Weit oben in den Bergen

Regina Denk: Die Schwarzgeherin

Als ich mir Gedanken darüber gemacht habe, wie ich die Vorstellung des Romans »Die Schwarzgeherin« von Regina Denk beginnen könnte, ist mir aufgefallen, dass hier im Blog inzwischen etliche Romane zusammengekommen sind, die weit oben in den Bergen spielen. Und es geht darin meist um Menschen, die in einer Umgebung, einer Landschaft überleben müssen, die keinen Fehler verzeiht. Oft um Einzelgänger, die versuchen, aus gesellschaftlichen Strukturen auszubrechen oder sich mit ihnen auseinanderzusetzen, ihnen vielleicht sogar Risse zuzufügen. Es sind festgefügte Regeln des Zusammenlebens, die sich über die Jahrhunderte geformt haben und die – bedingt durch die Einsamkeit und Lebensfeindlichkeit der Berge – noch undurchdringlicher sind als anderswo. Ein weiterer Gedanke: Vielleicht hat die Faszination für Bücher, deren Handlung im Gebirge angesiedelt ist, auch damit zu tun, dass ich in Sichtweite der Alpen aufgewachsen bin, wer weiß.

Menschen in Ausnahmesituationen, auf sich allein gestellt; Menschen die kämpfen müssen, um ihren eigenen Weg zu gehen – das ist eines der klassischen literarischen Themen, von denen ich nie genug bekomme. In den Bergen angesiedelt entsteht dabei eine Situation, in der es kein Ausweichen geben kann und in der alles auf ein Drama hinausläuft. Hinauslaufen muss. Und trotz der ähnlichen Rahmenbedingungen erzählt jeder dieser Romane seine Geschichte auf eine einzigartige Weise. So, dass man sie nicht wieder vergisst. »Die Schwarzgeherin« ist eines dieser Bücher. „Weit oben in den Bergen“ weiterlesen

Im Gefängnis der Geschichte

Matteo Melchiorre: Der letzte Cimamonte

Es war ein Zufallsfund, wie so oft. Beim Besuch einer Buchhandlung stand der Roman frontal präsentiert im Regal – ich sah das Titelbild und musste ihn haben. Der Klappentext, den ich nur kurz überflog, bestärkte mich in dieser Entscheidung. Und jetzt liegt das Buch »Der letzte Cimamonte« von Matteo Melchiorre gelesen neben mir und ich weiß, dass ich die Geschichte, die Stimmung und die Sprache noch sehr lange im Kopf behalten werde; es war ein großartiges Leseerlebnis. 

Im Zentrum der Handlung steht das Dorf Vallorgàna, hoch oben in den Ausläufern der Alpen. Und noch etwas weiter steht die alte Villa, der Adelssitz der Familie Cimamonte, der jahrhundertelang das Dorf und alles darum herum gehörte, Wiesen, Wälder und Berge. Doch diese Zeiten sind vorbei, Vallorgàna ist ein sterbender Ort, die Jungen sind gegangen, nicht wenige Häuser stehen leer. Aber noch ist Leben in den Höfen, die das Dorf prägen. Es gibt Tiere auf den Weiden, die Wiesen werden im Rhythmus der Jahreszeiten gemäht, ein Pfarrer hält die Messen und die Bar in der Ortsmitte ist nach wie vor das abendliche Wohnzimmer der alten Bauern. Während der alles umgebende Wald aufgegebene Wiesen wieder in Besitz nimmt, die Wölfe näher kommen und die Krähen wie Unglücksvögel über Vallorgàna kreisen, den Luftraum im Tal beherrschend. 

»Wir gehen. Die Krähen kommen. So sieht es aus.«  „Im Gefängnis der Geschichte“ weiterlesen

Der letzte Ort

Andreas Moster: Wir leben hier, seit wir geboren sind

Ein Buch von gerade einmal 175 Seiten ist normalerweise in wenigen Stunden durchgelesen. Nicht so der Roman »Wir leben hier, seit wir geboren sind« von Andreas Moster. Für diesen schmalen Band habe ich vier Tage gebraucht, musste immer wieder innehalten, die gelesenen Sätze nachklingen lassen, konnte immer nur ein paar Seiten am Stück lesen, langsam und behutsam, um kein Wort zu überspringen. Denn es ist eine ganz besondere Sprache, die das Buch auszeichnet. Roh und zart, abweisend und einladend zugleich, archaisch und düster, durchsetzt mit hellen Flecken einer unbestimmten Hoffnung. Und jedes Wort sitzt perfekt an der Stelle, an der es stehen soll. „Der letzte Ort“ weiterlesen

Achtzig Jahre sind ein Buch

Robert Seethaler: Ein ganzes Leben

Andreas Egger lebt achtzig Jahre lang in einem Hochtal der österreichischen Alpen. Der Schriftsteller Robert Seethaler erzählt auf 155 Seiten seine Geschichte, »Ein ganzes Leben« ist der Titel dieses großartigen Buches. Ich hatte schon viel davon gehört, es lag auch schon längst bereit, aber ich wartete auf einen ruhigen Moment. Letztes Wochenende hatte ich eine sechsstündige Zugfahrt vor mir, das schien perfekt. Nach fünf Stunden war ich damit durch und die restlichen sechzig Minuten verbrachte ich damit, über das nachzudenken, was ich gerade gelesen hatte. „Achtzig Jahre sind ein Buch“ weiterlesen

Showdown mit Bergblick

Jochen Rausch: Krieg

»Arnold schiebt die Tür hinter den Männern zu und begreift in dem Augenblick, dass aus seinem Leben, das manchmal glücklich und meistens normal war, soeben ein unbeschreibliches, sinnloses Nichts geworden ist.« Ein harter Satz, der unter die Haut geht. Er stammt aus dem Buch »Krieg« von Jochen Rausch, das mir letzte Woche zufällig in die Hände gefallen ist. „Showdown mit Bergblick“ weiterlesen