Über die Leere, die uns umgibt

Lydia Sandgren: Gesammelte Werke

Anstatt über den Roman »Gesammelte Werke« von Lydia Sandgren zu schreiben, würde ich viel lieber noch darin lesen, wäre gerne noch in der Geschichte gefangen, die mich vollkommen in ihren Bann gezogen hat. Aber auch 874 Seiten sind leider irgendwann zu Ende und es war mitten in der Nacht, als ich das Buch zugeklappt habe; übermüdet und hellwach gleichzeitig. Am nächsten Tag begann das Gelesene zu sacken, sich im Kopf auszubreiten und mir wurde nach und nach klar, was für ein grandioses Leseerlebnis mir beschert worden war – verbunden mit der Wehmut, die liebgewordenen Personen nun nicht mehr wiederzutreffen. Literatur, die wie ein helles Licht über den trüben pandemischen Winter strahlt. Dabei behandelt »Gesammelte Werke« ernste Themen, es geht um Verlust, um das Gefühl der Leere und die Suche nach einem Sinn im Leben; es gibt viele Fragen und nicht immer Antworten darauf – das alles aber ist eingebettet in einer wunderbaren Erzählung über die Freundschaft, das Älterwerden und die Liebe zur Kunst, zur Literatur und zur Sprache. „Über die Leere, die uns umgibt“ weiterlesen

Kunstwerke aus 26 Buchstaben

Hauke Goos: Schoener schreiben

Von Beginn an gibt es in diesem Blog die Rubrik »Textbausteine«. Hier stelle ich Textstellen vor, die mir etwas bedeuten. Mit manchen verbinde ich persönliche Erinnerungen, andere haben mich inspiriert, mich bewegt oder aufgrund ihrer kristallklaren Schönheit zum Staunen gebracht. Und etliche begleiten mich schon seit Jahren. Ebenso stehen im Zentrum vieler Buchvorstellungen kurze Zitate aus den besprochenen Werken; Stellen, die mich innehalten ließen, die Gedanken in Sätze fassen, die ich selbst vage im Kopf hatte, die ich bisher aber noch nie so ausdrücken konnte. Worte, die ein Gefühl perfekt zu formulieren vermögen – immer wieder stoße ich in Büchern auf solch sprachliche Juwelen und lese sie bewundernd ein zweites, drittes Mal, manchmal laut, um mich an ihrer Perfektion zu erfreuen; kein Wort zu viel und keines zu wenig. Das ist das Großartige an der Beschäftigung mit dem geschriebenen Wort: Manchen Menschen, nicht vielen, gelingt es, die sechsundzwanzig Buchstaben unseres Alphabets so zusammenzufügen, dass Kunstwerke daraus entstehen, die Jahre und Jahrhunderte überdauern. Der Journalist Hauke Goos sammelt solche Textstellen, schreibt in seiner Spiegel-Kolumne regelmäßig darüber und hat nun in seinem Buch »Schöner schreiben« fünfzig von ihnen zusammengestellt. „Kunstwerke aus 26 Buchstaben“ weiterlesen

Am Tag nach dem Ende

Vor einigen Jahren hatte ich an anderer Stelle hier im Blog geschrieben, dass ich einen tiefergehenden Zugang zu Lyrik nie hatte und wohl auch nie haben würde. Inzwischen bin ich mir da nicht mehr so sicher. Denn wie kann es sonst sein, dass mich sechs Zeilen eines Gedichts so ins Innerste getroffen haben, dass es mir große Mühe macht, auch Tage danach meine Gedanken dazu aufzuschreiben. Dabei ist das vielleicht auch gar nicht notwendig, denn die zwanzig Worte des Gedichts sagen genug. Hier sind sie. 

The morning after
my death
we will sit in cafés
but I will not
be there
I will not be
 
Das Empfinden der Sterblichkeit und Vergänglichkeit, das aus diesen kurzen Zeilen spricht, ist überwältigend; ein poetisches Memento Mori für unsere Zeit.

„Am Tag nach dem Ende“ weiterlesen

Mit eleganter Leichtigkeit

Juan Gabriel Vasquez: Lieder für die Feuersbrunst. Erzaehlungen

Es war der Buchtitel, der mich neugierig gemacht hat. »Lieder für die Feuersbrunst« klingt auf eine so poetische Weise dramatisch, dass ich an diesem Buch auf keinen Fall vorbeigehen konnte. Es enthält Erzählungen des kolumbianischen Autors Juan Gabriel Vásquez, ebenso wie der Band »Die Liebenden von Allerheiligen«. Auf beide Bücher machte mich Vanessa Marzog aufmerksam, die für Holtzbrinck Berlin arbeitet und unter anderem für die Kommunikation rund um die Samuel Fischer Gastprofessur verantwortlich ist. Sie bot an, mir diese beiden Bücher zuzusenden; dafür sollte ich sie photographisch in Szene setzen und ein paar Sätze über den Autor schreiben, der im Sommer 2021 Dozent der Samuel Fischer Gastprofessur an der FU Berlin ist. Eigentlich gehe ich auf Kooperationsanfragen dieser Art nie ein, denn zu viele noch nicht vorgestellte Bücher stehen in der Blog-Warteschlange. Aber wie gesagt, den Buchtitel fand ich so grandios und das Thema der Gastprofessur so interessant, dass ich in diesem Fall nicht anders konnte, als zuzusagen. Zumal ich ein Faible für Literatur aus Süd- und Mittelamerika habe. Und es hat sich gelohnt, denn die Erzählungen der beiden Bände haben mich sehr begeistert. „Mit eleganter Leichtigkeit“ weiterlesen