Der Kaffeehaussitzer im Schaufenster

Ein Schaufenster mit Büchern aus dem Literaturblog Kaffeehaussitzer in der Buchhandlung Olitzky in Köln-Klettenberg.

Die Buchhandlung Olitzky in Köln-Klettenberg ist eine der Buchhandlungen meines Vertrauens und die für mich am nächsten gelegene. Es ist kein großer Buchladen, man könnte ihn eher als recht klein bezeichnen – aber das Sortiment ist so fein ausgewählt, dass ich bei fast jedem Besuch ein, zwei Bücher entdecke, von denen ich zuvor noch gar nicht gewusst hatte, dass ich sie unbedingt brauchen würde. Das ist etwas, das kein Algorithmus kann – und auch wenn er es könnte, lasse ich mir Bücher lieber von Menschen empfehlen, mit denen ich die Leidenschaft für die Literatur teile. Daher ist es kein Zufall, dass ich ein Photo der markanten Ladenbeschriftung im Beitrag »Wo ich Bücher kaufe. Und wo nicht« verwende; einer der meistgelesenen hier im Blog. Und der mir wichtige Hashtag #SupportYourLocalBookstore steht am Ende jeder Buchbesprechung.

Als sich die mit mir gut befreundete Reisebloggerin Britta Ullrich – ebenfalls eine Stammkundin – mit der Buchhändlerin Nora Ruland unterhielt, kam ein Projekt zustande, dessen Umsetzung im obigen Beitragsphoto zu sehen ist. Die beiden sprachen über Buchempfehlungen in Literaturblogs und teilten mir dann mit, dass es ein Kaffeehaussitzer-Schaufenster geben solle – und natürlich konnte ich zu so einer charmanten Idee unmöglich nein sagen. Also stellte ich eine Auswahl von Büchern zusammen, die hier im Blog besprochen werden, zu jedem Buch gibt es eine Karte mit ein paar Sätzen von mir; gestaltet wurden die Karten von Britta Ullrich. Ergänzt wird das alles durch eine kurze Vorstellung dieses Blogs – wer also durch das Olitzky-Fenster hierher gelangt sein sollte: Herzlich willkommen.

Und welche Titel sind es nun geworden? Für achtundzwanzig Bücher bot das Schaufenster Platz. Gemeinsam ist ihnen, dass jedes eine besondere Lektüre war; manche davon begleiten mich schon seit vielen Jahren, andere habe ich erst in der letzten Zeit gelesen. Hier sind sie aufgelistet, mitsamt den Kartentexten. Zum Stöbern, Nachlesen und Entdecken.

Guillermo Arriaga, Der Wilde 
An der Oberfläche ist der Roman die Geschichte einer Rache. Doch dies in einer Vielschichtigkeit, die weit darüber hinaus geht.

Juan Gómez Bárcena, Kanada
In vielen Buchbesprechungen fallen Worte wie »großartig«, »bewegend« oder »grandios«. Da dabei kaum Steigerungsmöglichkeiten vorhanden sind, handhabe ich es bei »Kanada« ganz schlicht: Ihr solltet dieses Buch lesen.

Simone de Beauvoir, Alle Menschen sind sterblich 
Ein Buch über die Unsterblichkeit, über den Sinn des Lebens, der sich dadurch ergibt, dass wir eben sterblich sind und all unsere Handlungen daran gemessen werden.

Ray Bradbury, Fahrenheit 451
Ein zeitloses Plädoyer für die Freiheit des geschriebenen Wortes, für die Bedeutung eines frei zugänglichen Wissens und für die Macht der Literatur.

Cormac McCarthy, Die Straße
Ein Text wie ein permanenter Faustschlag und für mich eines der ganz großen Werke der Weltliteratur. 

Sorj Chalandon, Am Tag davor
Ein perfekt komponierter, wuchtiger Roman über den Wunsch nach Vergeltung, der ein Leben so überschatten kann, dass die eigenen Erinnerungen ausgelöscht werden.

Jeanine Cummins, American Dirt
»American Dirt« beginnt wie ein knallharter Thriller und wird zu einer Geschichte über Flucht und Migration. Ein Roman voller Empathie, Mitgefühl und Solidarität. 

Carys Davies, West
Mit subtilem Humor und feiner Ironie bricht die Autorin die oft übertrieben ernsthafte Männerwelt der Noir-Western auf und hievt damit ihren Roman auf eine neue erzählerische Ebene, leichtfüßig und elegant.

Mathijs Deen, Über alte Wege
Europa ist nicht einfach nur die EU. Dieses Europa mit seinen vielen Sprachen, seinen unterschiedlichen Kulturen und den Menschen auf der Wanderschaft, dieses Europa, das sind wir alle.

Philippe Djian, Betty Blue 
Dieser Autor hat ein ganzes Jahrzehnt meines Lebens mitgeprägt und ich habe keine Ahnung, wie oft ich »Betty Blue« gelesen habe. In einer Lebensphase, die geprägt war vom Aufbruch ins Erwachsenenleben und vom Gefühl, seinen eigenen Weg finden zu müssen, hat Philippe Djian dazu den literarischen Soundtrack geliefert.

Lucy Fricke, Töchter 
Obwohl die beiden Protagonistinnen nahezu alle Klischees zweier ausgebrannter Großstadtbewohnerinnen erfüllen, schildert die Autorin ihre Heldinnen nicht als zerbrechliche, verzweifelte Frauen, sondern als zwei zähe Kämpferinnen, die trotzig weitermachen; und immer wieder schimmert dabei ein schräger Humor mit einer Prise sarkastischer Selbstironie hindurch.

Garrett M. Graff: Und auf einmal diese Stille
11. September 2001: Garrett M. Graff hat tausende von Gesprächsprotokollen von Augenzeugen, von Betroffenen, von Menschen, die auf irgendeine Weise mit den Ereignissen zu tun hatten, ausgewertet und daraus eine Chronologie jenes dramatischen Tages zusammengestellt, die unter die Haut geht. Mehr als einmal denkt man, das darf doch alles nicht wahr sein und kann doch nicht aufhören zu lesen. Denn es ist alles wahr und Stunde für Stunde erleben wir diesen sonnigen Dienstag mit, den wir niemals vergessen werden. 

Yaa Gyasi, Heimkehren 
Ein Roman, der aufwühlt, immer wieder schockiert und einen Blick freigibt auf die unfassbaren Grausamkeiten, denen dunkelhäutige Menschen ausgesetzt waren. Und den Blick schärft für die Ungerechtigkeiten, denen sie bis heute ausgesetzt sind.

Johan Harstad, Max, Mischa und die Tet-Offensive
Der Einstieg war etwas zäh, aber dann folgte ein so intensives Leseerlebnis, wie ich es bisher nur selten erlebt habe. Ein Buch wie ein guter Freund, der mich über Wochen begleitet hat. Oder anders gesagt: 1.242 Seiten und keine einzige zu viel.

Pierre Jarawan, Ein Lied für die Vermissten
Durch Pierre Jarawans kraftvolle, poetische Sprache entsteht das Bild eines geschundenen Landes; eines Libanons, dessen unaufgearbeitete Geschichte seiner Zukunft im Wege steht.

Daniel Kehlmann, Tyll 
Tyll Ulenspiegel bleibt in Daniel Kehlmanns Roman ein Mythos, eine Legende. In einem anderen Leben huscht er wie ein Schatten durch eine andere Zeit, ungreifbar, unnahbar. Eine Zeit, die er uns mit all ihren Verwerfungen und all ihrem Elend so nahebringt, wie es mit Hilfe einer Erzählung nur möglich ist.

Doris Knecht, weg 
Doris Knecht erzählt die Geschichte einer unsicheren Frau, die es schafft, sich ihren Ängsten zu stellen und damit über sich selbst hinauszuwachsen. Und das ist großartig zu lesen.

John Lanchester, Die Mauer
»Es ist kalt auf der Mauer.« In der ewigen Hitliste der besten Buchanfänge ist John Lanchester mit diesem Satz ganz weit oben eingestiegen. Er führt mitten hinein in die Geschichte und nimmt die gesamte Stimmung des Romans vorweg.

Hilary Mantel, Die Thomas-Cromwell-Trilogie
Thomas Cromwells Biographie ist so unglaublich, dass sie bereits wie eine Romanhandlung klingt – vom Sohn eines prügelnden Schmieds zu einem englischen Earl, zum Architekten der englischen Reformation, die das Land bis heute geprägt hat. Dazwischen ein Leben voller Höhen und dunkelster Tiefen. Und Hilary Mantel hat dieses Leben spannend und unglaublich vielschichtig in Szene gesetzt – herausgekommen ist dabei ein wahrhaft epochales Werk.

Daniel Mason, Der Wintersoldat 
Während des Ersten Weltkriegs leitet ein Medizinstudent aus Wien als Soldat ein Lazarett in den Karpaten. Eine Aufgabe, die seine fachlichen und emotionalen Kompetenzen weit überschreitet, und als Front, Gesellschaftsordnung und das Europa seiner Jugend zusammenbrechen, muss er sich entscheiden, wohin er gehören möchte. 

Thomas Mullen, Darktown-Trilogie
Die Darktown-Trilogie erzählt von der ersten afroamerikanischen Polizeieinheit der USA, ein Trupp mutiger Männer, die von beiden Seiten mit Misstrauen und Verachtung beäugt wurden und sich in dieser brodelnden Stimmung behaupten mussten. Kriminalliteratur vom Feinsten.

Steven Price, Die Frau in der Themse 
Ein Katz- und Maus-Spiel in den düsteren Straßen des viktorianischen London; einer Stadt im Rausch der Industrialisierung, voller Armut, Verzweiflung und Elend, mit trostlosen Schicksalen, die aus der Feder eines Charles Dickens stammen könnten.

Dorit Rabinyan, Wir sehen uns am Meer
Die Tragik zweier Liebender, die bedingt durch äußere Umstände nicht zueinander finden können, ist ein klassisches Thema in der Literatur. Doch der aktuelle politisch-religiöse und der autobiographische Bezug vervielfachen die Intensität der Lektüre dieses Romans, der mich sehr bewegt hat.

Judith Schalansky, Verzeichnis einiger Verluste 
Ein Buch wie eine Erkundungsreise. Selten habe ich auf etwas mehr als 250 Seiten und in so abwechslungsreicher Art und Weise so viel Wissen vermittelt bekommen.

Daniel Schreiber, Zuhause
Dieses schmale Werk ist voller Gedanken, die mir das Gefühl vermittelten, als würden sich im Kopf neue Türen öffnen. Durchgehen muss man dann selbst. Und das ist eine spannende, aber nicht immer ganz einfache Reise.

Donna Tartt, Der Distelfink
»Der Distelfink« ist nicht einfach nur ein Roman. Dieses Buch ist ein Leseerlebnis. Eines, das sehr lange im Kopf bleiben wird. Und im Herzen.

Christian Torkler, Der Platz an der Sonne
Der Roman erzählt von Flucht und Migration, aber auf eine Art und Weise, die uns dieses emotional aufgeladene Thema vollkommen anders nahebringt als gewohnt. Und das mit einem ganz einfachen Trick: Torkler vertauscht den Blickwinkel.

D. Vance, Hillbilly Elegie
Ein Buch über das Verschwinden einer Arbeiterklasse, über die Verlogenheit des amerikanischen Traums und über den steinigen Weg zu einem bürgerlichen Leben: J.D. Vance zeigt uns in »Hillbilly-Elegie« eine für uns kaum vorstellbare Welt und beschreibt anschaulich den Zerfall der amerikanischen Gesellschaft.

Die Schaufensteraktion fällt mitten hinein in die Ausnahmesituation, die uns Corona beschert hat. Es sind Zeiten, die einen mürbe machen. Ich weiß nicht, wie ich diese Monate, die sich immer länger aneinanderreihen, ohne die Literatur, das Lesen und mein überquellendes Bücherregal überstehen könnte. Bücher geben mir Trost, Hoffnung und Ablenkung, sie lassen zumindest die Gedanken auf Reisen gehen und machen die Welt in Pandemiezeiten erträglicher. Und daher sind für mich Buchhandlungen selbstverständlich systemrelevant und Bücher Teil meiner Grundversorgung.

Waren sie schon immer. Werden sie immer sein.

#SupportYourLocalBookstore

8 Antworten auf „Der Kaffeehaussitzer im Schaufenster“

  1. Lieber Uwe,
    eine wunderbare Idee, die sicher allseits große Freude ausgelöst hat. Bei der Gelegenheit ist mir aufgefallen, dass ich sehr viele Titel aus dem Schaufenster bereits gelesen habe, nicht zuletzt durch deine Empfehlungen in diesem Blog. Ich kann mir gut vorstellen, dass auch andere Buchhändler gerne einmal ein Fenster zur Verfügung stellen, in dem die Kunden ihre Leseschätze empfehlen können. Auch die Idee mit dem roten Plüsch-Sofa, von der Monika berichtet hat, finde ich großartig. Für lokale Buchhandlungen kann man eigentlich gar nicht genug Werbung machen.
    Herzliche Grüße
    Petra

  2. Hier in Erlangen gab es mal eine charmante Werbeaktion im damaligen Buchladen Mengin: Man stellte ein rotes Plüschsofa ins große Schaufenster und bat Lesende, durch eine Liste organisiert, sich jeweils für 1 h auf das Sofa zum Lesen zu setzen, mit ihrem jeweiligen Lieblingsbuch, evt eine Tasse Tee, usw. Die Vorbeigehenden konnten dann einen Blick auf Leser erhaschen, die vertieft in der Lektüre an einem schönen hellen Platz lasen.
    Keine Ahnung, ob das auf irgendetwas abgezielt hat außer auf „Lesen ist schön“. Mich aber hat es beeindruckt.
    Sowas könnte ich mir auch vorstellen mit einem kleinen Turm meiner Lieblingsbücher neben mir.

  3. Lieber Uwe,
    danke für Deine Besprechungen, die ich oft zum Anlass nehme, die jeweiligen Bücher zu lesen – wenn es nicht so viele andere gäbe, die auf anderen Wegen zu mir kommen, die ich dann auch noch lesen muss!
    Pierre Jarawan war so eine Empfehlung von Dir. Sehr sehr lesenswert, und er hat mir auf meine Fragen zu dem Buch sehr freundlich geantwortet.
    Zur Zeit lese ich „Das Evangelium nach Jesus Christus“ vom alten Saramago, auch eine Entdeckung!
    Wenn Du mal in Berlin bist: meine bevorzugte Buchhandlung ist die Akazienbuchhandlung in der Akazienstraße. Gut sortiert.
    Grüße aus Berlin,
    Matthias

    1. Lieber Matthias,
      vielen Dank für die schöne Rückmeldung – das freut mich sehr.
      Die Akazienbuchhandlung kenne ich, war aber schon lange nicht mehr dort. Aber beim nächsten Berlin-Besuch nehme ich mir das unbedingt wieder vor.
      Herzliche Grüße aus Köln
      Uwe

  4. Da haben wir eine Zuneigung, die ich teile, lieber Uwe! Schon seltsam ist nur, dass wir uns dort noch nie begegnet sind!
    Meine einzige Kritik am Sortiment (eine Kritik, die auf die meisten Buchhandlungen zutrifft …) ist, dass Lyrik ein relativ stiefmütterliches Dasein führt! Aber wer weiß, vielleicht gibt es ja auch mal ein Schaufenster, dass die Poesie anpreist!

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