2022 jährte sich das Erscheinen der deutschen Ausgabe von »Der Name der Rose« zum vierzigsten Mal. Dies feierte der Hanser Verlag mit einer wunderschön gestalteten Neuauflage des Romans von Umberto Eco in der bewährten Übersetzung von Burkhart Kroeber. Eine Ausgabe, an der ich nicht vorbeigehen konnte und die ich zum Anlass nahm, nach fünfunddreißig Jahren dieses großartige Werk ein zweites Mal zu lesen. Gleichzeitig erschien – im Zsolnay Verlag, der ebenfalls zu Hanser gehört – der Roman »Die schwarze Rose« von Dirk Schümer; laut der Ankündigung im Klappentext eine Art lose Fortsetzung von Ecos Meisterwerk. Zumindest würde man ein paar alte Bekannte wieder treffen: »Dort, wo Umberto Ecos ›Der Name der Rose‹ aufhört, setzt Dirk Schümers historischer Roman an«, heißt es auf der Buchrückseite. An ein Meisterwerk, an einen der ganz großen Romane der letzten Dekaden anknüpfen? Kann ein so schon fast anmaßendes Unterfangen gut gehen? Gelingen? Ich war skeptisch. Und neugierig. Aber lest selbst. „Die Bücher der Rose“ weiterlesen
Eine Epoche der Bücher
Seit Monaten lese ich in diesem Buch; den einen Abend ein, zwei Kapitel, den anderen Abend lediglich ein paar Seiten, immer mit großer Konzentration. Und es ist jedes Mal ein Genuss, denn stets schickt es mich auf eine Zeitreise in eine der faszinierendsten und spannendsten Epochen unserer Geschichte, lässt mich alte Texte entdecken, Zusammenhänge verstehen, das eigene Wissen vertiefen und ein Verständnis dafür entwickeln, wie gigantisch die kulturellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umwälzungen jener Zeit waren, prägend für die Jahrhunderte danach. Und dazu ist dieses Buch ein gestalterisches Gesamtkunstwerk – die Rede ist von dem voluminösen Prachtband »Welt der Renaissance« von Tobias Roth. „Eine Epoche der Bücher“ weiterlesen
Vom Denkmalsockel geholt
Das beginnende 19. Jahrhundert war ein Zeitalter der großen Umbrüche. Politisch veränderten die Feldzüge Napoleons die Landkarte Europas gravierend, gesellschaftlich sorgten die Ideen der französischen Revolution und das erstarkende Bürgertum für frischen Wind, wirtschaftlich stand die industrielle Revolution in den Startlöchern. Und kulturell wurde die Epoche der Klassik abgelöst durch die Zeit der Romantik. Zwei der bedeutendsten deutschen Künstler verkörpern wie kaum jemand sonst die Gegensätze, die damals aufeinandertrafen: Johann Wolfgang von Goethe und Caspar David Friedrich. Sie mochten sich nicht – und waren doch fasziniert voneinander. In ihrem Roman »Anatomie der Wolken« schildert Lea Singer, wie sich die beiden begegneten, beschreibt ihre Lebensumstände, lässt eine längst vergangene Zeit äußerst lebendig wiederauferstehen und holt den Dichter und den Maler mit fein dosierter Ironie von ihren Denkmalsockeln. „Vom Denkmalsockel geholt“ weiterlesen
Verwehte Spuren
»Verzeichnis einiger Verluste« von Judith Schalansky ist eines jener raren Bücher, bei denen man schon beim ersten Aufschlagen merkt, dass man etwas ganz Besonderes in den Händen hält. Das geschieht nicht oft, aber bei diesem Buch, nein, Gesamtkunstwerk war dieses Gefühl sofort da.
Schon der Geruch. Jede Lektüre beginnt mit einem tiefen Einatmen des Buchgeruchs, dieser wunderbaren Mischung aus Papier, Druckerschwärze und Leim, besser als jedes Parfum dieser Welt. Bücher riechen unterschiedlich und das »Verzeichnis einiger Verluste« duftete phänomenal – ich saß mit begeistertem Gesichtsausdruck in der Straßenbahn und erntete einen wissenden Blick von gegenüber. Nach den ersten Seiten beschloss ich, dieses Buch nicht in der Bahn zu lesen, es nicht der Hektik des Arbeitswegs auszusetzen; schon die zweiseitige Vorbemerkung lässt den Leser so tief in das Thema eintauchen, dass es schade um jede Störung von außen ist. „Verwehte Spuren“ weiterlesen
Eine Oase der Vergänglichkeit
In Berlin bin ich gerne, oft und regelmäßig. Auch wenn ich noch nie länger als drei Monate am Stück dort verbracht habe, fühle ich mich in dieser Stadt auf irgendeine Weise zu Hause, seit meinem ersten Besuch, der schon ziemlich lange her ist. Warum das so ist? Ich weiß es nicht, vielleicht eine Art Familienerbe? Meine Oma lebte dort während der gesamten Zwanzigerjahre, und obwohl ich in Süddeutschland geboren und aufgewachsen bin, stammt ein großer Teil meiner Familie aus den preußischen Landen – bevor zwei Weltkriege sie in alle möglichen Ecken Deutschlands verstreut haben. Aber das wollte ich eigentlich gar nicht erzählen, wobei die Beschäftigung mit dem Thema Heimat sicher eine interessante Literaturliste abgeben würde. Aber nicht jetzt. Nicht heute. Diesmal geht es um die Vergänglichkeit. „Eine Oase der Vergänglichkeit“ weiterlesen