Mein Lesejahr 2022: Die besten Bücher

Mein Lesejahr 2022: Die besten Buecher

In einer Welt, die fast täglich mehr aus den Fugen zu geraten scheint, ist die Literatur ein Anker, sind Bücher eine Kraftquelle. Oder wie es Mohamed Mbougar Sarr seinen Ich-Erzähler in »Die geheimste Geschichte der Menschen« ausdrücken lässt: »Wir dachten keinesfalls, dass Bücher die Welt retten könnten; hingegen hielten wir sie für das einzige Mittel, um nicht vor ihr davonzulaufen.« Nicht zuletzt wegen Sätzen wie diesem steht der Roman auf meiner Liste der besten Bücher, die ich im vergangenen Jahr gelesen habe. Er befindet sich dabei in abwechslungsreicher Gesellschaft – doch seht selbst; hier sind sie, die fünfzehn Werke, die mich in den letzten zwölf Monaten am meisten beeindruckt, begeistert oder inspiriert haben.

Anne Applebaum: Roter Hunger

Vor neunzig Jahren versuchte Russland schon einmal, die ukrainische Identität auszulöschen: Im Namen des Kommunismus verhungerten Millionen von Menschen. Anne Applebaum hat die Geschehnisse rekonstruiert und beschreibt in ihrem Buch »Roter Hunger«, wie es zu diesem Genozid kam und welche Auswirkungen er hatte. Angesichts des brutalen russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, der seit Februar 2022 mitten in Europa tobt, erhält dieses Werk eine neue, beklemmende Aktualität. Denn neben den darin geschilderten Ereignissen vermittelt es das nötige historische Hintergrundwissen, mit dem dieser Krieg betrachtet werden muss. Um zu verstehen, dass der russische Despot Wladimir Putin nie Ruhe geben wird und dass Verhandlungen niemals einen dauerhaften Frieden schaffen werden. Den kann es nur geben, wenn auch der letzte russische Soldat über die Grenze zurück nach Russland gejagt sein wird. Mehr zu diesem wichtigen Buch hier.

Mohamed Mbougar Sarr: Die geheimste Geschichte der Menschen

Ein Leseerlebnis. Treffender kann man den Roman »Die geheimste Geschichte der Menschen« von Mohamed Mbougar Sarr kaum beschreiben. Es geht darin um das geheimnisumwitterte Buch eines senegalesischen Schriftstellers, das 1938 in Frankreich erst gefeiert wurde, dann einen Skandal auslöste und danach in Vergessenheit geriet. Um die Frage nach dem Verbleib des Autors, der seinerzeit verschwand und nie wieder auftauchte – und dessen Name heute nur noch wenigen vage bekannt ist. Es geht um eine Reise zurück in die Vergangenheit, um eine Spurensuche, um eine Jagd durch mehrere Kontinente, um Rache, um afrikanische Mythen, um die Anpassung migrantischer Literatur an vermeintlich stilbildende westliche Vorgaben. Es geht um eine dramatische Familiengeschichte mit Verwerfungen, die weit zurück in die Geschichte reichen. Es geht um eine Plagiatsaffäre, um Rassismus, um die Auflösung kolonialer Strukturen, die dennoch nie verschwunden sind. Um das Schreiben, um die Macht der Literatur und der Sprache. Es geht um das perfekte Buch. Und alles hängt miteinander zusammen, ist kunstvoll verschachtelt, ein literarisches Labyrinth voller Überraschungen, erzählt mit einer sprachlichen Eleganz, die ihresgleichen sucht.

Gerard Donovan: In die Arme der Flut

Die Rahmenhandlung des Romans »In die Arme der Flut« lässt sich schnell zusammenfassen, zumindest scheint es so: Der Außenseiter Luke Roy möchte seinem Leben ein Ende setzen und sich von einer hohen Brücke in die Stromschnellen eines Flusses stürzen. Im letzten Moment überlegt er es sich anders, gerade als tief unter ihm ein Junge ins Wasser fällt und von der Strömung mitgerissen wird. Luke springt und rettet ihn. Und wird zum gefeierten Helden. Doch wer den vor Jahren erschienenen Roman »Winter in Maine« von Gerard Donovan im Kopf hat, der ahnt, dass da inmitten der wundervollen Landschaftsbeschreibungen noch etwas nachkommt. Etwas Düsteres, Verhängnisvolles. Und genau so geschieht es. »In die Arme der Flut« ist ein Roman wie eine Achterbahnfahrt – aber eine, bei der man nicht weiß, ob die Schienen nicht irgendwo aufhören und die Fahrt in einen Sturz ins Leere übergeht. Bald mehr dazu. 

Amor Towles: Lincoln Highway

Amor Towles erzählt von vier jungen Männern, vier Jungs, die sich im Jahr 1954 aufmachen und auf die Suche gehen nach ihrer Zukunft und nach ihrem Leben. Der Name »Lincoln Highway« schwebt dabei wie eine Verheißung über der Geschichte – es war die erste Fernstraße der USA, die beide Küsten als eine durchgehende Strecke miteinander verband. Der geschilderte Trip dauert nur zehn Tage, aber es wird die Reise ihres Lebens. Zehn Tage voller Begegnungen, voller unvorhergesehener Wendungen, voller Gedanken über die Wechselfälle des Lebens und – auch das – voller Tragik. Denn das Schicksal hat einiges vor mit den Vieren. Amor Towles verbindet in seinem wundervollen Roman einen Hauch Steinbeck mit einer Portion Kerouac und streut eine feine Prise Salinger hinein. Und vergisst dabei den Humor nicht. Herausgekommen ist ein Buch als eine große Ode an das Reisen. An das Suchen nach der eigenen Bestimmung. An das Durchhalten, egal was kommen mag. Und ein Buch voller Hoffnung. Hoffnung darauf, dass alles gut werden wird, zumindest irgendwie. Mehr dazu hier.

Sandra Kegel (Hrsg.): Prosaische Passionen
 
Die von Sandra Kegel im Manesse Verlag herausgegebene Textsammlung »Prosaische Passionen« erschließt die Epoche der literarischen Moderne neu und fügt ihr entscheidende Stimmen hinzu, die bisher für eine Gesamtbetrachtung gefehlt haben. Die weiblichen Stimmen. Und daher lautet der Untertitel dieses 900-Seiten-Bandes: »Die weibliche Moderne in 101 Short Stories«. In jahrelanger Recherchearbeit sind 101 Texte aus der Zeit der literarischen Moderne zusammengekommen, 101 Texte von Schriftstellerinnen und Dichterinnen. Die gesammelten Short Stories stammen aus über 50 Ländern aller Kontinente. Es sind bekannte Namen dabei, aber auch Autorinnen, die vollkommen vergessen waren oder die im westlichen Kulturkreis nie wahrgenommen wurden. Der globale Ansatz dieser epochalen Textsammlung bricht unsere eurozentrische Sichtweise auf die Literatur auf. Entstanden ist ein weltweites Panorama von Kurzprosa aus weiblichen Federn – eine Einladung zu einer literarischen Zeit- und Entdeckungsreise, die es so noch nie zuvor gegeben hat. Hier im Blog stelle ich die 101 Texte in einem Lesejournal nach und nach vor. 
 

Peter Englund: Momentum

Rückblickend gesehen war der November 1942 ein Wendepunkt in der Geschichte. Die Achsenmächte Deutschland, Italien und Japan überzogen die Welt seit drei Jahren mit Krieg und noch zu Beginn des Monats hatte ihr Machtbereich seine größte Ausdehnung erreicht. Doch in diesen dreißig Novembertagen gab es erste Anzeichen dafür, dass der Zenit überschritten war und sich die Waage in Richtung der Alliierten zu senken begann. Im Nachhinein ist dies deutlich erkennbar, aber wie nahmen die Menschen, die in jener Zeit lebten, die Ereignisse wahr? Der schwedische Historiker Peter Englund nimmt uns mit auf eine Zeitreise: In seinem Werk »Momentum« geht es um diesen Monat, um den November 1942. Englund ist ein Meister der erzählenden Geschichtsschreibung. Für seine grandiose Darstellung wertete er zahllose Tagebücher, Briefe und andere Aufzeichnungen aus und schuf dadurch ein Panorama, das über die Zeit hinweg auf eine faszinierende Weise ganz nah erscheint – denn wir sehen jenen entscheidenden November durch die Augen der Menschen, die diese Schriftstücke verfassten – so, als seien wir zu Gast in ihren Leben. Mehr dazu hier.
 

Kai Meyer: Die Bücher, der Junge und die Nacht

Von 1997 bis 2001 lebte ich in Leipzig und seit dieser Zeit fasziniert mich die Geschichte des Graphischen Viertels, östlich der Innenstadt gelegen. Dessen Glanzzeit im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts sorgte für den Ruf Leipzigs als Buchstadt; damals waren in dieser Gegend unzählige Verlage angesiedelt, Druckereien, Buchbindereien, ein breites Spektrum an Firmen, die mit der Herstellung und Produktion von Printmedien zu tun hatte. Ein solches Ballungszentrum der Medienindustrie hat es danach nie wieder gegeben, sogar das New York von heute würde davon in den Schatten gestellt. Im Zweiten Weltkrieg verschwand das Graphische Viertel im Bombenhagel – geblieben ist ein Mythos. Daher war ich sofort wie elektrisiert, als ich von Kai Meyers Roman »Die Bücher, der Junge und die Nacht« hörte, denn ein großer Teil der Handlung spielt genau dort. Er lässt das Graphische Viertel wiederauferstehen, wenn es auch – bis auf den ein oder anderen Straßennamen – etwas unkonkret bleibt. Dafür aber konsequenterweise umso mystischer, mit waberndem Nebel à la Zafón, den rauchenden Schornsteinen der Druckereien und einem nervösen Druckmaschinengewummer, das geschäftig über der Szenerie liegt. Ein großartig erzähltes Buch mit starken Figuren über das es hier mehr zu lesen gibt. Inklusive eines Interviews mit dem Autor und Photos der Überreste des Graphischen Viertels

Francesca Melandri: Alle, außer mir
 
Der Erscheinungstermin dieses Romans liegt schon ein paar Jahre zurück, aber hätte ich gewusst, wie sehr mich »Alle, außer mir« von Francesca Melandri begeistern würde, dann wäre das Buch nicht so lange ungelesen im Regal gestanden. Die Rahmenhandlung erzählt die Geschichte der Familie Profeti und ist dabei das Tor zu mehreren, eng miteinander verzahnten Erzählsträngen, die auf verschiedenen Zeitebenen angesiedelt sind, uns zum einen weit zurückführen in die Vergangenheit und uns zum anderen Kontinuitäten aufzeigen, die bis in unsere Gegenwart reichen. Bilder von Schönheit und Schrecken entstehen im Kopf und alles ist miteinander verbunden. Die Vielschichtigkeit des Werkes in wenigen Worten zusammenzufassen, ist nicht ganz einfach. Daher an dieser Stelle nur so viel: Es ist eine Komplexität, die mit eleganter Leichtigkeit daherkommt, mit erzählerischer Wucht eine Sogwirkung entfaltet und einen als Leser geradezu durch die Seiten fliegen lässt – im Bewusstsein, eines jener besonderen Bücher zu lesen, die einem nicht allzu oft begegnen. Wer nun neugierig geworden ist: Hier geht es zur Buchvorstellung.
 

Jennifer Egan: Candy Haus

Die Autorin Jennifer Egan live zu erleben war ein Literatur-Highlight des vergangenen Jahres. Sie war auf Einladung des Kölner Literaturhauses in der Stadt und stellte ihren neuen Roman »Candy Haus« vor: Eine äußerst vielschichtige Erzählung über die Rolle der Sozialen Medien in unserer nahen Zukunft. Es geht darin um das Auslesen unserer Erinnerungen und deren Vermarktung als ein erfolgreiches Geschäftsmodell, das uns und unsere Welt noch gläserner werden lässt, als wir es ohnehin schon sind. Und im sich immer weiter drehenden Karussell der technischen Möglichkeiten klingt alles in diesem Buch so realistisch, dass es einen gruselt. Denn das Preisgeben der eigenen Identität, das Schrumpfen von einer Persönlichkeit zu einer digitalen Kunstfigur im Tausch gegen Aufmerksamkeit und Reichweite – das alles lässt sich heute täglich beim Durchstreifen der digitalen Weiten betrachten. Jennifer Egan treibt dies in ihrem Roman auf die Spitze und macht klar, um was es sich letztendlich handelt: Um nichts weniger als das, was man früher in Märchen als das Verkaufen der eigenen Seele bezeichnete. Ein brillantes Buch für unsere Zeit, genau zum richtigen Moment. Mehr dazu hier.

Ralph Knobelsdorf: Des Kummers Nacht

Ich habe ein Faible für die Geschichte des 19. Jahrhunderts, lese gerne schlüssig komponierte Kriminalromane und finde es spannend, gedanklich durch die Straßen des historischen Berlins zu flanieren. Der Roman »Des Kummers Nacht« von Ralph Knobelsdorf vereint all dies miteinander und war eine Lektüre, die ich sehr genossen habe. Die Handlung führt in das Berlin des Jahres 1855, es geht um eine Explosion mit einer Toten, um Spionage, um diplomatische Verwicklungen und eine Verschwörung innerhalb des preußischen Königshofes. Der akribisch recherchierte historische Hintergrund lässt das Berlin jener Zeit wiederauferstehen, eine Metropole an der Schwelle zur Moderne. Liebhaber actionreicher Geschichten würden das Erzähltempo des Buches wohl als langatmig bezeichnen – doch gerade die gemächliche Entwicklung der Handlung passt zur geschilderten Epoche, in der Nachrichten als Briefe verschickt und Entfernungen per Pferdekutsche oder zu Fuß zurückgelegt wurden. Ein außergewöhnlicher Kriminalroman als Auftaktband einer Reihe; der zweite Band liegt schon bereit. Mehr dazu hier.

Alex Capus: Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer

An einem Tag im November des Jahres 1924 waren drei Menschen zur gleichen Zeit in Zürich, deren Leben auf unterschiedliche Weise mit dem 20. Jahrhundert zu tun haben. Sie kannten sich nicht, sind sich nie begegnet – doch Alex Capus stellt sich in seinem Roman »Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer« vor, wie die drei vielleicht zur gleichen Zeit im Zürcher Hauptbahnhof waren und sich möglicherweise gesehen haben könnten. Von diesem Moment ausgehend erzählt er auf seine unnachahmlich mitreißende Weise deren Leben. Der Bombenbauer: Das ist der 1905 geborene Felix Bloch, genialer Physiker und Pazifist, beteiligt am Manhattan-Projekt zum Bau der ersten Atombombe. Seine Mitarbeit brach er ab, als ihm die Dimension klar wurde. Die Spionin: Das ist die 1911 geborene Laura d’Oranio, aufgewachsen in einer Musikerfamilie und dauernd unterwegs. Während des Zweiten Weltkriegs spionierte sie für den britischen Geheimdienst, wurde in Italien enttarnt und erschossen. Der Fälscher: Emile Gilliéreon junior, geboren 1885, war Maler und Restaurator. Sein Vater gleichen Namens prägte mit seinen »wiederhergestellten« Fresken und Bemalungen das archäologische Bild der minoischen Kultur auf Kreta – jeder kunstinteressierte Mensch kennt zum Beispiel seine Bilder der Stierspringer. Die allerdings ohne jegliche wissenschaftliche Grundlage entstanden; und von der spekulativen Restaurierung bis zur Fälschung ist es nur ein kleiner Schritt – den sein Sohn gehen wird. Wenn es für jedes Buch den richtigen Moment gibt, es zu lesen, dann war er bei diesem mehr als perfekt: Ohne den Inhalt zu kennen packte ich es im April spontan ins Reisegepäck. Für einen Urlaub auf Kreta. Bald mehr dazu.

Szczepan Twardoch: Demut

Es ist die Zeitenwende 1918/1919, die politische Ordnung und gesellschaftliche Normen zerbröseln. Chaos herrscht auf den Straßen und Szczepan Twardoch schickt uns mit seinem Roman »Demut« mitten hinein in diese Jahre des Umbruchs. Eine Zeit, in der vieles möglich schien, voller Aufbruchsstimmung inmitten unzähliger Dramen am Ende des Ersten Weltkriegs. Doch auch eine Zeit der Kämpfe, des Hasses und des Beginns einer tiefen Spaltung der Gesellschaft. In der Figur seines Ich-Erzählers Alois Pokora spiegelt sich die ganze Zerrissenheit jener Jahre wider, denn er ist ein Mensch, der zwischen allen denkbaren Stühlen sitzt und droht, daran zugrunde zu gehen. Und nicht zuletzt geht es in diesem Roman um Fragen, die auch in unsere brüchige Gegenwart passen, die ihn zu etwas Besonderem machen: Wohin gehöre ich? Wie finde ich meinen Platz in der Welt? Und gibt es ihn überhaupt? Mehr dazu hier.

Mariana Enriquez: Unser Teil der Nacht
 

»Unser Teil der Nacht« der argentinischen Autorin Mariana Enriquez ist für mich eines der großartigsten und ungewöhnlichsten Leseabenteuer des vergangenen Jahres – oder vielmehr der letzten Jahre. Ich habe eine Vorliebe für düstere Geschichten, aber so tief hinab in die Dunkelheit hat mich Literatur noch nie geschickt. Als Leser verlässt man die Welt, die wir kennen, und taucht ein in eine Handlung voll finsterer Phantastik, die so real geschildert ist, als sei man tatsächlich dabei gewesen – was ich niemandem wünschen würde. Denn Mariana Enriquez hat die Form eines Horrorromans gewählt, um damit große Literatur zu schaffen. Dabei enthält diese äußere stilistische Hülle zahllose Querverweise auf politische und gesellschaftliche Entwicklungen; dazu so viele brillant miteinander verwebte Nebenhandlungsstränge, dass es schier unmöglich ist, in einer Buchbesprechung diesem Werk nur annähernd gerecht zu werden. Meinen Rezensionsversuch findet ihr hier.

Hauke Goos: Schöner schreiben

Von Beginn an gibt es in diesem Blog die Rubrik »Textbausteine«. Hier stelle ich Textstellen vor, die mir etwas bedeuten. Mit manchen verbinde ich persönliche Erinnerungen, andere haben mich inspiriert, mich bewegt oder aufgrund ihrer kristallklaren Schönheit zum Staunen gebracht. Ebenso stehen im Zentrum vieler Buchvorstellungen kurze Zitate aus den besprochenen Werken; Stellen, die mich innehalten ließen, die Gedanken in Sätze fassen, die ich selbst vage im Kopf hatte, die ich bisher aber noch nie so ausdrücken konnte. Worte, die ein Gefühl perfekt zu formulieren vermögen – immer wieder stoße ich in Büchern auf solch sprachliche Juwelen und lese sie bewundernd ein zweites, drittes Mal, manchmal laut, um mich an ihrer Perfektion zu erfreuen; kein Wort zu viel und keines zu wenig. Der Journalist Hauke Goos sammelt solche Textstellen, schreibt in seiner Spiegel-Kolumne regelmäßig darüber und hat nun in seinem Buch »Schöner schreiben« fünfzig von ihnen zusammengestellt. Es ist ein wunderbarer und inspirierender Streifzug quer durch die Literaturgeschichte. Mehr zu diesen Kunstwerken aus sechsundzwanzig Buchstaben gibt es hier.

Solomonica de Winter: Das Gesetz der Natur

Die Welt nach der Apokalypse. Der Rückfall in mittelalterliche Gesellschaftsstrukturen. Der Verlust der Schriftkultur. Und eine Mutantin, Ausgestoßene, Gejagte und Mutter als Heldin des Romans »Das Gesetz der Natur« von Solomonica de Winter. Es ist eine Dystopie mit Phantastik-Elementen, in der die Autorin mit beeindruckender Detailverliebtheit eine Welt in unseren Köpfen entstehen lässt, in der es vor allem um eines geht: um das Überleben. Filmsequenzen aus »The Book of Eli« oder »Mad Max« schimmern hauchzart durch die Zeilen, während sich ein blutiges Drama entwickelt, erst langsam, dann immer schneller Fahrt aufnehmend, gnadenlos, doch mit Passagen voller Schönheit. Und auch wenn die Sprache so manches Mal fast zu pathetisch erscheint, zu gewollt episch klingen mag, so verleiht gerade dieses Pathos dem Roman einen ganz besonderen Reiz. Bald mehr dazu.

Diese Fünfzehn sind es also: Meine persönlichen Favoriten und für mich die besten Bücher meines Lesejahres 2022. Jedes von ihnen hat auf eine andere Art und Weise Spuren in meinem Leserleben hinterlassen. Der Jahresrückblick ist mir inzwischen eine liebgewordene Tradition geworden und in vielen anderen Literaturblogs sind ebenfalls die persönlichen Bestenlisten des vergangenen Lesejahres zu finden; es ist immer wieder spannend, wie wenig Übereinstimmung es dabei oftmals gibt. Spannend und beruhigend, denn die Welt der Bücher und des individuellen Lesegeschmacks ist unendlich. Und zahllose Entdeckungen warten – manche davon bereits seit Jahren im heimischen Buchregal. 

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6 Antworten auf „Mein Lesejahr 2022: Die besten Bücher“

  1. Ahoi Uwe,

    oh ja, Schöner schreiben hat mir auch richtig gut gefallen! So eine Liebeserklärung an die Sprache ♥ Und auch wenn ich deine Titel ansonsten nicht kenne – das Zitat zu Anfang ist mega gut!

    Ich habe 2022 einige Lesehighlights gehabt; unter anderem „Unlearn Patriarchy“ und „Diese wilde Freude“. Müsste ich ein einziges Buch küren, wäre es „Rebecca“ – einfach wow, welch Roman!! Wenn du magst, hier mein Rückblick :)

    Liebe Grüße und auf ein wunderbares Jahr 2023
    Ronja von oceanloveR

  2. Lieber Uwe ,

    erstmal ein gesundes Neues von mir, viel Gesundheit und Tatkraft für kommendes.

    Auch wenn ich zwar ein paar Titel kenne von deiner Liste, aber noch keines gelesen habe, muss ich einfach mal aussprechen, dass mich deine Besprechungen und Bestenlisten jedes Mal aufs Neue faszinieren ob ihrer Vielfältigkeit und vor allem völlig gegen den „Mainstream“, da man bei dir selten Bücher findet, die sonst meist zu oft durchgenudelt werden.

    Auch wenn ich es in den nächsten Wochen erstmal ruhiger angehen lasse, was das bloggen angeht, werde ich bei dir trotzdem öfter vorbei schauen

    In diesem Sinn
    beste Grüße nach Köln
    Marc

    1. Lieber Marc,

      ich danke Dir für das schöne Lob und hoffe sehr, dass die Ruhephase in Deinem Blog nicht allzu lange anhält – denn dort schaue ich auch stets mit großem Interesse vorbei.
      Alles Gute für 2023.

      Herzliche Grüße
      Uwe

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