Büchern, die mich begeistert haben. Eine Statistik führe ich nicht und zähle auch nicht, wie viel ich in einem Jahr lese – mehr als ein Buch nach dem anderen geht ja nicht und letztendlich sind sowieso nur die Inhalte wichtig. Für diesen Beitrag habe ich meine persönlichen fünfzehn Favoriten zusammengestellt; es sind die Romane und Sachbücher, die mich am meisten bewegt haben. Manche sind 2019 erschienen, andere standen schon seit ein paar Jahren im Buchregal. Und nicht alle davon sind schon hier auf Kaffeehaussitzer präsentiert worden, daher ist die Liste auch als eine Art Ausblick auf kommende Beiträge zu sehen.

Da ich Bücher meistens sehr zeitversetzt nach der Lektüre hier vorstelle, sind einige Titel hier nicht aufgeführt, die zwar 2019 auf Kaffeehaussitzer besprochen wurden, die ich aber bereits im Jahr davor gelesen hatte. Denn sonst wären zum Beispiel die Romane »Nordwasser« von Ian McGuire, »All die Nacht über uns« von Gerhard Jäger oder »1793« von Niklas Natt och Dag natürlich hier enthalten.

Das sind sie also, meine persönlichen Lesehighlights 2019.

Guillermo Arriaga: Der Wilde
Was für ein Buch! »Der Wilde« von Guillermo Arriaga erzählt vordergründig die Geschichte einer Rache. Doch was wird sein, wenn der Zeitpunkt der Rache gekommen sein mag? Einer Rache, die auch den sich Rächenden am Ende mit zerstören würde. Kann es danach ein Weiterleben geben? Haben wir eine Wahl? Einen freien Willen? Oder weiter gedacht: Kann man überhaupt leben, wenn die eigenen Gedanken dauerhaft um Rache kreisen? Man besessen davon ist? Auf die Beantwortung dieser Fragen steuert die Romanhandlung unaufhaltsam hin. Und ein Wolf wird dabei eine wichtige Rolle spielen. Ein vielschichtig erzählter und raffiniert mit den unterschiedlichsten Zeit- und Handlungsebenen spielender Roman.

Juan Gómez Bárcena: Kanada
Ein schmales Buch mit einem kurzen Titel. Doch was »Kanada« für den namenlos bleibenden Überlebenden einer grauenvollen Zeit bedeutet, wird erst nach und nach klar. Es ist ein bewegender Bericht über einen hochtraumatisierten Menschen, der nicht wieder in sein altes Leben zurückfindet. Da es kein altes Leben mehr gibt und da alles, was es für ihn ausmachte, verschwunden ist. Das Buch ist ein wichtiger Baustein des Leseprojekts »Das Unerzählbare«.

Philipp Blom: Der taumelnde Kontinent
Die Jahre zwischen 1900 und 1914 waren eine Zeit, die uns heute weit weg erscheint, die der unseren aber viel ähnlicher war, als den meisten Menschen klar ist. Philipp Blom zeigt uns in »Der taumelnde Kontinent« ein Europa im Umbruch; in fünfzehn Kapiteln stellt er die rasanten technischen Entwicklungen und die gesellschaftlichen Veränderungen vor. Die wirtschaftliche Globalisierung sorgte bereits damals für Verwerfungen und insbesondere die brutale Politik des europäischen Kolonialismus stellte die Weichen für Konflikte, unter denen die Welt heute noch leidet. Ein Buch mit zahlreichen Aha-Erlebnissen, geschrieben in einer mitreißenden Sprache.

Carys Davies: West
Carys Davies ist mit »West« etwas Besonders gelungen. Sie knüpft nahtlos an die Tradition der Noir-Western an und verbindet die Handlung mit subtilem Humor und feiner Ironie, dezent eingestreut, doch stets durchscheinend. Damit bricht sie souverän die manchmal übertrieben ernsthafte Männerwelt dieses Genres auf und hievt ihren Noir-Western auf eine neue erzählerische Ebene, leichtfüßig und elegant. Und gnadenlos.

Mathijs Deen: Über alte Wege
Seit Menschen in Europa leben, sind sie unterwegs. Gründe dafür gab es im Laufe der Geschichte viele: Nahrungssuche, Handel, Krieg, Verfolgung oder einfach nur Neugier. Mathijs Deen hat ein Buch über dieses Unterwegssein geschrieben. »Über alte Wege – Eine Reise durch die Geschichte Europas« führt die Leser kreuz und quer durch unseren kleinen und doch so vielfältigen Kontinent; es sind Erkundungen durch alle Epochen und soziale Schichten. Herausgekommen sind dabei faszinierende und äußerst lebendige Beschreibungen uralter Routen, die oftmals heute noch bestehen.
Und als wäre es nicht ohnehin schon ein beeindruckendes Buch, so gab es eine Stelle, die ein regelrechtes Gänsehautgefühl bei mir ausgelöst und mir gezeigt hat, wie eng verzahnt das Leben in Europa schon immer war: Denn vor 200 Jahren trafen an einem kleinen, vergessenen Ort an der Ostsee die Familiengeschichte des Autors und meine eigene aufeinander.

Daniel Galera: Flut
Der Mann, von dem der brasilianische Autor Daniel Galera in seinem Roman »Flut« erzählt, hat ein Problem. Ein großes. Er kann sich keine Gesichter merken. Es ist ein pathologisches Vergessen, denn er erkennt nie jemanden wieder, nicht einmal sein eigenes Gesicht – wenn er in den Spiegel schaut, erblickt er jeden Tag einen für ihn vollkommen fremden Menschen. Daniel Galera hat damit einen Protagonisten geschaffen, der vollkommen einsam ist, seine Existenz ist permanent die eines Fremden unter Fremden. In der tiefsten Krise seines Lebens zieht er ans Meer, in einen kleinen Strandort im Süden Brasiliens. Hier war vor vielen Jahren – noch vor seiner Geburt – sein Großvater umgebracht worden, hier verlieren sich dessen Spuren. Der namenlos bleibende Mann möchte herausfinden, was damals geschah. Ein Drama von existenzialistischer Wucht nimmt seinen Lauf, bei dem das Meer mit seiner Leere, seiner Endlosigkeit, seiner Gewalt und seiner Stille eine zentrale Rolle spielt. 

Johan Harstad: Max, Mischa & die Tet-Offensive
Der Einstieg war etwas zäh, aber dann folgte ein so intensives Leseerlebnis, wie ich es bisher nur selten erfahren habe: »Max, Mischa & die Tet-Offensive« von Johan Harstad ist für mich das beste Buch des Jahres 2019 und einer der herausragendsten Romane der letzten Dekade. Ein Buch wie ein guter Freund, der mich über Wochen begleitet hat. Oder anders gesagt: 1.242 Seiten und keine einzige zuviel.

Robert Harris: Der zweite Schlaf
Es beginnt wie ein klassischer historischer Roman: Robert Harris schickt uns mit »Der zweite Schlaf« in das Jahr 1468, mitten hinein in die Zeit des Spätmittelalters. Denkt man jedenfalls auf den ersten Seiten. Denn bald stellt sich die Frage, welches Jahr 1468 eigentlich gemeint ist – und aus einem Historienschmöker wird plötzlich eine Dystopie vom Feinsten. Große Leseempfehlung.

Steffen Kopetzky: Propaganda
Die Handlung dieses Romans spannt einen Bogen von der blutigen Schlacht im Hürtgenwald im Herbst 1944 bis hin zum Skandal um die Pentagon Papers, die 1971 die öffentliche Meinung zum Vietnamkrieg ins Wanken brachten. Es geht um den Umgang mit der Wahrheit, um die Beeinflussung der Bevölkerung, um das Spiel der Mächtigen mit Menschenleben – Themen, die alt sind und zugleich aktueller denn je. Eine Textstelle darin hat mich besonders bewegt; so sehr dass sie direkt in die Rubrik der »Textbausteine« aufgenommen wurde. 

John Lanchester: Die Mauer
»Es ist kalt auf der Mauer.« In der ewigen Hitliste der besten Buchanfänge ist John Lanchester mit diesem Satz ganz weit oben eingestiegen. Er führt mitten hinein in die Geschichte und nimmt die gesamte Stimmung des Romans vorweg. Bei vielen Dystopien spürt man bei der Lektüre ein wohliges Grauen, nicht so bei »Die Mauer«. Hier ist nichts wohlig, es läuft einem kalt den Rücken hinunter, denn die geschilderte Zukunft ist nur einen kleinen Schritt von uns entfernt.

Daniel Mason: Der Wintersoldat
Seit einigen Jahren läuft mein Leseprojekt zum Ersten Weltkrieg. »Der Wintersoldat« von Daniel Mason passt perfekt dazu, denn die Handlung führt die Leser in eine vergessene Region dieses Jahrhundertgemetzels – in die Karpaten, wo ein Medizinstudent aus Wien ein abgelegenes Lazarett leiten soll. Es ist eine Aufgabe, die seine fachlichen und emotionalen Kompetenzen weit überschreitet, und als Front, Gesellschaftsordnung und das Europa seiner Jugend zusammenbrechen, muss er sich entscheiden, wohin er gehören möchte. 

Steven Price: Die Frau in der Themse
London im Winter 1885/1886 – eine Stadt im undurchdringlichen Nebel, voller Feuchtigkeit, modrigen Gerüchen, Schmutz, Armut und dunkler Gestalten. In dieser eindrucksvoll dargestellten Atmosphäre sind die Wege dreier Menschen schicksalhaft miteinander verknüpft. Es geht um Verrat, Spionage, einen mysteriösen Todesfall und den Namen eines Phantoms. Und um eine Geschichte, deren Anfänge zurückreichen in die Wirren des Amerikanischen Bürgerkriegs. Ein großartiges Leseerlebnis.

Dorit Rabinyan: Wir sehen uns am Meer
In New York begegnen sich durch Zufall zwei junge Menschen, die sich ineinander verlieben und eine intensive Zeit miteinander verbringen. Etwas, das tagtäglich geschieht. Doch diese beiden wissen von Beginn an, dass diese Zeit nur ein paar Monate dauern, dass ihre Liebe keine Zukunft in ihren jeweiligen Welten haben kann. Denn Liat ist Israelin und Chilmi Palästinenser. Nun ist die Tragik zweier Liebender, die bedingt durch äußere Umstände nicht zueinander finden können, ein klassisches Thema in der Literatur. Doch der aktuelle politisch-religiöse Bezug und die autobiographischen Anspielungen vervielfachen die Intensität der Lektüre dieses Romans, der mich sehr bewegt und begeistert hat.

Judith Schalansky: Verzeichnis einiger Verluste
»Verzeichnis einiger Verluste« von Judith Schalansky ist eines jener raren Bücher, bei denen man schon beim ersten Aufschlagen merkt, dass man etwas ganz Besonderes in den Händen hält. Das geschieht nicht oft, aber bei diesem Buch war dieses Gefühl sofort da. Aufwendig recherchiert, klug geschrieben, elegant gestaltet und perfekt verarbeitet, kurz: Ein Gesamtkunstwerk. Und nur sehr selten habe ich auf etwas mehr als 250 Seiten und in so abwechslungsreicher Art und Weise so viel Wissen vermittelt bekommen.

Antonin Varenne: Äquator
Die Geschichte eines Mannes auf der Flucht vor sich selbst: Pete Ferguson ist ein Getriebener, der meint, ein Verbrechen begangen zu haben und sich im Nebraska des Jahres 1871 auf den Weg in Richtung Äquator macht. Denn dort im Süden, so glaubt er, wird er endlich zu sich selbst finden. Eine Reise zu Pferd, zu Fuß und Schiff beginnt; sie führt ihn durch eine Revolution, einen Urwald mit vergessenen Überresten einer einstigen Zivilisation bis hin zu einem Punkt, an dem es kein Weiter mehr geben kann. Antonin Varenne hat bereits mit »Die sieben Leben des Arthur Bowman« den Abenteuerroman ins 21. Jahrhundert geholt. Mit »Äquator« legt er einen grandiosen Nachfolger vor. 

Das sind mich die besten Bücher meines Lesejahrs 2019. Es ist immer spannend, die Best-of-Rückblicke in den anderen Literaturblogs zu lesen und oft entdecke ich dabei Titel, von denen ich zuvor kaum gehört habe. Ein schönes Zeichen für die Vielfalt der Literatur und der individuellen Lesevorlieben. Und ich hoffe, auch mit dieser Buchzusammenstellung ein paar Leseanregungen geben zu können.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen einen guten Start in unsere Zwanzigerjahre.

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8 Antworten auf „Mein Lesejahr 2019: Die besten Bücher“

  1. Lieber Uwe,
    vielen Dank für die gesammelten Empfehlungen – in den Harstad bin ich bisher einfach nicht richtig reingekommen, werde es nach Deinen lobenden Worten aber noch einmal probieren.
    Herzliche Grüße,
    Simone

    1. Liebe Simone,
      ich fand den Anfang auch wirklich zäh und war kurz vor dem Abbruch. Bin sehr froh, drangeblieben zu sein. Aber natürlich ist das immer rein subjektiv, manchmal passt es einfach wirklich nicht. Aber gib dem Roman noch eine Chance.
      Liebe Grüße
      Uwe

  2. Hallo!

    Das Buch von Philipp Blom, Der taumelnde Kontinent. Europa 1900 – 1914, gibt es für 7 € nebst einer DVD (+Versandkosten) mit tollen Filmen aus der damaligen Zeit bei der Bundeszentrale für politische Bildung:

    http://www.bpb.de/shop/buecher/schriftenreihe/185165/der-taumelnde-kontinent

    Das Buch ist nicht gebunden, sondern nur wie ein Taschenbuch einfach geklebt, das muss man natürlich berücksichtigen.

    Schöne Grüße
    F Gladisch

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