Ein Diktator im Fadenkreuz

Geoffrey Household: Einzelgaenger, maennlich

Als der Diktator im Fadenkreuz auftauchte und der Zeigefinger des Schützen am Abzug lag, kam ein leichter Wind auf. Der Luftzug zwang ihn, das Präzisionsgewehr nachzujustieren und in diesen wenigen Sekunden wurde er von den Sicherheitskräften überwältigt. Damit beginnt der Roman »Einzelgänger, männlich« von Geoffrey Household. Jener Schütze ist der Ich-Erzähler, der berichtet, wie er anschließend in das große Anwesen gebracht und gefoltert wurde. Ohne Fingernägel und mit einem zugeschwollenen, stark verletzten Auge wird er eine Felswand hinabgeworfen, um seinen Tod wie einen Unfall aussehen zu lassen. Denn anhand seiner Papiere identifizierten seine Peiniger ihn als einen prominenten Angehörigen der englischen Oberschicht, den sie nicht einfach verschwinden lassen konnten. Wie durch ein Wunder überlebt er den Sturz und es beginnt eine dramatische Jagd. 

Es ist immer wieder spannend, beim Stöbern im heimischen Bücherregal verborgene Leseschätze zu entdecken; viele Bücher lagern dort schon seit Jahren. »Einzelgänger, männlich« hatte ich mir irgendwann quasi im Vorbeigehen gekauft, weil mir Titel und Cover gefielen – und weil der Verlag Kein & Aber es schafft, bibliophile Taschenbücher herzustellen. Ich mag diese Gestaltung mit dem schlichten Cover und dem bei Paperbacks außergewöhnlichen Farbschnitt sehr. Und auch wenn ich normalerweise versuche, den Kauf von Taschenbüchern zu vermeiden, mache ich bei dieser Reihe gerne eine Ausnahme. Auch dieses Mal wurde ich nicht enttäuscht. „Ein Diktator im Fadenkreuz“ weiterlesen

Überleben, irgendwie

Jeanine Cummins: American Dirt

An einem frühen Sonntagnachmittag habe ich den Roman »American Dirt« von Jeanine Cummins zu Ende gelesen. Danach konnte ich mit dem Rest des Tages nichts mehr anfangen, musste mich bewegen und sehr lange durch die Straßen meines Stadtteils laufen. Die Gedanken kreisten pausenlos um das Gelesene. Dabei war ich lediglich auf der Suche nach etwas nervenkitzelnder Unterhaltung, als ich »American Dirt« in der Buchhandlung liegen sah. Gutes Cover, neugierig machender Klappentext – das Versprechen für ein, zwei spannende Lesetage. Und dann bin ich in eine Geschichte hineingestolpert, die mich gepackt, zutiefst berührt und nicht mehr losgelassen hat. Für mich war das Buch ein absoluter Zufallsfund; vielleicht hätte ich es anders gelesen, wenn mir bewusst gewesen wäre, welch erbitterte Debatte durch diesen Roman in den USA losgetreten wurde. Aber die Nachrichten darüber sind komplett an mir vorbeigegangen. Mehr dazu am Ende des Beitrags. „Überleben, irgendwie“ weiterlesen

Ein Mahnmal aus Papier

Volker Weidermann: Das Buch der verbrannten Buecher

Für das zentrale Spektakel war in Berlin auf dem Opernplatz ein großer Scheiterhaufen aufgebaut worden. Doch nicht nur dort, sondern in vielen anderen deutschen Orten loderten am Abend des 10. Mai 1933 die Flammen. Verbrannt wurden unzählige Bücher, die fanatisierte Studenten zuvor aus den Bibliotheken gezerrt hatten. Entweder waren ihre Autoren dem sich immer stabiler konstituierenden Nazi-Regime ein Dorn im Auge oder ihr Inhalt entsprach nicht »dem deutschen Geist«. Organisiert wurde die barbarische Aktion nicht von der NSDAP, sondern durch die Deutsche Studentenschaft, dem Dachverband der studentischen Selbstverwaltung. Diese Kampagne ist einer der Tiefpunkte unserer Geistesgeschichte, an Symbolik kaum zu überbieten.

Das Datum dieses widerwärtigen Schauspiels jährt sich 2018 zum fünfundachtzigsten Mal. Ein Grund, hier »Das Buch der verbrannten Bücher« vorzustellen, mit dem Volker Weidermann den verfemten, verfolgten und zu einem nicht unbedeutenden Teil heute vergessenen Autoren ein Denkmal gesetzt hat. Natürlich eines aus Papier. Bereits vor zehn Jahren erschienen, ist es heute immer noch erhältlich und ich hoffe, dass dies noch lange so bleiben möge. „Ein Mahnmal aus Papier“ weiterlesen

Flüchtling im eigenen Land

Ulrich Alexander Boschwitz: Der Reisende

Als ich das Buch »Der Reisende« von Ulrich Alexander Boschwitz zu Ende gelesen hatte und es zugeschlagen neben mir auf dem Tisch lag, musste ich erst einmal tief durchatmen. Um die Anspannung zu lösen, mit der ich bis zuletzt Seite für Seite umgeblättert habe. Und um das Gefühl der Beklemmung loszuwerden, denn »Der Reisende« ist kein gewöhnlicher Roman. Vielmehr ist dieses Buch ein Zeitdokument in Romanform, das uns einen tiefen Einblick gewährt in das Deutschland des Novembers 1938. „Flüchtling im eigenen Land“ weiterlesen

Der Künstler und die Macht

Julian Barnes: Der Lärm der Zeit

Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch war einer der bedeutendsten russischen Komponisten des 20. Jahrhunderts. Wenn man es etwas präziser ausdrücken möchte, dann müsste man sagen, er sei einer der bedeutendsten sowjetischen Komponisten gewesen. Und in diesem feinen Unterschied zwischen russisch und sowjetisch liegt die gesamte Tragik eines Künstlerlebens, das sich in einer totalitären Diktatur bei aller Bedeutsamkeit nicht frei entfalten konnte. Und was dies für einen Menschen wie Schostakowitsch bedeutete, beschreibt Julian Barnes in seinem Roman »Der Lärm der Zeit«. „Der Künstler und die Macht“ weiterlesen

Drama im Wüstensand

Alberto Vázquez-Figueroa: Tuareg

Auf der ewigen Hitliste der spannendsten Bücher, die ich jemals gelesen habe, dürfte dieses hier einen der Spitzenplätze einnehmen: »Tuareg« von Alberto Vázquez-Figueroa. 1981 das erste Mal erschienen, ist es inzwischen fast so etwas wie ein Klassiker. Selten habe ich erlebt, wie der Spannungsbogen in einem Buch direkt zu Beginn der Handlung nach oben schnellt, dort mit Ausnahme weniger kurzer Momente, in denen der Leser etwas Luft holen kann, auch bleibt und sich zu einem überraschenden und furiosen Ende steigert. „Drama im Wüstensand“ weiterlesen