Zehn Sekunden mit Paul Auster

Paul Auster: 4321

Nach 1259 Seiten war das Buch zu Ende. Zugeklappt lag es vor mir und ich verabschiedete mich schweren Herzens von Archie Ferguson. Es fiel mir schwer, wir hatten einige Wochen miteinander verbracht, waren Vertraute, Freunde geworden. Aber jetzt musste ich ihn ziehen lassen, ihn, den vierfachen Helden aus Paul Austers »4 3 2 1«. Was für ein Roman! Und jetzt überlege ich seit ein paar Tagen, wie ich darüber schreiben soll. Wie sich einem Werk nähern, das bereits seit Wochen in Blogs und im Feuilleton besprochen und hochgelobt wird. Einer der ersten, der über »4 3 2 1« berichtet hat, war Jochen Kienbaum auf lustauflesen.de und er gelangte zum Fazit: »Das schreibe ich selten bis nie: 4321  ist ein Meisterwerk!« Und dem schließe ich mich von ganzem Herzen an.

Ein Meisterwerk also. Aber warum? Was macht dieses Buch so besonders, so anders? „Zehn Sekunden mit Paul Auster“ weiterlesen

Besuch bei Liebeskind

Besuch beim Liebeskind Verlag

Ganz exakt weiß ich nicht mehr, wann ich das erste Buch aus dem Liebeskind Verlag in die Hände bekommen habe. Aber sehr genau erinnere ich mich daran, sofort vollkommen begeistert gewesen zu sein. Es sind Bücher, wie sie sein sollen: Inhalt, Gestaltung, Papier, Geruch, Haptik – alles passt perfekt zusammen und machen jedes zu einem kleinen Gesamtkunstwerk. Und bis auf wenige Ausnahmen haben bisher fast alle meinen Lesegeschmack exakt getroffen. Deshalb wollte ich schon lange wissen, wer sich eigentlich hinter dem Verlagsnamen verbirgt. Als ich kürzlich beruflich einige Tage in München war, ergab sich ein Termin für einen Besuch. So stieg ich im dämmrigen Licht eines Märznachmittags die Holztreppe eines alten Hauses irgendwo in der Nähe des Marienplatzes hoch, hörte das Fischgrätparkett unter meinen Füßen knarren und stand schließlich vor der Türe des Liebeskind Verlags. Ich war gespannt. „Besuch bei Liebeskind“ weiterlesen

Neues aus den USA

Neue Bücher von T.C. Boyle, Paul Auster, Jonathan Safran Foer und Hanya Yanagihara

Ich war noch niemals in New York (Nachtrag, eineinhalb Jahre später: Stimmt nicht mehr). Und noch niemals in San Francisco. Oder in Chicago. Noch niemals in den USA, außer einmal vier Stunden lang auf dem Flughafen von Los Angeles beim Warten auf den Anschlussflug nach Neuseeland. Durch unzählige Bücher und Filme fühlen sich die USA trotzdem stets irgendwie vertraut an, keine Ahnung wie oft ich mit Roman- oder Filmhelden schon in New Yorker Cafés saß, schnurgerade Straßen in eine endlose Weite hinein gefahren bin oder die Golden Gate Bridge im Nebel auftauchen sah.

Die USA sind für mich immer ein Sehnsuchtsort gewesen, trotz ihrer Doppelmoral, wegen der es unter 21-Jährigen zwar möglich ist, eine Waffe zu besitzen, nicht aber ein Bier zu kaufen. Oder trotz ihrer Prüderie, übertriebenen, weltfremden Political Correctness oder einer bornierten Religiösität, die das eigene Land in den Mittelpunkt stellt und dabei ausblendet, wie viel Elend die Außenpolitik Amerikas über die Welt gebracht hat. Aber Literatur aus den USA ist ein wesentlicher Bestandteil meines persönlichen Kanons. Einer, den ich auf keinen Fall missen möchte, der mich mit geprägt hat, auch wenn ich noch nie in dem Land war, das in so vielen Geschichten in meinem Kopf vorkommt.

Die meisten von uns schauen gerade fassungslos über den Atlantik und sehen, wie eine jahrhundertealte Demokratie durch einen blondierten Egomanen und seine Helfershelfer demontiert oder zumindest schwer beschädigt wird. Jeden Tag prasseln neue Nachrichten von Ungeheuerlichkeiten auf uns ein. Wobei man natürlich nicht vergessen darf, dass ein sehr großer Anteil der Amerikaner es gut findet, was da gerade geschieht. Was das Ganze noch schwerer verständlich macht.

Aber das hier soll keine Analyse des politischen Zustands des land of the free and the home of the brave werden, sondern dieser Beitrag möchte daran erinnern, dass nach wie vor auch Gutes aus den USA kommt – Gutes in Form von großartiger Literatur. „Neues aus den USA“ weiterlesen

Die Festival-Macherinnen

Der Besuch des Lesefestivals »Zürich liest 2016« als einer von fünf offiziellen Blogger-Kooperationspartnern war für mich eines der Highlights des letzten Jahres. Meine Bloggerkolleginnen und ich haben drei intensive Tage voller Literatur erlebt und darüber auf unseren Blogs berichtet; vor Ort über unsere Twitter-, Facebook- und Instagram-Kanäle in Echtzeit das Lesefest ins Netz getragen. Einen ausführlichen Bericht über »Zürich liest« gab es hier bereits im vergangenen November. Heute geht es um einen Blick hinter die Kulissen dieses literarischen Ereignisses: Die Festival-Macherinnen Violanta von Salis und Nathalie Widmer, die das größte Lesefest der Schweiz konzipieren und organisieren, habe ich in Zürich kennengelernt. Und Nathalie Widmer hat mir ein paar Fragen beantwortet. „Die Festival-Macherinnen“ weiterlesen

Auf dem Literaturschiff

Zürich liest 2016: Eine Fahrt mit Alex Capus weit hinaus auf den Zürichsee, eine Lesung und ein nahezu perfekter Nachmittag.

Achtung! Das hier ist ein vollkommen unsachlicher Beitrag voller Begeisterungsstürme, geht es doch um einen nahezu perfekten Nachmittag. Es ist die im Text über »Zürich liest 2016« versprochene ausführliche Schilderung der Lesung von Alex Capus während einer ausgedehnten Bootsfahrt über den Zürichsee. Wobei es »Lesung« nicht ganz trifft. Aber der Reihe nach. „Auf dem Literaturschiff“ weiterlesen

Zehn Fragen – neun Bücher

Lesebiographie: Zehn Fragen zu Büchern - neun Antworten

Über die eigene Lesebiographie nachzudenken, ist stets ein spannendes Unterfangen. Genau so interessant ist es, diejenige anderer Buchmenschen zu erfahren. Im Literaturblog von Birgit Bölllinger (vormals Sätze & Schätze) – dessen Besuch sowieso nachdrücklich zu empfehlen ist – gibt gab es deshalb zehn Fragen zu Büchern. Fragen, die sich großer Beliebheit erfreuen. Wie viele andere habe auch ich mich daran gemacht, sie zu beantworten – und muss gestehen, dass ich bei einigen ziemlich lange nachdenken musste. Die Fragen sind nämlich schwieriger, als sie auf den ersten Blick scheinen und einmal musste ich sogar passen. Aber lest selbst. „Zehn Fragen – neun Bücher“ weiterlesen

Verlage sind keine Verwerter!

VG Wort-Urteil: Verlage sind keine Verwerter

Der Bundesgerichtshof hat am 21. April 2016 ein Urteil verkündet, das man getrost als Schlag ins Gesicht der Buchkultur in Deutschland bezeichnen kann.

Was war geschehen? Es ging um die Ausschüttungen der VG Wort. Bei der VG Wort gehen alle Abgaben, die für Vervielfältigung von Texten z.B. durch Kopierer in Bibliotheken oder Schulen bezahlt werden müssen, ein. Bis zu dem Urteil war es gängige Praxis, dass die jährlichen Ausschüttungen an die Rechteinhaber zwischen Autoren und Verlagen aufgeteilt wurden. Und es geht dabei nicht nur um ein paar hundert Euro im Jahr, sondern um bedeutende Summen.

Aufgrund einer Klage hat der BGH entschieden, dass diese bisher praktizierte Aufteilung unrechtmäßig sei und die Ausschüttung alleinig den Autoren zustehen würde. Eine Auffassung, die zwar juristisch begründbar sein mag, aber auch von einer erschreckenden Unkenntnis und Kurzsichtigkeit zeugt. Sie drängt damit Verlage in die Rolle der »Verwerter« – und das sind sie nicht.  „Verlage sind keine Verwerter!“ weiterlesen

Zürich liest 2016: Zurechtgeschnitzt

Zürich liest 2016: Das Programm

Zürich liest ist das größte Lesefestival der Schweiz. Trotzdem hatte ich es bisher nur am Rande wahrgenommen, von Köln aus gesehen liegt Zürich eben nicht gerade um die Ecke. Das wird sich dieses Jahr komplett ändern, denn als einer von fünf offiziellen Blogger-Kooperationspartnern ist der Kaffeehaussitzer vor Ort und ich freue mich jetzt schon auf intensive Literaturerlebnisse Ende Oktober. Aber es wird nicht einfach, denn die Festivalmacherinnen Janka Wüest, Violanta von Salis und Natalie Widmer haben zusammen mit ihrem Team ein äußerst abwechslungsreiches Programm zusammengestellt. Die Qual der Wahl, aber ein angenehmes Luxusproblem.

Wie meine Bloggerkolleginnen von Buzzaldrins Bücher, Die Buchbloggerin, Frau Hemingway und Pinkfisch habe auch ich mir im Vorfeld Gedanken darüber gemacht, welche Lesungen oder Veranstaltungen in Zürich besucht werden möchten. Wegzeiten zwischen den einzelnen Locations mussten berücksichtigt, Entscheidungen bei gleichzeitig stattfindenden Termin schweren Herzens getroffen werden. Herausgekommen ist dabei eine – wie ich glaube – sehr spannende Mischung. Zurechtgeschnitzt und angepasst an den eigenen Geschmack. „Zürich liest 2016: Zurechtgeschnitzt“ weiterlesen

Drei Jahre Kaffeehaussitzer

Drei Jahre Kaffeehaussitzer

Vor drei Jahren ging der erste Blogbeitrag auf Kaffeehaussitzer online. Damals war mir ganz und gar nicht klar, was für eine spannende Reise damit beginnen sollte. Von Literaturblogs hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt kaum gehört, hatte irgendwann einmal den Domainnamen Kaffeehaussitzer gesichert und dann die diffuse Idee, diesen Namen zu nutzen, um über Bücher zu reden. Genau das machte mir schon immer Spaß, ob als Buchhändler oder in einer Runde mit anderen literaturbegeisterten Menschen. Es folgten irgendwann die ersten vorsichtigen Gehversuche auf Facebook. Recht spät, denn das Netz und ich – das war die Geschichte einer langsamen Annäherung und die sozialen Plattformen habe ich erst nach und nach für mich entdeckt.

Lange Rede kurzer Sinn: Dann ging es los mit dem Kaffeehaussitzer und ich stellte mit Erstaunen und Begeisterung fest, wie viele Gleichgesinnte, in ihren Lesevorlieben aber auch so unterschiedliche Menschen sich in der Literatur-Blogosphäre tummeln. Und bin dankbar dafür, wie viele von ihnen ich bis heute persönlich kennenlernen durfte – ob im realen Leben oder virtuell. Was als vages Blog-Projekt begann, ist inzwischen zu meiner virtuellen Identität geworden, die nicht im Gegensatz zum echten Leben steht, sondern ein bedeutender Teil davon ist. „Drei Jahre Kaffeehaussitzer“ weiterlesen

Warum ich lese

Warum ich lese
Photo: Vera Prinz

»Es gibt Menschen, für die ist Lesen eine Form des Zeitvertreibs. Für andere ist es ein Lebensinhalt. Zu diesen zähle ich mich auch, Lesen und Bücher sind für mich überlebenswichtig.« Dies sagte ich in einmal in einem Interview, das Karla Paul für ein Buchhandelsmagazin mit mir geführt hatte. Lebensinhalt klingt vielleicht ein wenig pathetisch, beschreibt aber treffend den Stellenwert, den Bücher und Literatur in meinem Leben haben.

Aber warum ist das so?

Die Frage nach dem Warum stellte Sandro Abbate, Betreiber des lesenswerten Literaturblogs novelero. In seinem sehr persönlichen Beitrag Warum ich lese erzählt er, wie und warum er zum Leser wurde und was dies für ihn bedeutet. Direkt nach der Lektüre seines Textes begannen die Gedanken in meinem Kopf sich um diese Frage, diese Aussage zu drehen. Und das ist jetzt dabei herausgekommen. „Warum ich lese“ weiterlesen

Der Tote am Strand

Kamel Daoud: Der Fall Meursault - eine Gegendarstellung

Moussa Ould el-Assasse – das ist der Name eines der berühmtesten Toten der Literaturgeschichte. Er ist der am Strand von Algier erschossene Araber in Albert Camus Roman »Der Fremde«. Oder zumindest könnte das sein Name sein, denn bei Camus bleibt der von seinem Protagonisten Meursault Erschossene namenlos. Der algerische Schriftsteller Kamel Daoud hat sich der Geschichte angenommen und stellt sie uns aus arabischer Perspektive dar, weshalb sein Buch den Titel trägt »Der Fall Meursault – eine Gegendarstellung«. Ein Anspruch, der mich sofort neugierig auf den Roman machte, versprach er doch, mich auf eine Reise in die eigene Erinnerung mitzunehmen. „Der Tote am Strand“ weiterlesen

Die Liste der Neun. Ein Ausblick

Neue Buchvorstellungen auf Kaffeehaussitzer: Viel Zeitgeschichte und neun Bücher, die mich beeindruckt haben.

In den letzten Wochen war es etwas ruhig auf Kaffeehaussitzer. Zwischen Weihnachten, Jahreswechsel, beruflichen und privaten Verpflichtungen gab es keine richtige Muße, um einen Blogbeitrag zu schreiben. Was aber nicht heißen soll, dass die Zeit auch zum Lesen nicht gereicht hat, ganz im Gegenteil. Mittlerweile warten neun Bücher darauf, hier vorgestellt zu werden und als kleinen Zwischenbericht möchte ich einen Ausblick geben, was in nächster Zeit auf Kaffeehaussitzer geplant ist. Das hilft mir auch dabei, eine Gliederung zu schaffen, um mich nicht zu verzetteln.

Es ist nicht so, dass ich jedes Buch bespreche, das ich gelesen habe. Manche hinterlassen zu wenig Eindruck, als das es sich lohnen würde, sich näher damit zu beschäftigen. Allerdings hatte ich Glück bei der Auswahl der letzten Lektüren und so sind neun ganz und gar unterschiedliche Bücher zusammengekommen, um die es hier in den nächsten Beiträgen gehen wird. „Die Liste der Neun. Ein Ausblick“ weiterlesen

Die Buchpreisblogger

Die Buchpreisblogger - Deutscher Buchpreis 2015

Der Deutsche Buchpreis 2015

Seit elf Jahren gibt es den Deutschen Buchpreis, der jedes Jahr zur Frankfurter Buchmesse verliehen wird. Ausrichter ist die Börsenverein des Deutschen Buchhandels Stiftung, Förderer und Partner sind die Deutsche Bank Stiftung, die Frankfurter Buchmesse und die Stadt Frankfurt am Main. Eine hochoffizielle Angelegenheit also. Und einer der bedeutensten Literaturpreise in Deutschland. Zudem eine perfekte Öffentlichkeitsarbeit für das Lesen, die Buchkultur und die Literatur; die interessierten Leser finden jedes Jahr spannende und interessante Titel auf den Listen, die zur Preisvergabe führen. „Die Buchpreisblogger“ weiterlesen

Die Gretchenfrage nach der Axt

Was ist große Literatur? Eine Bloggerdiskussion.

Was ist große Literatur? So, jetzt erst einmal durchatmen bei dieser Frage, bevor ich versuche, eine persönliche Antwort darauf zu finden. Zustande gekommen ist die knifflige Herausforderung durch eine Twitter-Unterhaltung. Verschiedene Buchblogger tauschten sich über Dave Eggers »Der Circle« aus. Norman Weiß von notizhefte zitierte für Andrea Breuer von danares.mag  einen Verriss des Buches, worauf Sophie Weigand von Literaturen entgegnete, dass ihr das Buch sehr gut gefallen habe. Ich klinkte mich in das Gespräch ein:

„Die Gretchenfrage nach der Axt“ weiterlesen

O Captain! My Captain! Goodbye

"Der Club der toten Dichter" ist eine einzige Liebeserklärung an die Literatur, an die Poesie und an die Macht des Wortes.

»Ich ging in die Wälder, denn ich wollte wohlüberlegt leben. Intensiv leben wollte ich. Das Mark des Lebens in mich aufsaugen, um alles auszurotten, was nicht Leben war. Damit ich nicht in der Todesstunde inne würde, dass ich gar nicht gelebt hatte.« Diese Sätze von Henry David Thoreau und viele andere mehr trafen mich in meinem Kinosessel wie Faustschläge. Es war Anfang 1990 und der Film »Der Club der toten Dichter« konfrontierte mich mit nichts Geringerem als dem Sinn des Lebens. Nach dem Ende der Vorstellung taumelte ich in die Nacht hinaus, verließ grußlos meine Freunde und lief durch Freiburgs Straßen, Gassen und Gässchen. Stundenlang. Die Stadt wurde immer ruhiger, ich nicht. Der Film und Robin Williams in der Rolle des Lehrers John Keating hatten mich bis ins Innerste getroffen. „O Captain! My Captain! Goodbye“ weiterlesen