Das Leben in der Sevilla-Bar

Alex Capus: Das Leben ist gut

Obwohl ich die Werke des Autors kenne und schätze, hat erst die Besprechung der Klappentexterin dafür gesorgt, dass ich umgehend zu einer der Buchhandlungen meines Vertrauens gegangen bin und mir »Das Leben ist gut« von Alex Capus gekauft habe. Mal kein Buch über Sinnsuche, keines mit dramatischen Wendungen oder komplizierten Beziehungskonstellationen, sondern »Lesen voller Leichtigkeit«, wie Klappentexterin Simone Finkenwirth schreibt. Und trotzdem ein Buch mit Tiefgang. Funktioniert das? In diesem Fall, in diesem Buch ja, auch wenn es nachher noch ein »Aber« geben wird.

Im Zentrum der Handlung steht die Sevilla-Bar, eine – wie der Name schon sagt – spanische Kneipe, eine Tapas-Bar irgendwo in einer mittelgroßen Stadt in der Schweiz. Wobei »Handlung« nicht ganz das richtige Wort ist, denn eigentlich geschieht kaum etwas in diesem Buch. Aber bis einem das aufgefallen ist, hat man es schon durchgelesen und war völlig eingetaucht in Gedanken und Leben des Protagonisten. Denn das Buch strahlt eine Ruhe und Gelassenheit aus, die wohltuend ist. Und die man sich viel öfter für sich selbst wünschen würde.

Die Sevilla-Bar also. Ursprünglich entstanden als Anlaufpunkt spanischer Gastarbeiter ist sie heute ein Treffpunkt von Stammgästen aus allen Gesellschaftsschichten der Stadt. Der einfache Schankraum wird überragt von einem großen, ausgestopften Stierschädel, einem Toro, der in dem Buch noch eine wichtige Rolle spielen wird. Die Bar gehört Max, der sie vor einigen Jahren gekauft und damit vor dem Verschwinden gerettet hat.

»Trotzig steht das Häuschen an seinem Platz seit bald hundert Jahren, während ringsum die Bürotürme alle paar Jahrzehnte niedergerissen und wieder hochgezogen, niedergerissen und hochgezogen werden. Es ist, als ob das ganze Bahnhofsviertel nur darauf warte, dass auch die Sevilla Bar endlich Platz macht.
Aber sie macht nicht Platz.
Das gefällt mir. Ich liebe Dinge, die bleiben.«

Max ist Schriftsteller, der zwar schon länger nichts mehr veröffentlicht hat, aber mit seinem Dasein als Bar-Betreiber, als glücklich verheirateter Ehemann und als Vater dreier halbwüchsiger Söhne vollkommen im Reinen ist. Ihn begleiten wir eine Woche lang durch sein unspektakuläres Leben.

Das allerdings gleich zu Beginn des Romans eine Erschütterung erfährt, als seine Frau Tina sich auf den Weg nach Paris macht, wo sie eine einjährige Gastprofessur erhalten hat. Eine Chance, die sie sich nicht entgehen lassen möchte, so dass die Familie sich jetzt auf eine Fernbeziehung umstellen muss.

Max bringt das allerdings nicht aus der Ruhe, er kümmert sich um die Kinder – die alt genug sind, um alleine klar zu kommen – und um seine Bar. Und macht sich Gedanken. Über das Fortgehen und Wiederkommen, über Vertrautes und Fremdes, über das Unterwegssein, über das Suchen und Finden, über das Glück, die Zufriedenheit und die Liebe. Er hat seine Stadt noch nie verlassen, von den vielen Urlaubsreisen einmal abgesehen, hat noch nie woanders gelebt. Und kann sich das auch nicht vorstellen. Bodenständigkeit als Lebensentwurf: Ihm geht es nicht um Selbstfindung durch rastloses Umherirren durch das eigene Leben, sondern um das alltägliche Glück durch Verharren an ein und demselben Ort. In einer Welt der tausend Mal erzählten alten Geschichten, der gemeinsamen Erinnerungen, der Marotten langjähriger Freunde und Bekannter, auf eine beruhigende Weise überschaubar und begrenzt. Eine Welt, die sich in seiner Sevilla-Bar allabendlich trifft.

»Ich liebe Menschen, die bleiben, meine alten Freunde sind mir kostbar. Das Zusammensein mit ihnen scheint mir oft wie mit Silberfäden durchwirkt, die nur die Zeit gesponnen haben kann.«

Es ist ein Lebensentwurf voller Gewissheit, das Richtige zu machen. Es ist ein Ruhen in sich selbst, weil Max weiß, dass er das Leben nicht suchen muss. Es kommt zu ihm. In der Woche, die wir ihn begleiten, denkt er über all das nach, führt Gespräche mit seinen Freunden und Gästen, erinnert sich an Erlebnisse aus längst vergangenen Zeiten. Eine Freundschaft wird tiefe Risse bekommen, eine andere dafür neu geknüpft werden. Er denkt an seinen besten Freund, der auf unschöne Weise aus seinem Leben verschwunden ist, erinnert sich an andere, die gekommen und gegangen sind, empfindet das Älterwerden wie einen ruhigen Fluss, der trotzdem unaufhaltsam vorwärtsfließt. »Es ist eine große Aufgabe, in Würde alt zu werden. Jeder muss sie auf seine Weise lösen.« Und vor allem vermisst Max seine Frau, denkt liebevoll über ihre Marotten nach, verspürt auch nach all den Jahren gemeinsamer Ehe eine Sehnsucht nach ihr.

Die Ruhe, die das Buch ausstrahlt, die zahlreichen Gedanken über das Älterwerden und das Leben an sich – das alles hat mir gut gefallen. Und doch ist mir Max etwas fremd geblieben. Vielleicht, weil es bei mir selbst es viel zu spät wäre, solch ein Leben zu wählen; dafür habe ich ein paar Mal zu viel die Brücken abgebrochen und bin weitergezogen. Schon oft habe ich mich gefragt, wie es sich wohl anfühlt, sein Leben an ein und demselben Ort zu verbringen. Nicht nur zwei, drei Freundschaften zu haben, die bis zur ersten Schulzeit zurückreichen. Gibt einem ein solcher Lebensentwurf Ruhe und Gelassenheit? Oder wird man von der Rastlosigkeit aufgefressen? In diesem Dasein werde ich es wohl nicht mehr erfahren.

Das Buch ist ein kompletter Gegenentwurf zu Olivier Adams beeindruckendem Roman »An den Rändern der Welt«. Auch in diesem Buch ist der Protagonist Schriftsteller, aber er ist ein Getriebener, einer, der mit sich hadert, der nicht zur Ruhe kommt, der vor seinem Herkunftsort und allem was er damit verbindet auf der Flucht ist. Unterschiedlicher kann man Lebensläufe, kann man den Gegensatz zwischen Dableiben und Weggehen wohl kaum beschreiben.

In Alex Capus »Das Leben ist gut« stellt sich die Fage nach dem Sinn des Lebens gar nicht, der Sinn liegt in dem, was man macht. Punkt. Eine bewundernswerte Einstellung, die zumindest während der Leküre ein klein wenig auf den Leser übergeht. Aber – und jetzt kommt es noch, das oben angekündigte Aber – es gibt ein paar Hintergrundinformationen zu diesem Buch. Etwa, dass Alex Capus in seinem Heimatort Olten die Galicia Bar besitzt. Mit einem großen, ausgestopften Stierkopf an der Wand. Dass er sich mit einem seiner besten Freunde zerstritten hat. Und weitere biographische oder familiäre Details, die einen, wenn man sie kennt, zum Schluss kommen lassen, Capus habe über sich selbst geschrieben. Wirkt das Buch dann nicht ein wenig kokettierend, beinahe selbstverliebt, ein bisschen nach »schaut mal, wie gut ich mein Leben eingerichtet habe«? Wird nicht sogar Schmutzwäsche gewaschen, als der Protagonist über das Zerbrechen einer Freundschaft sinniert und an dem Charakter seines Freundes kein gutes Haar lässt? (Kleiner Nachtrag, zwei Monate später: Wie der Autor selbst damit umgeht, habe ich bei einer spektakulären Lesung erlebt.)

Doch anders gefragt: Ist dieser Boulevardpressetratsch für die Lektüre des Buches von Bedeutung? Ich finde nicht. Denn letztendlich gibt uns der Autor etwas mit auf den Weg, einen einzigen Satz, der auf dem Titelblatt steht und den wir uns viel zu selten sagen: Das Leben ist gut.

Denn wir haben nur eines.

Buchinformation
Alex Capus, Das Leben ist gut
Hanser Verlag
ISBN 978-3-446-25267-7

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13 Antworten auf „Das Leben in der Sevilla-Bar“

  1. Lieber Uwe,
    interessante Rezension, schön zu lesen. Die Schweizer scheinen ihrer bürgerliche Enge immer mehr zum Thema zu machen ;) Peter Stamm flüchtet in seinem Roman „Weit über das Land“ aus seinem geregelten, helvetischen Leben. Er steht auf und geht einfach, lässt Frau und Kind hinter sich, einen ganzen Roman lang ;)

    Hier suhlt sich Alex Capus ein seiner kleinen, unpersönlichen Welt als engherziger Schweizer. Er bleibt. Dafür geht seine Frau. Haben sich die beiden Autoren abgesprochen? Bei mir kam der Protagonist sehr unsympathisch rüber. Ein Kerl, dem jegliches Einfühlungsvermögen fehlt, keine Empathie. Er kennt nicht einmal die Nachnamen seiner engsten Freunde. Seinen besten Freund lässt er mit seinem Toro in calvinistischer Nüchternheit links liegen. Ich hab das Buch als sarkastische Sartire auf die Selbstzufriedenheit der Schweizer gelesen. Capus lebt in Olten, Stamm lebt in Winterthur. Beides sind mittelgroße Pendlerstädte. Braut sich da in den Vororten von Zürich etwas zusammen? Ist das die literarische Ruhe vor dem Sturm?

    Ich bin schon gespannt auf die nächsten Bücher. Von Capus gefiel mir seine Romane „Eine Frage der Zeit“ und „Léon und Louise“ am besten. Diese Bücher kann ich empfehlen!

    LG,
    Hans Caastorb

  2. Der weiter oben aus diesem Buch zitierte Satz mit den Silberfäden ist klasse! Als Kontrastprogramm zu Thomas Melle, für den das Leben zeitweise ganz entsetzlich ist aufgrund seiner Krankheit, werde ich nun dieses hier so ausgesprochen freundlich beschriebene Buch lesen!
    Gruß von Sonja

  3. „Doch anders gefragt: Ist dieser Boulevardpressetratsch für die Lektüre des Buches von Bedeutung? Ich finde nicht.“

    Ich finde schon. Ich finde sogar, dass der Autor ausgesprochen boulevardesk vorgeht. Und ich finde, das ist seiner nicht würdig, auch wenn er selber früher bei der Boulevardpresse gearbeitet hat. Jedenfalls habe ich das bisher gedacht. Alex Capus hat mit „Leon und Louise“ und mit „Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer“ Bücher geschrieben, die mir sehr ans Herz gegangen sind und die ihn in die Liga meiner Lieblingsautoren katapulitiert haben. Dort befindet er sich jetzt nicht mehr, denn ich nehme ihm diesen Boulevardpressetrasch übel. Die Andeutungen auf sein tatsächliches Leben sind dermassen offensichtlich und plump, dass die Hinweise auf seinen ehemaligen Freund jeglicher Subtilität entbehren. Freundschaften gehen vorbei, das lässt sich nicht ändern. Aber wenn die Loyalität, die ehemalige Freunde verbunden hat, mit der Freundschaft vorbei ist… ich weiss nicht, um was es sich da gehandelt hat, um beste Freunde sicher nicht.

  4. Danke für die schöne Buchbesprechung! Interessant wie dein Aber ausgefallen ist, ich habe etwas ganz anderes erwartet. Natürlich gibt es viele Parallelen zwischen Capus und seinem Buchcharakter Max, aber als selbstverliebt habe ich das beim Lesen nicht aufgenommen. Hast du die Lesung bei Lovelybooks gesehen? Darin sagt Capus ganz deutlich, dass das Buch Fiktion ist und nicht mit seinem Leben übereinstimmt. Inwiefern das zutrifft oder Selbstschutz ist, kann man natürlich nur spekulieren.
    Liebe Grüße,
    Cora

  5. Lieber Uwe,

    welch‘ Freude! Und welch‘ Überraschung, die du am Ende aus deinem Ärmel gezogen hast. Das wusste ich nicht. Wie gut, dass ich davon nichts wusste und ganz unwissend durch das Buch geschlendert bin.

    Vielen lieben Dank für deine fabelhafte Besprechung und das Verlinken zu meinem Text!

    Sonnige Grüße aus Berlin

    Klappentexterin

  6. Ich mochte Reisen im Licht der Sterne unheimlich gerne – aber nicht jedes Buch von Alex Capus fand ich persönlich so gelungen. Dieses hier scheint mir wieder mehr in Richtung der Reisen zu gehen. Eigentlich wollte ich ja nicht … aber jetzt muss ich. Danke für den Schubs …

  7. Hallo Uwe,

    eine schöne Buchvorstellung! Mir gefällt, wie Du die relevanten Themen herausgearbeitet hast, dadurch wird der Reiz dieses Buchs gut nachvollziehbar. Mal schauen, ob ich auch mal hineinschnuppere.

    Ich finde vor allem das Thema Heimat in diesem Zusammenhang interessant. Für mich war das Empfinden von Heimat selten an einen Ort gekoppelt (auch wenn ich durchaus „Sehnsuchtsorte“ kenne, wo man das Gefühl hat, dass alles da ist, um das willkommen zu heißen, was dem Leben Fülle gibt), ich kenne es, dass für den Besuch von Freunden einige Kilometer zurückgelegt werden müssen, einfach weil die Entwicklungen im Leben uns an unterschiedliche Orte geführt haben. Es gibt aber auch einige Menschen in meinem Leben, die ähnlich empfinden wie der Protagonist, die maximal zum Studium/zur Ausbildung ihren Heimatort verlassen haben, um später wieder zurück zu kehren. Was für mich schwer vorstellbar ist, hat natürlich auf der anderen Seite seinen Reiz: zur Ruhe kommen, Gelassenheit entwickeln. Das kitzelt mich immer mal wieder. Wahrscheinlich, weil der „Gegenpol“ immer mal wieder interessant wird. Das ist dann wohl auch der Reiz dieses Buches.

    1. Hallo Andrea,
      ja, genau das ist der Reiz an dem Buch gewesen: Die (für mich unvorstellbare) Idee, sein ganzes Leben an einem Ort zu verbringen und daraus seine Gelassenheit zu ziehen. Vielen Lesern hat der autobiographische Bezug der Handlung nicht gefallen – und das kann ich gut nachvollziehen; wäre mir ähnlich gegangen, wenn ich davor mehr über das Leben des Autors gewusst hätte. Im Nachhinein bleibt vielleicht doch ein „Gschmäckle“…

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