Das Haben-Müssen-Gen

Alte Buecher

Einmal, es ist schon etwas her, war ich wochenlang damit beschäftigt, meine Bücherregale zu durchforsten, um auszusortieren. Nicht zum ersten und gewiss nicht zum letzten Mal, aber ab und zu ist es einfach nötig. Denn der zur Verfügung stehende Platz ist leider begrenzt, auch wenn er große Teile der Wohnfläche einnimmt. Daher gibt es drei Kriterien, nach denen ich die Bücher auswähle, mit denen ich mich umgeben möchte: Entweder hat mich ein Buch so begeistert oder beeindruckt, dass ich mir vorstellen könnte, es ein weiteres Mal zu lesen – auch wenn das möglicherweise nie stattfinden wird. Oder ich verbinde ein Buch mit einem bestimmten Ereignis in meinem Leben, an das es mich erinnert; viele davon habe ich hier im Blog im Laufe der Jahre vorgestellt. Und natürlich gibt es die zahlreichen ungelesenen Bücher, die auf die Lektüre warten; dies ist mein Lesevorrat. Und im Prinzip kann man davon gar nicht genug haben, ich liebe es, vor den Regalen mit der Frage zu stehen: Was lese ich als nächstes? Aber es gibt das ein oder andere Buch, bei dem ich überlege, ob es mich nach zehn, fünfzehn Jahren im Regal tatsächlich noch so interessiert, dass ich es irgendwann lesen werde. Gleichzeitig ziehen Woche für Woche neue Bücher in mein Zuhause ein, manche Stapel – in den Regalen ist schon längst kein Platz mehr – schwanken bereits bedenklich. Daher müssen immer wieder Bücher weichen; was bleibt, ist irgendwann die Essenz eines Leserlebens. „Das Haben-Müssen-Gen“ weiterlesen

Papiergewordene Geschichte, Teil zwei

Papiergewordene Geschichte, Teil zwei

Im Blogbeitrag »Papiergewordene Geschichte« habe ich vor einiger Zeit alte Bücher aus meinen Buchregalen vorgestellt, die für mich besondere Schätze sind. Nicht, weil sie besonders wertvoll wären, sondern weil sie als Objekte schon selbst Geschichten erzählen – und dadurch ein Stück papiergewordene Geschichte darstellen, vollkommen unabhängig vom Inhalt. Es sind Bücher, die schon seit Jahrzehnten durch die unterschiedlichsten Hände gegangen sind, die historische Umwälzungen überlebt haben und nun durch die Zeiten hindurch zu uns sprechen. Hier kommt die zweite Runde dieser Buchschätze. „Papiergewordene Geschichte, Teil zwei“ weiterlesen

Papiergewordene Geschichte

Papiergewordene Geschichte

Im Laufe der Jahre sammeln sich viele Bücher an, bei denen man sich irgendwann fragt, warum man sie eigentlich besitzt. Sei es ein Mängelexemplar, das man für zwei Euro neunundneunzig erworben hat, weil einem irgendwie der Klappentext gefiel, seien es Bücher aus Haushaltsauflösungen, von Flohmärkten, Geschenke, belanglose Krimis, die man für eine längere Bahnfahrt noch schnell im Bahnhof gekauft hatte; Bücher, die man einmal unbedingt lesen wollte, die dann aber schon zwanzig Jahre im Regal stehen, weil sie einen dann doch nicht interessierten. Und. Und. Und. Gleichzeitig wird der Platz eng, ständig fließt ein Strom neuer Bücher in die Regale und auf die Stapel davor.

Deshalb ist es notwendig, den begrenzten Platz optimal zu nutzen und regelmäßig alle Regalmeterblockierer auszusortieren. Diese Bücher werden verschenkt, in öffentliche Bücherschränke gebracht oder in seltenen Fällen auch einfach zum Altpapier gegeben. Gleichzeitig ist dieses Durchforsten auch jedes Mal wieder eine Entdeckungsreise – man kommt vor lauter Anlesen und Blättern nicht schnell voran. Und das ist jedes Mal ein Genuß.

Und dann gibt es auch noch die besonderen Schätze, diejenigen Bücher, die mich zum Teil schon sehr lange begleiten und die ich niemals weggeben würde. Es sind alte Bücher, die ich in Antiquariaten gefunden habe, aber auch Fundstücke aus Kartons in Hauseingängen oder auf Fensterbrettern. Bei ihnen kommt es nicht auf den Inhalt an, vielmehr erzählen sie selbst Geschichten. Oder sind ein Stück papiergewordene Geschichte, sei es durch Widmungen, Stempel, Bibliotheksaufkleber oder Erscheinungsjahre. Für mich sind dies wahre Schmuckstücke, auch wenn sie meist auf den ersten Blick recht unscheinbar wirken. Für diesen Beitrag habe ich ein paar davon aus dem Regal geholt und zeige hier, was sie so besonders macht. „Papiergewordene Geschichte“ weiterlesen

Vor dem Untergang

Eric Sonneman: Der letzte Sommer / The Last Summer

Bevor der Mannheimer Photolaborant Erich Sonnemann seinen Namen in Eric Sonneman ändern würde, besuchte er ein letztes Mal seine Verwandtschaft in Freudental – einem Dorf  in der schwäbischen Provinz, irgendwo zwischen Ludwigsburg und Heilbronn. Mit dabei hatte er seine Kamera, mit der er die Familie seines Onkels und dessen Freunde photographierte. Und die Arbeit auf den Feldern, denn es war Erntezeit, damals im Sommer 1938. Ob Erich Sonnemann wusste, dass es danach kein Wiedersehen geben würde? Er emigrierte kurz darauf in die USA und aus seinen Bildern jenes Sommers sind heute Dokumente der Zeitgeschichte geworden. Denn fast alle der darauf abgebildeten Menschen waren einige Jahre später tot, ermordet von ihren Landsleuten und Mitbürgern. Weil sie Juden waren. In dem schmalen Band »Der letzte Sommer« aus der Reihe »Freudentaler Blätter« können wir einige der Photos anschauen. Und erhalten einen Eindruck von trügerischer Normalität, die keine drei Monate später zerbröseln sollte wie ein morsches Stück Holz. Die Photographien sind das Denkmal einer verschwundenen Welt, untergegangen in Barbarei, Leid und Tod. „Vor dem Untergang“ weiterlesen

Die Stunde der Idealisten

Volker Weidermann: Traeumer

Volker Weidermann beschreibt in seinem Buch »Träumer« die wenigen Monate zwischen November 1918 und Mai 1919, als in München eine Handvoll beherzter Idealisten nach der Macht griff, um eine bessere Welt zu schaffen. Und die damit dramatisch scheiterten.

Eine der eindrucksvollsten Szenen des Buches finden wir gleich im ersten Kapitel: Kurt Eisner, Journalist, Schriftsteller und Pazifist, besetzt mitten in der Nacht mit einer Gruppe Getreuer den bayerischen Landtag. Schon fast verwirrt über diesen leichten Erfolg übernehmen sie den notdürftig beleuchteten, leeren Sitzungssaal und entwerfen eine Proklamation für die Republik. Eine gespenstische Situation. In den frühen Morgenstunden ruft Eisner den bayerischen Freistaat aus, mit sich als Regierungschef. Es ist November 1918 und auf den Straßen herrscht das Chaos. „Die Stunde der Idealisten“ weiterlesen

»Unsere Demokratie muss die Fäuste oben halten«

Mit Volker Kutscher durch Köln-Klettenberg

Durch Köln-Klettenberg mit Volker Kutscher – ein Autorenspaziergang

Hier auf Kaffeehaussitzer habe ich mich schon mehrmals mit der Krimireihe rund um den Ermittler Gereon Rath beschäftigt. Die Reihe ist ein spannendes und faszinierendes Projekt, denn der Autor Volker Kutscher schafft es damit, die verhängnisvollsten Jahre in der deutschen Geschichte am Beispiel seiner Protagonisten zu erzählen. Gemeinsam mit Gereon Rath erleben wir das Ende der Weimarer Republik und den Weg in die Dunkelheit der Nazi-Diktatur. Und das alles verpackt als spannende Kriminalfälle mit akribisch recherchiertem historischen Hintergrund.

Im Herbst 2016 fragte mich Philipp Achilles vom Verlag Kiepenheuer & Witsch ob ich Interesse hätte, mich einmal mit Volker Kutscher zu treffen und aus dem Gespräch einen Beitrag zu verfassen. Klar, dass ich sofort zugesagt habe und herausgekommen ist dabei ein Text über das Schreiben, über Zeitgeschichte und den Bezug zum Heute, über Köln und Berlin. Und natürlich über Gereon Rath.  „»Unsere Demokratie muss die Fäuste oben halten«“ weiterlesen

Ein Buch für unsere Zeit

Ian Kershaw: Höllensturz

Seit über sieben Jahrzehnten herrscht in Europa weitgehend Frieden. Allen Auswüchsen des Kalten Krieges, den Balkankonflikten der Neunziger oder den ehemals bürgerkriegsähnlichen Zuständen Nordirlands zum Trotz: Dass sich Europas Länder gegenseitig zerfleischt und den Kontinent an den Rand des vollkommenen Zusammenbruchs gebracht haben, scheint endlos lange zurückzuliegen. So lange, dass man zu vergessen beginnt, was für ein fragiles Gebilde dieser Friede ist. In Zeiten zunehmender Abschottung, der Rückkehr des Nationalismus, vor dem Hintergrund des Brexit und der Erfolge dumpfrechter Parteien liefert uns der Historiker Ian Kershaw ein Werk, das uns die europäische Geschichte im 20. Jahrhundert nahebringt. Es ist auf zwei Bände angelegt; der erste Band trägt den passenden Namen »Höllensturz« und beschreibt den Zeitraum zwischen 1914 und 1949. Packend und mitreißend geschrieben, lehrreich ohne professoral-dozierenden Tonfall zeigt er uns, wie Europa den Weg in den Abgrund beschritten hat. Zweimal. „Ein Buch für unsere Zeit“ weiterlesen

Ermittler mit Scheuklappen

Volker Kutscher: Lunapark - Gereon Raths sechster Fall

Es gibt wenig Bücher, in denen Zeitgeschichte so lebendig wird, wie in der Buchreihe um den Ermittler Gereon Rath. Ich mag diese Reihe sehr und habe mich bereits mehrmals auf Kaffeehaussitzer damit beschäftigt. Sie ist ein spannendes und faszinierendes Projekt, denn der Autor Volker Kutscher schafft es darin, die verhängnisvollsten Jahre in der deutschen Geschichte am Beispiel seiner Protagonisten zu erzählen. Gemeinsam mit Gereon Rath erleben wir das Ende der Weimarer Republik und den Weg in die Dunkelheit der Nazi-Diktatur. Und das alles verpackt als spannende Kriminalfälle mit akribisch recherchiertem historischen Hintergrund. Der Roman »Lunapark« spielt im Jahr 1934 und ist der sechste Band der Reihe; die Nationalsozialisten sind dabei ihre Macht weiter zu festigen, die SA terrorisiert die Bevölkerung, das Bürgertum – ursprünglich froh, der kommunistischen Gefahr Herr geworden zu sein – beginnt zu realisieren, auf was für eine Art Staat Deutschland unaufhaltsam zusteuert. „Ermittler mit Scheuklappen“ weiterlesen

Die Liste der Neun. Ein Ausblick

Neue Buchvorstellungen auf Kaffeehaussitzer: Viel Zeitgeschichte und neun Bücher, die mich beeindruckt haben.

In den letzten Wochen war es etwas ruhig auf Kaffeehaussitzer. Zwischen Weihnachten, Jahreswechsel, beruflichen und privaten Verpflichtungen gab es keine richtige Muße, um einen Blogbeitrag zu schreiben. Was aber nicht heißen soll, dass die Zeit auch zum Lesen nicht gereicht hat, ganz im Gegenteil. Mittlerweile warten neun Bücher darauf, hier vorgestellt zu werden und als kleinen Zwischenbericht möchte ich einen Ausblick geben, was in nächster Zeit auf Kaffeehaussitzer geplant ist. Das hilft mir auch dabei, eine Gliederung zu schaffen, um mich nicht zu verzetteln.

Es ist nicht so, dass ich jedes Buch bespreche, das ich gelesen habe. Manche hinterlassen zu wenig Eindruck, als das es sich lohnen würde, sich näher damit zu beschäftigen. Allerdings hatte ich Glück bei der Auswahl der letzten Lektüren und so sind neun ganz und gar unterschiedliche Bücher zusammengekommen, um die es hier in den nächsten Beiträgen gehen wird. „Die Liste der Neun. Ein Ausblick“ weiterlesen