Derbe Zärtlichkeit

Sven Heuchert: Koenige von Nichts

Kann man objektiv über ein Buch urteilen, wenn ein Zitat von einem selbst auf der Rückseite steht? Wenn man mit dem Autor zwei-, dreimal im Jahr ein Bier trinken geht und über das Schreiben, die Literatur und Gott und Welt quatscht? Das waren die Gedanken, als ich Sven Heucherts »Könige von Nichts« aufschlug, ein Band mit vierzehn Short Stories. Allerdings waren sie schnell vergessen, diese Gedanken, denn die Geschichten haben es in sich.

Nach einem Roman ist dies Heucherts zweites Buch mit Erzählungen, kurz und knapp, ganz in der Tradition der amerikanischen Short Stories eben. Schon das erste beinhaltete Miniaturen der Hoffnungslosigkeit, die eine Alltagstristesse schilderten, die manchmal schwer zu ertragen war. Aber geschrieben mit einer erzählerischen Eleganz, welche die Kunst des Weglassens zelebriert. Kein Wort zu viel, keines zu wenig. Mit dem neuen Band „Könige von Nichts“ ist dem Autor ein würdiger Nachfolger gelungen.

Es gibt dabei aber einen Unterschied. Spürte man bei den ersten Stories oft eine unterschwellige Wut, die die Protagonisten vorantrieb, so steht diesmal eine Sehnsucht im Mittelpunkt, die meist unerfüllbar bleibt. Eine Sehnsucht nach Geborgenheit, nach Familie, nach so etwas wie einem Zuhause, nach einem Ort, an den man hingehört.

Die Tochter, die erlebt, wie der Vater mit der neuen Freundin im Wohnzimmer sitzt und Schnaps trinkt. Ein alter Mann, der sich nach Hause schleppt und in einem trostlosen griechischen Restaurant auf ein Bier einkehrt. Viel mehr geschieht nicht, aber die Einsamkeit ist in jedem Wort fast körperlich spürbar. Oder der Sohn, der im Krankenhaus zusammen mit seinem bettlägrigen Vater das Fortunaspiel anschaut, nicht wissend, dass er ihn danach nicht wieder sehen wird. Ein Heimkehrer, der nach ein paar Jahren zurückkommt in die Tristesse der rheinischen Provinz, zurück in ein Leben zwischen Stammkneipe, Industriebrachen und einem heruntergekommenen Bordell, dazu ein gewalttätiger Vater im Knast. Überhaupt ist die Eckkneipe immer wieder ein Fixpunkt, eine Art Zuhause für die Stammgäste mit ihren verwitterten, nikotingegerbten Gesichtern, die gemeinsam dort Abend für Abend verbringen, Jahr für Jahr. Viele weitere, präzise beobachtete Momentaufnahmen sind in dem Erzählband versammelt, wenige Pinselstriche genügen, um Schicksale zu schildern.

Es geht dabei nie um die Befindlichkeiten von Leuten, die auf einer Meta-Ebene mit sich selbst hadernd durch Berlin laufen und irgendwie unglücklich sind. Sondern um Menschen am Rand der Gesellschaft, die sich mehr schlecht als recht durchschlagen müssen, verachtet von den ach so liberalen Bewohnern der hippen Großstadtviertel. Es geht um zerbrochene Träume, gescheiterte Existenzen und um eben jene Sehnsucht nach ein bisschen Glück und Geborgenheit. Alkohol, Zigaretten, latente Gewalt und die Aussicht auf schnellen, unspektakulären Sex prägen dabei die Atmosphäre; niemand ist es gewohnt, über Gefühle zu sprechen, doch hier und da scheint in den Dialogen eine derbe Zärtlichkeit durch, manchmal kaum wahrnehmbar. Sven Heuchert schaut genau hin, er kennt solche Menschen, weiß, worüber er schreibt. Das macht seine Texte auf eine faszinierende Art und Weise authentisch, ohne die geschilderten Personen mit ihren kaputten Leben auf irgendeine Weise vorzuführen. Es ist, wie es ist.

Mein persönliches Highlight ist die Geschichte »Nachtfahrt«, die nur aus zwei Seiten besteht. Aber schon alleine wegen dieser beiden Seiten lohnt es sich, das Buch zu lesen. Es geht um einen Mann, der nachts mit seinem Auto durch die Gegend fährt, geplagt von Schlaflosigkeit; das Ziel ist immer eine ganz bestimmte Adresse. Alles, was wir als Leser wissen müssen, erfahren wir zwischen den Zeilen; vage Andeutungen, ein, zwei Wörter, lassen erahnen, warum dieser Mann nicht schlafen kann. Dann, plötzlich, versteht man, was geschehen ist. Und die traurige Leere, die sich vor einem auftut, ist so groß, dass man einen Schritt zurücktritt, um nicht hineinzufallen. Zwei Seiten nur.

Das Buch ist schnell gelesen. Eigentlich. Aber ich brauchte nach jeder Geschichte eine Pause, um über das Gelesene nachzudenken. Und um mir klar zu machen, wie kurz der Schritt an den Rand der Gesellschaft manchmal sein kann.

Eine schöne Besprechung des Buches gibt es auch im Blog Bücherwurmloch.

Buchinformation
Sven Heuchert, Könige von Nichts
Bernstein Verlag
ISBN 978-3-945426-31-9

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4 Antworten auf „Derbe Zärtlichkeit“

  1. Puh, ich bin nicht sonderlich geübt auf Miniaturtastaturen..
    Nach Absenden wurde mir schlagartig klar, daß ich vergessen habe den Text nochmals durchzusehen… Ärgerlich, aber so steht er nun da!
    Ich hoffe er ist wenigstens inhaltlich verständlich ????
    Lieben Gruß
    Gipsy

  2. Also eigentlich ist mein Bücherbudget für diesen Monat leider schon ausgereizt.
    Aufgrund dieser Rezension allerdings werde ich mir wohl einen kleinen Vorschuss auf nächsten holen müssen.

    Zwei Seiten (und sicher haben es die anderen ebenso in sich ), auf diese Weise besprochenfür haben für eine ungezügelte Neugierde ausgelöst, ich bin dann mal weg, unterwegs in den Buchladen meines Vertrauens… ????

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