In einer Welt, die fast täglich mehr aus den Fugen zu geraten scheint, ist die Literatur ein Anker, sind Bücher eine Kraftquelle. Oder wie es Mohamed Mbougar Sarr seinen Ich-Erzähler in »Die geheimste Geschichte der Menschen« ausdrücken lässt: »Wir dachten keinesfalls, dass Bücher die Welt retten könnten; hingegen hielten wir sie für das einzige Mittel, um nicht vor ihr davonzulaufen.« Nicht zuletzt wegen Sätzen wie diesem steht der Roman auf meiner Liste der besten Bücher, die ich im vergangenen Jahr gelesen habe. Er befindet sich dabei in abwechslungsreicher Gesellschaft – doch seht selbst; hier sind sie, die fünfzehn Werke, die mich in den letzten zwölf Monaten am meisten beeindruckt, begeistert oder inspiriert haben. „Mein Lesejahr 2022: Die besten Bücher“ weiterlesen
Ein Wort zum Selfpublishing
Im Impressum dieses Blogs sowie auf der Seite mit den Kontaktangaben steht direkt bei der E-Mail-Adresse »Eine Anmerkung zu Selfpublishing-Titeln«. Und darunter folgender Hinweis: »Bei der Auswahl meiner Lektüre verlasse ich mich vor allem auf die Buchhandlungen meines Vertrauens und auf die Empfehlungen befreundeter Leser und Blogger. Bei der Fülle an Büchern und einer leider nur allzu begrenzten zeitlichen Kapazität lese ich ausschließlich Werke, die in einem Verlag erschienen und in einer Buchhandlung erhältlich sind. Alleine diese Vorauswahl würde für mehrere Leseleben reichen. Ich bitte daher darum, mir keine Informationen zu Selfpublishing-Titeln zukommen zu lassen.«
Wenn ich in mein E-Mail-Postfach schaue, dann frage ich mich an manchen Tagen, was an dieser Bitte nicht zu verstehen ist. Vielleicht entgeht mir ja tatsächlich die ein oder andere literarische Perle, aber dafür entdecke ich durch meine beiden Filter eben andere. In diesem Blogbeitrag möchte ich ein wenig mehr dazu schreiben. „Ein Wort zum Selfpublishing“ weiterlesen
Keine Heldengeschichten
Am 30. Januar 1933 war die Weimarer Republik am Ende, die Nationalsozialisten an der Macht, und das erste längere demokratische Experiment auf deutschem Boden versank in Gewalt und staatlichem Terror. Die Dynamik, mit der dies geschah, ist erschreckend: »Für die Zerstörung der der Demokratie brauchten die Antidemokraten nicht länger als die Dauer eines guten Jahresurlaubs. Wer Ende Januar aus einem Rechtsstaat abreiste, kehrte vier Wochen später in eine Diktatur zurück.« Dieses eindrucksvolle Zitat stammt aus dem Buch »Februar 33 – Winter der Literatur« von Uwe Wittstock. Anhand der Schicksale vieler der damaligen Literaturschaffenden rekonstruiert er die dramatischen Ereignisse. Furchteinflößend und mitreißend gleichzeitig, denn er schafft es, uns so dicht an diese alles verändernden Wochen heranzuführen, wie es mit der Macht der Sprache nur möglich ist. „Keine Heldengeschichten“ weiterlesen
Indiebookday 2022, improvisiert
Seit 2013 ist der Indiebookday ein fester Termin im Kalender vieler Literaturbegeisterter. Er findet stets an einem der letzten Samstage im März statt und ist den vielen unabhängigen Verlagen gewidmet. Die Idee dazu hatte mairisch-Verleger Daniel Beskos; sie ist einfach und hocheffektiv gleichzeitig. Die Leser sind am Indiebookday dazu aufgerufen, eine Buchhandlung aufzusuchen und ein Buch aus einem unabhängigen Verlag zu kaufen; ein Verlag also, der konzernunabhängig ist, dadurch mehr Freiheiten bei der Programmgestaltung hat und meist nur aus einem kleinen Team besteht. Auf der Seite Morehotlist, dem »Magazin für unabhängige Bücher und Buchmenschen« gibt es eine Liste deutschsprachiger Independent-Verlage. Und auf der Seite We Read Indie wird für die Frage »Was ist Indie?« eine gute Definition angeboten.
Das Wichtigste an der Aktion: Das im Lieblingsbuchladen gekaufte Buch wird anschließend auf den Social-Media-Accounts der jeweiligen Buchkäufer präsentiert – zusammen mit dem Hashtag #indiebookday. So erhalten die Bücher aus unabhängigen Verlagen an diesem Tag eine geballte Aufmerksamkeit; gleichzeitig ist es Werbung für die Vielfalt der Literatur. Auch viele Buchhandlungen beteiligen sich daran und haben für diesen Tag entsprechende Büchertische aufgebaut. „Indiebookday 2022, improvisiert“ weiterlesen
Remarque und ein staatlich geprüftes Gewissen
Im Beitrag »Die Bücher meines Lebens« stelle ich diejenigen Werke vor, die in fünf Lebensjahrzehnten den prägendsten Eindruck hinterlassen haben. Einen Roman habe ich dabei vergessen: »Im Westen nichts Neues« von Erich Maria Remarque ist eines der wenigen Bücher, die ich zwischen meinem sechzehnten und zwanzigsten Lebensjahr gelesen habe. Es war die zweite Hälfte der Achtziger und eine Zeit, in der ich mit Literatur und der einsamen Beschäftigung des Lesens nichts anfangen konnte; die Nachmittage, Abende und Nächte mit den Freunden zu verbringen war viel wichtiger. Und trotzdem hat mich Remarques berühmtes Werk gepackt und fasziniert; ich weiß nicht, wie oft ich es damals las, sieben-, acht-, neunmal bestimmt. Die Ausgabe von »Im Westen nichts Neues«, die mir seinerzeit in die Hände fiel, stammt aus dem Jahr 1929; meine Großeltern müssen sie während der zwölf Jahre, in denen das Buch verboten war, irgendwo versteckt haben. Sie waren zwar überzeugte Parteigenossen und da hätte sich dieses Buch schlecht im Regal gemacht. Aber weggeschmissen haben sie es nicht – sie haben nie etwas weggeworfen. Und irgendwann war es in dem Buchregal meiner Eltern gelandet. Dann in meinem. Da ist es immer noch und jetzt, während ich dies schreibe, liegt es neben mir, ich schaue, welche Stellen ich damals mit Bleistift markierte und rufe mir die Jahre zurück ins Gedächtnis, in denen ich es gelesen habe. „Remarque und ein staatlich geprüftes Gewissen“ weiterlesen
Über die Leere, die uns umgibt
Anstatt über den Roman »Gesammelte Werke« von Lydia Sandgren zu schreiben, würde ich viel lieber noch darin lesen, wäre gerne noch in der Geschichte gefangen, die mich vollkommen in ihren Bann gezogen hat. Aber auch 874 Seiten sind leider irgendwann zu Ende und es war mitten in der Nacht, als ich das Buch zugeklappt habe; übermüdet und hellwach gleichzeitig. Am nächsten Tag begann das Gelesene zu sacken, sich im Kopf auszubreiten und mir wurde nach und nach klar, was für ein grandioses Leseerlebnis mir beschert worden war – verbunden mit der Wehmut, die liebgewordenen Personen nun nicht mehr wiederzutreffen. Literatur, die wie ein helles Licht über den trüben pandemischen Winter strahlt. Dabei behandelt »Gesammelte Werke« ernste Themen, es geht um Verlust, um das Gefühl der Leere und die Suche nach einem Sinn im Leben; es gibt viele Fragen und nicht immer Antworten darauf – das alles aber ist eingebettet in einer wunderbaren Erzählung über die Freundschaft, das Älterwerden und die Liebe zur Kunst, zur Literatur und zur Sprache. „Über die Leere, die uns umgibt“ weiterlesen
Kunstwerke aus 26 Buchstaben
Von Beginn an gibt es in diesem Blog die Rubrik »Textbausteine«. Hier stelle ich Textstellen vor, die mir etwas bedeuten. Mit manchen verbinde ich persönliche Erinnerungen, andere haben mich inspiriert, mich bewegt oder aufgrund ihrer kristallklaren Schönheit zum Staunen gebracht. Und etliche begleiten mich schon seit Jahren. Ebenso stehen im Zentrum vieler Buchvorstellungen kurze Zitate aus den besprochenen Werken; Stellen, die mich innehalten ließen, die Gedanken in Sätze fassen, die ich selbst vage im Kopf hatte, die ich bisher aber noch nie so ausdrücken konnte. Worte, die ein Gefühl perfekt zu formulieren vermögen – immer wieder stoße ich in Büchern auf solch sprachliche Juwelen und lese sie bewundernd ein zweites, drittes Mal, manchmal laut, um mich an ihrer Perfektion zu erfreuen; kein Wort zu viel und keines zu wenig. Das ist das Großartige an der Beschäftigung mit dem geschriebenen Wort: Manchen Menschen, nicht vielen, gelingt es, die sechsundzwanzig Buchstaben unseres Alphabets so zusammenzufügen, dass Kunstwerke daraus entstehen, die Jahre und Jahrhunderte überdauern. Der Journalist Hauke Goos sammelt solche Textstellen, schreibt in seiner Spiegel-Kolumne regelmäßig darüber und hat nun in seinem Buch »Schöner schreiben« fünfzig von ihnen zusammengestellt. „Kunstwerke aus 26 Buchstaben“ weiterlesen
Die Suche nach dem Hart-Crane-Gedicht
Dieser Blog und das Schreiben über Literatur sind wichtige, geradezu unverzichtbare Bestandteile meines Lebens geworden. Damit meine ich nicht nur das Bloggen an sich, sondern vor allem auch die Vernetzung mit anderen Menschen und die unzähligen Kontakte zu Buchbegeisterten, die sonst nie entstanden wären. Und wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass dadurch die Online- und die Offline-Welt so zusammengewachsen sind, dass sie nicht mehr voneinander getrennt werden können, dann liegt er nun vor mir. In Form – natürlich – eines Buches. Eines Buches, das ich lange gesucht habe: Die zweisprachige Ausgabe des epischen Gedichts »Die Brücke/The Bridge« von Hart Crane, in der Übersetzung von Ute Eisinger. „Die Suche nach dem Hart-Crane-Gedicht“ weiterlesen
Corona in der Literatur? Bitte (noch) nicht
In den freien Tagen nach Weihnachten 2021 machte ich es mir auf dem Sofa bequem: Ich wollte mich mit »Never«, dem neuen Polit-Thriller von Ken Follett entspannen. Das funktionierte nur bedingt, denn das Ende dieses Buches geht – vor allem bei der aktuellen Nachrichtenlage – so unter die Haut, dass ich nachts nur schwer einschlafen konnte. Aber davon möchte ich gar nicht erzählen, sondern nur von einem winzigen Detail des Romans; von einer einzigen Formulierung. Denn die Handlung ist in der unmittelbaren Zukunft angesiedelt, so nah an unserer Zeit, dass sie schon fast in der Gegenwart spielt. Aber eben nur fast. An einer Stelle wird eine Straße, ein Stadtviertel beschrieben. Es heißt darin, dass durch die Pandemie viele der zahlreichen Restaurants und Cafés schließen mussten, inzwischen aber neue eröffnet hätten.
Das war alles zu Corona, was darin zu lesen war. Gleichzeitig war es für mich das erste Mal, dass ich das Thema überhaupt in einem Roman erwähnt fand. Und in dieser Form, als eine vage Erinnerung an eine Zeit, die glücklicherweise vorüber ist, fand ich es erträglich. Aber mehr muss nicht sein, denn das pandemische Geschehen der letzten zwei Jahre ist so bedrückend und frustrierend, dass ich nicht auch noch meine wertvolle Leselebenszeit damit verbringen möchte. Daher mache ich einen großen Bogen um Romane, die auf irgendeine Weise Corona in die Handlung mit einbauen, wie etwa Juli Zehs »Über Menschen«. Auch für das kommende Jahr sind Bücher mit dem Label »Corona-Roman« geplant; diese wandern bei mir automatisch auf die Werde-ich-sicher-nicht-lesen-Liste. „Corona in der Literatur? Bitte (noch) nicht“ weiterlesen
Mein Lesejahr 2021: Die besten Bücher
In vielen Literaturblogs gibt es am Ende des Jahres Rückblicke und Berichte über die Bücher, die am meisten Eindruck hinterlassen haben. Spannend ist dabei vor allem die Unterschiedlichkeit der Listen. Oftmals finde ich darin nur wenige Übereinstimmungen mit meinen eigenen Lese-Highlights – und das beweist immer wieder die Vielfalt der Literatur und die Vielfalt der Lesevorlieben. Und zeigt, wie viel großartige Bücher es zu entdecken gibt. Auch hier im Blog Kaffeehaussitzer ist ein solcher Rückblick inzwischen eine kleine Tradition. Und auch wenn das pandemische 2021 in vielerlei Hinsicht anstrengend, irritierend und manchmal auch frustrierend war, so bot die Literatur immer wieder festen Halt und Trost in seltsamen Zeiten. Fünfzehn Bücher haben es in meine persönliche Bestenliste geschafft, es sind – wie immer – nicht nur Titel, die im vergangenen Jahr erschienen sind; manche von ihnen standen schon eine lange Zeit im Regal, bis nun endlich ihre Zeit gekommen war. Daher bezieht sich dieser Jahresrückblick nicht auf 2021 als Erscheinungsjahr, sondern es sind diejenigen Bücher, die mich in den vergangenen zwölf Monaten am meisten berührt, inspiriert oder begeistert haben. „Mein Lesejahr 2021: Die besten Bücher“ weiterlesen