Ein Haus für die Literatur

Ein Besuch im Literaturhaus Köln

Ehrlich gesagt macht es Köln einem nicht immer leicht. Zumindest mir nicht. Als ich 2001 berufsbedingt hier ankam, war ich anfangs entsetzt über die monotone Hässlichkeit der Nachkriegsarchitektur, die das Stadtbild an vielen Stellen prägt. Stand ratlos in den Betonwüsten der öffentlichen Plätze, die eindruckvoll demonstrieren, wie sehr die Stadtplanung der siebziger Jahre versagt hat. Erst nach einer Weile merkte ich, was die Stadt lebenswert macht. Etwa die unkomplizierte Art der Menschen. Das quirlige Leben. Und immer wieder schöne Orte, die es in der urbanen Wüste zu entdecken gibt. Orte, die dadurch umso intensiver wirken. Orte, auf die man erst nach und nach aufmerksam wird und die das Leben in dieser Stadt ausmachen. Orte, die Köln zu einem Zuhause werden lassen.

Einer dieser Orte ist das Kölner Literaturhaus. Ein guter Grund, dort einmal hinter die Kulissen zu schauen und diesen Treffpunkt für Literaturbegeisterte und Buchmenschen hier auf Kaffeehaussitzer vorzustellen. Deshalb habe ich dort außerhalb der Veranstaltungszeit vorbeigeschaut und mich mit Bettina Fischer und Tilman Strasser unterhalten. Bettina Fischer ist Leiterin des Literaturhauses Köln, Tilman Strasser ist war bis Anfang 2018 Ansprechpartner für Kommunikation und Online-Aktivitäten; aus unserem Gespräch ist der folgende Beitrag entstanden.

Ein Besuch im Literaturhaus Köln

Das 1996 gegründete Kölner Literaturhaus ist vor einigen Jahren in das Haus Bachem gezogen, einem Gebäude aus dem Jahr 1590 mit Grundmauern, die bis ins Jahr 1320 zurückreichen. Eigentlich ist es ein Wunder, dass dieses wunderschöne Renaissance-Gebäude noch steht, eines der letzten in Köln. Die komplette Umgebung wurde 1943 weggebombt, nur jenes Haus Bachem blieb übrig und ragte wie ein Mahnmal aus den Trümmerbergen. Zwar war es stark beschädigt, doch die Eigentümerfamilie konnte es nach dem Krieg wieder aufbauen, dem Betonwahn modernistischer Stadtplaner zum Trotz. In seiner jahrhundertelangen Geschichte war es Kaufmannshaus, Brauerei, Schankstube, Werkstatt und nun eben Literaturhaus. Es ist wie ein Symbol für Köln: Wenige Meter weiter zerschneidet eine vierspurige Straße das Viertel, in der Umgebung findet man Reste von Kopfsteinpflaster, geflickte Straßen, ein Umspannwerk in der typisch geschwungenen Architektur der fünfziger Jahre, ansonsten prägen gesichtslose Wohn- und Bürohäuser die zentrumsnah gelegene Gegend. Und zwischen all dem steht das uralte Haus Bachem als lebendiger Treffpunkt für Literaturinteressierte.

Als mir Tilman Strasser das schwere Eingangsportal öffnete, war es ein ungewöhnlicher Anblick, das vollkommen leere Literaturhaus vor sich zu haben; die eindrucksvolle Holztüre führt ohne Umwege mitten hinein in einen großen Raum. Rechterhand gibt es eine Theke, wo man sich bei Veranstaltungen mit Getränken versorgen kann, in der hinteren Hälfte des Raumes bauen Buchhandlungen ihre Büchertische auf und linkerhand schließt direkt der Veranstaltungssaal an, den man bei Bedarf lediglich mit einem Vorhang vom Vorraum abtrennen kann. Doch der erste Blick fällt beim Eintreten auf eine prachtvolle barocke Wendeltreppe aus Holz, die zu den Büros des Literaturhausteams führt. Hohe Räume, mächtige Deckenbalken, große Fenster, aber auch Plakate an den Wänden, ein eng bestuhlter Saal mit einem gezimmerten Podium: Alles ist prächtig und bodenständig gleichzeitig. Der Hauch eines Provisoriums prägt die Atmosphäre, es ist kein schicker Ort, an dem Literatur zelebriert wird, sondern eine Stätte der Begegnung, des Miteinanders und der Nähe.

Ein Besuch im Literaturhaus Köln

Im Jahr finden etwa 100 Veranstaltungen statt, das sind im Schnitt zwei bis drei je Woche. Nicht nur die Menge ist beeindruckend, sondern vor allem die Unterschiedlichkeit dieser Veranstaltungen. Bekannte Autoren sind zu Besuch in Köln, aber auch Debütanten kommen zu Wort. Es gibt Lesungen, Diskussionen, Graphic-Novel-Werkstattberichte, es wird munter mit neuen Formaten experimentiert. Spannend sind zum Beispiel die Wohnzimmer-Lesungen, die in einer WG irgendwo in Köln stattfinden – die genaue Adresse wird erst kurz vorher per Textnachricht mitgeteilt. Oder das Lyrikfestival Satelliten, in dem 2017 zum ersten Mal Lyrik an den ungewöhnlichsten Orten präsentiert wurde. Und um die Leseförderung macht sich besonders das von Ines Dettmann aufgebaute und betreute Junge Literaturhaus mit einem Angebot speziell für Kinder verdient.

Dieses beeindruckende Programm wird von einem fünfköpfigen Team gestemmt. Wie das geht? »Wir wundern uns selbst immer wieder« beantwortet Bettina Fischer diese Frage. Natürlich wollte ich dann wissen, wie so ein typischer Planungsablauf aussieht, wie ein Programm entsteht. Fixpunkte hierfür sind die beiden Buchmessen in Leipzig und Frankfurt; hier werden Kontakte geknüpft und gepflegt, Gespräche geführt und vor allem Manuskripte und Novitäten eingesammelt. Danach startet zwei Mal im Jahr das große Lesen: Man arbeitet sich durch die Verlagsvorschauen, durch neue Bücher, liest so viel wie nur möglich und findet Autoren und Texte, die unbedingt im Kölner Literaturhaus vorgestellt werden sollen. Dann schält sich langsam ein erstes Rohprogramm heraus, Termine müssen bei Verlagen angefragt und abgestimmt, mögliche Kooperationen ausgelotet und – bei großen Autorennamen – auch externe Räume angemietet werden. Manchmal ensteht dabei eine Zusammenarbeit innerhalb des Netzwerks der deutschen Literaturhäuser.

Klingt stressig. Klingt wie ein Traumjob. Überhaupt sind sämtliche Büroräume voller Bücher, Bücherstapel auf den Tischen, Bücherstapel auf dem Boden, aufgeschlagene Bücher, mit Lesezeichen und Markierungen; alles macht deutlich: Hier wird mit Literatur gearbeitet, Leidenschaft liegt in der Luft.

Ein Besuch im Literaturhaus Köln

Schließlich werden die Veranstaltungen kommuniziert, wird das Programm gedruckt und versandt, wird Facebook genutzt, um darauf aufmerksam zu machen, wird der Newsletter geschrieben und verschickt. Dann müssen nur noch die Besucher ins Literaturhaus strömen. Und sie strömen, meistens jedenfalls. Denn natürlich ist nicht jede Lesung ein Publikumsmagnet, aber dafür ist eben auch Raum für Entdeckungen, für Neues, für Geheimtipps. Darüber hinaus ist das Literaturhaus ein Ort der Einmischung, es bietet eine Bühne, um politische Entwicklungen zu diskutieren, um gegenüber Ungerechtigkeiten die Stimme zu erheben. Ein Beispiel war der Solidaritätsabend für den vom Erdogan-Regime drangsalierten Autor Dogan Akhanli.

Das Literaturhaus trägt sich vor allem durch bürgerliches Engagement. Natürlich gibt es Zuschüsse von Stadt und Sponsoren, es bestehen enge Bande zu anderen kulturellen Institutionen Kölns, so ist etwa der WDR-Kulturchef im Vorstand vertreten. Doch der Kern der Finanzierung wird durch die Mitgliedsbeiträge der etwa 900 Mitglieder des Literaturhauses Köln e.V. erwirtschaftet, einem eingetragenen Verein, der allen Interessierten offen steht. Wirkt das jetzt wie Werbung? Wahrscheinlich, und genau das soll es auch sein, denn allen Kölnerinnen und Kölnern mag ich zum Abschluss mit auf den Weg geben: Werdet Mitglied! Es lohnt sich.

Ich für meinen Teil habe begonnen, in unregelmäßigen Abständen hier auf Kaffeehaussitzer über die Veranstaltungen des Literaturhauses zu berichten. Dies möchte ich zukünftig weiter ausbauen und bin schon sehr gespannt auf viele spannende Abende im Großen Griechenmarkt 39 in der Kölner Innenstadt.

Ein Besuch im Literaturhaus Köln

Literaturhaus Köln e.V.
Großer Griechenmarkt 39
50676 Köln
(0221) 99 55 58 0
info@literaturhaus-koeln.de
literaturhaus-koeln.de
junges-literaturhaus.de 

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9 Antworten auf „Ein Haus für die Literatur“

  1. Erstaunlich, dass dieses Haus nicht dem Bombenhagel zum Opfer fiel!
    Herzlichen Dank für die anschauliche Berichterstattung!
    Als Kind wohnte ich in Köln, das mir damals so schmutzig und öd vorkam. Ich vermeinte auch, richtigen Dreck auf der Zunge zu haben, manchmal…
    Gruß von Sonja

  2. Ich frage mich gerade warum wir uns dort noch nie getroffen haben.
    Gerne gehe ich zu den Veranstaltungen und bin manchmal traurig, dass wenig los ist, manchmal überrascht wie voll es ist. Nett ist die ungezwunge Atmosphäre und die Gelegenheit nach der Lesung mit Autoren und Moderatoren ins Gespräch zu kommen.
    Grüße
    Silvia

    1. Das stimmt. Aber in letzter Zeit habe ich das Angebot bei weitem nicht so intensiv genutzt, wie ich es eigentlich wollte. Das wird jetzt aber wieder anders, denke ich. Und dann gibt es hier auch was darüber zu lesen.

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