lechts und rinks – ein textbaustein*

ernst jandl: lichtung

Ernst Jandl ist einer der wichtigsten deutschsprachigen Lyriker und Sprachkünstler des 20. Jahrhunderts. Seine Verse sind geprägt von Sprachwitz und von einer unbändigen Experimentierfreude; viele enthalten hintersinnige Botschaften, die sich auf unterschiedlichste Weise interpretieren lassen. Das 1966 entstandene Gedicht »lichtung« ist eine seiner bekanntesten Lyrikschöpfungen; einmal gelesen begleitet es mich – wie viele andere Menschen auch – seit Jahrzehnten. 

lichtung
manche meinen

lechts und rinks
kann man nicht
velwechsern.
werch ein illtum!

Nur vier Zeilen. Doch sie reichen sie aus, um unterschiedliche Deutungsansätze zuzulassen. Meinte Jandl damit die politische Beliebigkeit, die bei der Regierung einer großen Koalition entsteht – und die sich im Entstehungsjahr des Gedichts bereits abzuzeichnen begann? Oder thematisiert er damit ganz profan eine Rechts-Links-Schwäche, unter der manche Menschen leiden, er selbst eingeschlossen? Mir sagt die dritte Interpretationsmöglichkeit am meisten zu und so sehe ich diesen Vers stets als eine treffende Beschreibung der Gemeinsamkeiten des politischen Extremismus. Viel besser kann man über die beiden mörderischen Ideologien nicht sprechen, die das 20. Jahrhundert geprägt haben, ohne sie beim Namen zu nennen. Die beide Feinde einer freien Gesellschaft sind. Und die gerade auch dem 21. Jahrhundert ihren verheerenden Stempel aufdrücken. 

Es ist immer wieder faszinierend: Bei manchen Themen positionieren sich vom Ursprung her progressive Ideologien so weit links, dass sie auf der rechten Seite wieder herauskommen. Ein Beispiel dafür ist der identitätspolitische Aktivismus, der für Ab- und damit Ausgrenzung steht, für ein Gegeneinander anstatt einem Miteinander, für eine primitive Aufteilung der Menschen in Gut und Böse und der darin dem rechtsidentitären Populismus zum Verwechseln ähnlich ist.  

Ein weiteres Beispiel ist der Antisemitismus, der zur Zeit aus allen gesellschaftlichen Ritzen kriecht. Der primitive Hass von rechten Ewiggestrigen, die leider nie auszusterben scheinen, ist hierbei die eine Seite; dazu kommt die als »Israelkritik« notdürftig getarnte Judenfeindlichkeit von links. Sie hat dramatisch zugenommen und droht, auch in der Mitte der Gesellschaft Antisemitismus wieder salonfähig zu machen: Sei es die katastrophal kuratierte Documenta 2022, die Aktivitäten des von vielen Künstlern unterstützten Antisemitenclubs BDS oder Aktionen wie diejenige der »Marxistin« Sally Rooney, die ihren Roman »Schöne Welt, wo bist du« nicht in Israel veröffentlicht sehen wollte und damit ein antisemitisches Zeichen setzte. 

lechts und rinks – zum Verwechseln ähnlich. Der endgültige Anlass aber, diesen Text zu schreiben, sind die Geschehnisse rund um den Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine. Seit dem 24. Februar 2022 wütet dort Putins Soldateska, zerstört, mordet, vergewaltigt, plündert. Es ist mehr als eine moralische Pflicht, der Ukraine mit Waffen und Ausrüstung zu helfen, sich gegen den verbrecherischen Angriff zur Wehr zu setzen. Denn an der Grenze Europas ist Russland zu einem faschistoiden Unrechtsstaat mutiert, dessen postsowjetischer Imperialismus uns alle bedroht. Wenn nun Menschen wie die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und die einstige Frauenrechtlerin Alice Schwarzer in einem rückgratlosen »Manifest« zum Frieden aufrufen, damit aber meinen, die Waffenlieferungen an die geschundene Ukraine einzustellen, dann ist das an Perfidie kaum zu überbieten. Und bei ihrer sogenannten »Friedens«kundgebung in Berlin, die eher einer Putin’schen Propagandashow glich, waren sie alle da, vereint in ihrem dumpfen Hass auf den Westen, auf Amerika, auf unsere freiheitlichen Werte: Betonkopf-Kommunisten ebenso wie neue Rechte, eine unsäglige Mischung aus »Verschwörungsideologien bis hin zu QAnon-Fans, Rechtsextremen ›Reichsbürgern‹, Regierungshassern und rechtsoffenen Altkommunisten und Friedensbewegten.« Wer sich unbedarft vor den »Friedens«manifest-Karren spannen lässt, sollte sich daher fragen, ob er sich tatsächlich in Gesellschaft des extremistischen Bodensatzes unseres Landes befinden möchte.

lechts und rinks vereint: in einem viel passenderen Zusammenhang kann Ernst Jandls zeitloses Gedicht kaum zitiert werden. Hier ist es noch einmal:

lichtung
manche meinen

lechts und rinks
kann man nicht
velwechsern.
werch ein illtum!

Und für den Aggressor Putin – der als einziger den von ihm verursachten Krieg beenden könnte – sind die Menschen, die sich um Wagenknecht und Schwarzer scharen, das, was Lenin einst »nützliche Idioten« nannte. Ob rechts oder links, rinks oder lechts ist ihm dabei egal. Vollkommen egal. 

#StandWithUkraine

*Hier auf Kaffeehaussitzer gibt es die Textbausteine, eine Sammlung von Texten, die mir wichtig sind. Dieses Gedicht gehört unbedingt dazu. 

4 Antworten auf „lechts und rinks – ein textbaustein*“

  1. Eines meiner liebsten Gedichte (der Emterschling mit den flauen Bügeln gehört auch dazu)! Ich bin eine in der Kindheit umtrainierte Linkshänderin und hatte sehr lange Zeit Probleme damit, „lechts und rinks“ auseinander zu hsaten (das ließ mich sogar einmal durch die Führerscheinprüfung fallen).
    Liebe Grüße!

  2. Lieber Herr Kalkowski, herzlichen Dank für Ihren großartigen Kommentar. Besser kann man dieses derzeitige unsägliche öffentlich Verhalten gewisser Personen nicht kritisieren.
    P.S. Lese Ihren wirklich wunderbaren Blog auch immer mit großem Interesse und habe bereits zahlreiche Literaturtipps umgesetzt. D.h. auch mein Buchhändler profitiert davon.

    Herzliche Grüße

    Reinhard GRESSLEHNER

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