Mit eleganter Leichtigkeit

Juan Gabriel Vasquez: Lieder für die Feuersbrunst. Erzaehlungen

Es war der Buchtitel, der mich neugierig gemacht hat. »Lieder für die Feuersbrunst« klingt auf eine so poetische Weise dramatisch, dass ich an diesem Buch auf keinen Fall vorbeigehen konnte. Es enthält Erzählungen des kolumbianischen Autors Juan Gabriel Vásquez, ebenso wie der Band »Die Liebenden von Allerheiligen«. Auf beide Bücher machte mich Vanessa Marzog aufmerksam, die für Holtzbrinck Berlin arbeitet und unter anderem für die Kommunikation rund um die Samuel Fischer Gastprofessur verantwortlich ist. Sie bot an, mir diese beiden Bücher zuzusenden; dafür sollte ich sie photographisch in Szene setzen und ein paar Sätze über den Autor schreiben, der im Sommer 2021 Dozent der Samuel Fischer Gastprofessur an der FU Berlin ist. Eigentlich gehe ich auf Kooperationsanfragen dieser Art nie ein, denn zu viele noch nicht vorgestellte Bücher stehen in der Blog-Warteschlange. Aber wie gesagt, den Buchtitel fand ich so grandios und das Thema der Gastprofessur so interessant, dass ich in diesem Fall nicht anders konnte, als zuzusagen. Zumal ich ein Faible für Literatur aus Süd- und Mittelamerika habe. Und es hat sich gelohnt, denn die Erzählungen der beiden Bände haben mich sehr begeistert.

Juan Gabriel Vásquez lebt und arbeitet in Bogotá, nachdem er zuvor sechzehn Jahre in Europa unterwegs war; mit Stationen in Paris, den belgischen Ardennen oder Barcelona.  Er gilt als einer der wichtigsten zeitgenössischen Autoren Lateinamerikas; auf Deutsch erscheint sein Werk im Schöffling Verlag. Um die Samuel Fischer Gastprofessur für Literatur hier vorzustellen, zitiere ich aus deren Webseite: »Die Samuel Fischer Gastprofessur für Literatur wurde zu Beginn des Sommersemesters 1998 ins Leben gerufen. Sie wird getragen vom S.Fischer Verlag, der Freien Universität Berlin, dem DAAD und dem Veranstaltungsforum Holtzbrinck Publishing Group. Jeweils für ein Semester wird eine Autorin oder ein Autor eingeladen, am Peter Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft zu lehren. Neben jeweils einem Seminar an der Freien Universität Berlin werden öffentliche Lesungen und Veranstaltungen mit den Gastprofessoren in Berlin und anderen deutschen Städten durchgeführt.« Ein sehr spannendes Projekt und die Liste der bisherigen Dozenten liest sich so, dass ich gerne noch einmal Student wäre. 

Am 22. Juni 2021 war Juan Gabriel Vásquez im Zuge der Gastprofessur zusammen mit Rike Bolte im Instituto Cervantes Berlin zu Gast. »Política de la ficción« lautete das Thema, über das die beiden sprachen; die Veranstaltung ist auf YouTube abrufbar.

Nach all diesen Hintergrundinformationen geht es jetzt zum Wesentlichen, zu den beiden Büchern.

Juan Gabriel Vásquez: Lieder für die Feuersbrunst

Was für ein Titel! Poesie schwingt darin mit, Schönheit, Eleganz und Gewalt. Neun Erzählungen sind in diesem Band versammelt, die vollkommen unterschiedliche Menschen und Situationen beinhalten – doch alle kreisen sie um den großen Themenkomplex der Lebenslügen, der Unwahrheiten, der Sprachlosigkeit angesichts entscheidender Wendepunkte. Die kürzeste Erzählung umfasst gerade einmal neun, die längste zweiunddreißig Seiten, aber der Umfang spielt keine Rolle. Denn Juan Gabriel Vásquez schafft es stets, seine Leser mit einem, maximal zwei Sätzen mitten hinein in eine Geschichte zu ziehen. Eine kleine Kostprobe?

»Schon immer wollte ich die Geschichte aufschreiben, die mir die Fotografin erzählt hat, konnte es aber nur mit ihrer Erlaubnis, ihrem Einverständnis. Die Geschichten der anderen sind unantastbares Terrain, zumindest für mich, denn oft steckt in ihnen etwas, was ein ganzes Leben erklärt und begründet, und sie zu stehlen und aufzuschreiben ist weitaus schlimmer, als ein Geheimnis zu verraten.«

Wer möchte da nicht weiterlesen, um die Geschichte der Photographin kennenzulernen. Eine Geschichte, die ein zwischenmenschliches Drama schildert inmitten der blutigen Verwerfungen der kolumbianischen Politik.

Oder dieser Anfang einer Erzählung: 

»Ich hatte den Auftrag angenommen, weil die Bezahlung gut war, aber vor allem, weil sich mir der absurde Gedanke in den Kopf gesetzt hatte, eine Woche Busreise durch Spanien würde mir zeigen, ob ich in dem Land würde leben können oder ob ich mich wieder einmal im Ziel getäuscht hatte und zum vierten Mal die Koffer packen und einen anderen Ort zum Bleiben suchen musste.«

Ein Satz voller Wurzellosigkeit, aber auch Neugier auf das Leben: In der Geschichte begleitet der Ich-Erzähler als Journalist eine mexikanische Corrido-Band auf ihrer Tournee durch Spanien und versteht nach und nach, welche Familientragödie sich mit dieser Reise verbindet. 

Diese elegante Leichtigkeit der Sprache begeistert mich, sie hebt sich wohltuend ab von der erdrückenden Schwere, die in den letzten Jahren so häufig in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur anzutreffen ist. Dass ich sie genießen durfte, habe ich der Übersetzungsleistung von Susanne Lange zu verdanken. 

Sechs der neun Erzählungen sind in Kolumbien angesiedelt. Bei ihnen schimmert die jüngere Geschichte des Landes durch die Zeilen, die geprägt war von Bürgerkrieg und Gewalt. Und die ihre Spuren in der Gesellschaft hinterlassen hat. Besonders intensiv gelingt dies in der titelgebenden Erzählung »Lieder für die Feuersbrunst«; hier schafft es der Autor auf knapp dreißig Seiten unterschiedliche Zeitebenen einzubauen und uns Leser auf eine dramatische Reise mitzunehmen, die sich über ein ganzes Jahrhundert erstreckt. Und deren Tragik mit jedem Satz deutlicher zutage tritt. 

Juan Gabriel Vásquez: Die Liebenden von Allerheiligen

Die Erzählungen von Vásquez entwickeln einen Sog, dem ich mich nicht entziehen konnte. Nachdem ich »Lieder für die Feuersbrunst« beendet hatte, folgte daher direkt der andere Band. »Die Liebenden von Allerheiligen« ist einige Jahre früher erschienen, doch stilistisch ebenso brillant. Es gibt nur einen Unterschied, denn die sieben Geschichten sind allesamt in Frankreich oder in den belgischen Ardennen angesiedelt. Darin spiegeln sich die europäischen Jahre des Autors wider.

Gescheiterte Beziehungen, Einsamkeit oder Verzweiflung an der Gnadenlosigkeit des Lebens – das ist die erzählerische Klammer, die alle sieben Miniaturen miteinander verbindet. Auch hier werden wir Leser wieder mitten hineingeworfen, lernen Personen kennen, die der Autor mit wenigen Pinselstrichen so eindrucksvoll vorstellt, als hätten wir schon einen halben Roman gelesen. Und auch hier erleben wir Situationen voller Tragik, werden Zeugen von Handlungen, die unumkehrbar sind. 

Es sind Menschen auf der Suche nach einem Halt im Leben, nach Liebe und Geborgenheit – und die meisten fallen dabei in eine Leere, aus der es kein Zurück mehr gibt. Besonders beeindruckt hat mich die Erzählung »Der Untermieter«, in der der beste Freund eines seit vielen Jahren verheirateten Ehepaars sich bei einer Jagd selbst erschießt – und Satz für Satz wird klar, warum dies alles genau so kommen musste, warum es gar nicht anders hätte enden können.

»Wie bequem war doch die Zukunft, die die Leute so sehr fürchteten. Sie wussten eben nicht, dass das Schlimme der Schmerz der Vergangenheit war, die Erinnerung an diesen Schmerz, denn ihr schlechter Geschmack im Mund ist wie die Kleidung, die einem im Sommer ins Heu fällt und den ganzen Tag über am Hals und Rücken juckt.«

Oder die Erzählung »Das Leben auf der Insel Grimsey«, in der eine Frau und ein Mann gemeinsam in einem Auto durch das nächtliche Frankreich fahren. Und sich auf wenigen Seiten ein Drama abspielt, das uns zwei Gescheiterte zeigen wird, die zufällig aufeinandertrafen. Und deren Einsamkeit und Trauer so überwältigend sind, dass auch hier das Ende der Geschichte von einer Konsequenz ist, die mir als Leser im Gedächtnis bleiben wird.  

In der Erzählung »Ein passendes Versteck« klingelt ein Telefon und nach dem Anruf wird nichts mehr so sein wie zuvor. Dieser kurze Moment ist so großartig beschrieben, dass ich mit diesem Zitat den Blogbeitrag beenden möchte.

»Nichts kommt plötzlicher als das Klingeln eines Telefons, nichts sonst verwandelt in weniger als einer Sekunde Wohlbefinden in Verlust. Das Warten auf eine Person umfasst auch ihre Schritte bis an unsere Tür, das Warten auf einen Brief umfasst auch die Zeit, die wir den Umschlag vor dem Öffnen noch in Händen halten, aber ein Anruf verändert die Welt im Nu: Eben war er noch nicht da, nun schon. So schnell geschehen Dinge.«

Ich bedanke mich bei Vanessa Marzog und der Samuel Fischer Gastprofessur dafür, dass ich diesen Autor für mich entdecken konnte. Und es werden sicherlich nicht die letzten Bücher sein, die ich von ihm gelesen habe.

Bücherinformationen
Juan Gabriel Vásquez, Lieder für die Feuersbrunst
Aus dem Spanischen von Susanne Lange
Verlag Schöffling & Co.
ISBN 978-3-89561-018-9

Juan Gabriel Vásquez, Die Liebenden von Allerheiligen
Aus dem Spanischen von Susanne Lange
Verlag Schöffling & Co.
ISBN 978-3-89561-007-3

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2 Antworten auf „Mit eleganter Leichtigkeit“

  1. „Das Geräusch der Dinge beim Fallen“ war auch ein ziemlich starker Roman.

    Was mich wundert, ist das Autoren wie Vasquez teils so heftig dem Boom/Post-Boom & dem Magischen Realismus gegenüber gestellt werden, was sie teils auch selbst betreiben (Wobei dann oft auch noch einfach alles vor 2000 in Lateinamerika Magischer Realismus genannt wird. „Das Geräusch der Dinge beim Fallen“ hat wenig, was es von einem mittleren Llosa unterscheidet, „Die geheime Geschichte Costaguanas“ hatte schon wieder dezidiert magisch lesbare Elemente, usw. Ich sehe, auch mit den Erzählungen zB in „Schiffe aus Feuer“ keinen krassen Bruch in der schon immer schlecht in eine Strömung zu pressenden Lateinamerikanischen Literatur & hab das Gefühl, da wird vor allem etwas fürs Marketing inszeniert.

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