Literarischer Gedenkstein

Ueber den Feldern - Der Erste Weltkrieg in grossen Erzaehlungen der Weltliteratur

Guillaume Apollinaire, Isaac Babel, Tania Blixen, Jorge Luis Borges, Bertolt Brecht, Louis-Ferdinand Céline, Joseph Conrad, Gabriele d’Annunzio, Heimito von Doderer, Alfred Döblin, Ilja Ehrenburg, William Faulkner, Ford Madox Ford, Anatole France, Claire Goll, Jaroslav Hašek, Ernest Hemingway, Franz Kafka, Eduard Graf von Keyserling, Rudyard Kipling, Klabund, Karl Kraus, Vernon Lee, Heinrich Mann, Katherine Mansfield, William Somerset Maughan, Robert Musil, Boris Pasternak, Joseph Roth, Gertrude Stein, Franz Werfel, Edith Wharton, Thomas Wolfe, Virginia Woolf, Carl Zuckmayer, Arnold Zweig, Stefan Zweig.

Viele berühmte Namen.

Doch neben der Tatsache, dass sie Weltliteratur verfasst haben, eint diese Menschen noch etwas mehr: Sie alle lebten während des Ersten Weltkriegs und diese vier mörderischen Jahre haben in ihren Biographien Spuren hinterlassen. Direkte und indirekte, künstlerische und alltägliche. Sie haben diesen Krieg literarisch verarbeitet; das von Horst Lauinger herausgegebene Buch »Über den Feldern – Der Erste Weltkrieg in großen Erzählungen der Weltliteratur« versammelt Texte von ihnen allen in einem Band. Wobei ich zu Beginn nur die ganz bekannten Namen erwähnt habe; die Textsammlung geht noch weit darüber hinaus und sorgt für Neu- und Wiederentdeckungen von Stimmen aus jener Zeit. Längst verklungen, aber zwischen zwei Buchdeckeln immer noch da. Hörbar, lesbar, wie ein mehr als hundert Jahre altes Echo.

Denn vor genau hundert Jahren, im November 1918, endete der Erste Weltkrieg. Europa war ausgeblutet, drei Monarchien waren verschwunden, zahlreiche neue Staaten entstanden und mit dem Versailler Vertrag wurde bereits die Saat für den nächsten, noch viel verheerenderen Konflikt gelegt. 2014 ist hier auf Kaffeehaussitzer das Leseprojekt Erster Weltkrieg an den Start gegangen, das noch lange nicht abgeschlossen ist. Zum Gedenken an die hundertjährige Wiederkehr des Kriegsendes ist »Über den Feldern« aber genau das richtige Buch; eines, dass als ein zentrales Werk der gesamten Lektüreliste gelten kann. Es ist ein literarischer Gedenkstein.

Umschlaggestaltung und Buchtitel sind eine Hommage an John McCraes berühmtes Gedicht: »In Flanders fields the poppies blow / Between the crosses, row on row.« Im Nachwort steht dazu: »Das Gedicht macht die poppies zum britischen Erinnerungssymbol schlechthin. Ein schaurig-schönes Bild: Über Abertausenden von Toten schießt der Klatschmohn aus der vernarbten Erde und errinnert mit dem leuchtenden Rot an vergossenes Blut.«

Die ingesamt sechzig kurzen Texte – manche haben nur zwei, drei, wenige mehr als zwanzig, fünfundzwanzig Seiten – sind eine außerordentlich abwechslungsreiche Zusammenstellung. Kurzgeschichten, Miniaturen, Einblicke, fragmentarische Momentaufnahmen, Autobiographisches, Allegorisches, Texte von heute vergessenen Autoren, Texte von Literaturnobelpreisträgern – alles mischt sich miteinander und lässt ein literarisches Panorama entstehen, dass in seiner Vielfalt die Tragweite, Intensität und auch die geographische Ausdehnung des Krieges wiedergibt.

Etwa die kurze Erzählung von Alfred Döblin, eine Groteske, bei der einem das anfängliche Schmunzeln schnell im Gesicht einfriert. Oder Jaroslav Hašeks bitterböse Satire auf die k.u.k Geheimpolizei, die antiösterreichische Tendenzen in Prag bekämpfen soll.

Das dramatisch-allegorische Bild von Emilio Cecchi, der den Durchzug der Schafherden durch das nächtliche Rom beschreibt. Und dabei mit wenigen Sätzen eine Stimmung erschafft, die einem beim Lesen erschaudern lässt.

Der Text von Carl Zuckmayer, der ihn buchstäblich im Schützengraben verfasst hat, wie wir aus den Kurzbiographien im Anhang erfahren. Überhaupt sind diese Kurzbiographien eine wichtige Ergänzung des Werkes. Sie zeigen in vielen Fällen den Gesinnungswandel der Schreibenden; von der anfänglichen, überall herrschenden Kriegsbegeisterung hin zur ernüchternden Feststellung, welche Büchse der Pandora die Menschen im August 1914 geöffnet haben. Beispielhaft sei hier Rudyard Kipling genannt, der anfänglich als Kriegspropagandist für die englische Regierung arbeitete – bis einer seiner Söhne als vermisst gemeldet wurde und er wie aus einem Rausch aufwachte und merkte, dass Krieg nichts mit Ehre und Ruhm zu tun hat. Bis zum Kriegsende ließ er nach seinem Sohn suchen. Ergebnislos.

Ein Text von Virginia Woolf ist enthalten, der als erster in der legendären Hogarth Press erschienen ist, die von dem Ehepaar Woolf mit Hilfe einer alten Druckerpresse ins Leben gerufen wurde.

Clément Pansaers kommt zu Wort, der im von den Deutschen besetzten Brüssel 1917 eine Art parallele Bewegung zu den Zürcher Dadaisten gründete.

Die Erzählung des Armeniers Axel Bakunts wiederum ist durchdrungen von der traumatischen Erfahrung des türkischen Genozids an seinem Volk, ohne diesen konkret beim Namen zu nennen.

Zwei der stärksten Texte stammen von Vernon Lee und Claire Goll. Lee, eine in Florenz lebende Engländerin, waren die Kriegsbegeisterung und der mörderische Nationalismus ein Gräuel. Ihre Erzählung »Der Tanz der Völker. Eine Moralität aus unseren Tagen« berichtet im Stil eines mittelalterlichen Totentanzes davon, wie Satan ein Orchester zusammenstellt und die Völker auf die Bühne schickt. Ein unglaublich intensiver Text, der für dieses Buch zum ersten Mal auf Deutsch erscheint – wie übrigens auch einige andere der veröffentlichten Erzählungen.

Claire Goll erzählt von einer Schneiderin, einer einfachen Frau, verachtet von den Reichen, deren Kleider sie näht. In der kurzen Erzählung erfährt sie, dass ihr Mann gefallen ist – und dieser schreckliche Moment ist so eindrucksvoll wiedergegeben, dass man mitanfühlen kann, wie ihr Leben zerbricht, von einer Minute auf die andere. Unterstrichen wird das Drama der ziel- und orientierungslos durch Paris taumelnden Frau durch Golls expressionistischen Erzählstil, der die Bilder der Nacht auf den Leser einprasseln lässt.

Als letzer dieser Aufzählung sei noch der Name Leo Wolf genannt, dessen Text mitten hinein in das Niemandsland zwischen den Schützengräben führt, in Schlamm, Stacheldraht, Blut und Tod. Viel mehr als den Namen des Verfasser kennt man nicht, der Text ist 1919 in einem pazifistischen Sammelband erschienen und es ließ sich nicht herausfinden, wer dieser Leo Wolf war. »So steht dieser nicht näher identifizierbare Erzähler stellvertretend für den unbekannten Soldaten des Ersten Weltkriegs, den erst die Fronterfahrung zum Schriftsteller gemacht hat.«

Ich hoffe, dass diese kurzen Beispiele einen Eindruck von der Vielfalt des Werkes geben – und sie sind nur ein Bruchteil gesammelten Erzählungen, wie nicht zuletzt die eingangs aufgeführten Namen zeigen.

»Über den Feldern« ist ein überaus ambitioniertes Buchprojekt und auf einer der letzten Buchmessen hatte ich die Gelegenheit, darüber mit Horst Lauinger zu reden, Manesse-Verleger und Herausgeber des Werkes. Er erzählte mir von der langen Recherche, von den Entdeckungen, dem Einholen der Abdruckrechte, den – in einigen Fällen – erstmaligen Übersetzungen und von vielen weiteren spannenden Arbeitsschritten. Erschienen ist das Buch 2014 anlässlich der hundertsten Wiederkehr des Kriegsbeginns. Die Mühe hat sich gelohnt, denn das Ergebnis ist eine herausragende editorische Leistung in wunderbarer Ausstattung.

Unzählige Texte mussten gesichtet und gelesen werden, um mit der getroffenen Auswahl das Lebensgefühl einer ganzen Epoche zum Ausdruck zu bringen. Einer Epoche, die geprägt war vom Großen Krieg, wie der Erste Weltkrieg in England und Frankreich genannt wird. Und deren Folgen die Weichen für das 20. Jahrhundert gestellt haben, bis weit hinein in unsere Zeit. Bis heute.

Als Schlusswort bietet sich ein kurzer Ausschnitt aus Ilja Ehrenburgs Beitrag zu diesem Sammelband an:

»Es war Krieg. Irgendwann erhält er das Epitheton ›der Große‹ oder ›der Kleine‹, damit er ohne weiteres von anderen, früheren oder späteren Kriegen unterschieden werden kann. Für Leute, die in jenen Jahren lebten, war es einfach – der Krieg; einfach wie – die Pest; einfach wie – der Tod.«

Und Paul Valéry wird im Nachwort von »Über den Feldern« mit einem zeitlosen Satz zitiert: »Der Krieg ist ein Massaker von Leuten, die einander nicht kennen, zum Nutzen von Leuten, die einander kennen, aber nicht massakrieren.«

Ob sich daran jemals etwas ändern wird?

Dies ist ein Titel aus dem Leseprojekt Erster Weltkrieg.

Buchinformation
Horst Lauinger (Hrsg.), Über den Feldern
Der Erste Weltkrieg in großen Erzählungen der Weltliteratur

Manesse Verlag
ISBN 978-3-7175-2340-6

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