Buchhändlers Traum

Petra Hartlieb: Meine wundervolle Buchhandlung

Irgendwie kennt das jeder von uns: Man sitzt mit ein paar Freunden zusammen, bei dem ein oder anderen Glas Wein oder Bier werden visionäre Geschäftsideen konzipiert oder es wird über mögliche Lebensentwürfe phantasiert. Und am nächsten Tag geht alles wieder seinen gewohnten Gang. Nicht so bei Petra und Oliver Hartlieb. In Hamburg wohnend waren sie bei Freunden in Wien zu Besuch, das Gespräch kam auf eine alteingesessene Wiener Stadtteilbuchhandlung, die wegen Insolvenz schließen musste. Man spann seine Gedanken weiter, erkundigte sich im Zuge dieser Spinnerei formlos nach dem Status der Buchhandlung und gab als eher halb ernstgemeinte Idee ein Gebot beim Insolvenzverwalter ab. Wenige Wochen später hatten die Hartliebs aus Hamburg eine Wiener Buchhandlung gekauft. Quasi versehentlich. Und Petra Hartlieb schreibt in ihrem Buch »Meine wundervolle Buchhandlung« darüber, wie alles kam. Wie alles wurde. Und wie alles ist.

Eine eigene kleine Buchhandlung mitsamt darüber liegender Wohnung, mit dem Laden durch eine gusseiserne Wendeltreppe verbunden. In Wien. Die Idee ist charmant. Mehr als das, sie ist ein Traum. Das Buch beschreibt in einer ebenso charmanten Mischung aus Humor und Ernsthaftigkeit das große Lebensexperiment mit all seinen Höhen und Tiefen. Von beidem gibt es mehr als genug. Zum einen ist da die Euphorie, den ganzen Tag mit Literatur zu tun zu haben, zu einem Treffpunkt im Stadtteil zu werden, Bestandteil des Wiener Kulturlebens zu sein, zu sehen, wie aus Kunden und Nachbarn Freunde werden, mit dieser verrückten Idee einer eigenen Buchhandlung Erfolg zu haben. Zum anderen ist da die Vereinbarkeit einer 60-Stunden-Woche mit einem Familienleben, das Arbeiten bis zur völligen Erschöpfung, die kleinen und großen Widrigkeiten des Alltags, das ständige Präsentsein, eine Beziehung im Dauer-Stresstest, wenig Geld, aber dafür Schulden bei der Bank, kurz: Es ist bei allem Reizvollen auch ein absoluter Knochenjob. Den sie und ihr Team mit einem Engagement erledigen, das einfach nur ansteckend ist. Denn Buchhandlungen sind Schaufenster für die Literatur und die Buchhändler deren Botschafter. Zumindest diejenigen, die ihr Geschäft mit Begeisterung betreiben.

»Und solche Bücher sind es dann, die einen vergessen lassen, dass man viel zu viel arbeitet und viel zu wenig dabei verdient, denn wir verkaufen das schönste Produkt, das es gibt. Wir verkaufen Geschichten.«

Über ihr Team schreibt Petra Hartlieb: »Wir haben inzwischen zwölf Angestellte, aus sechs verschiedenen Nationen, zwischen zweiundzwanzig und sechsundfünfzig. Zusammen haben wir zehn Kinder, wobei drei zum Glück schon erwachsen sind, was sich auf die Pflegeurlaubstage günstig auswirkt. Die Biographien sind so unterschiedlich wie ihre Beweggründe, Buchhändlerinnen zu werden, der einzige gemeinsame Nenner ist wohl ein gewisses Maß an Verrücktheit – die Buchbesessenheit, die man nur verstehen kann, wenn man selbst davon befallen ist.«

Ich habe das Buch nicht ganz objektiv gelesen, bin ich doch selbst Buchhändler. Und auch das war ein Zufall. 1992 studierte ich Sozialarbeit, jobbte als Altenpflegehelfer und war mit beidem unglücklich, als ich einen Bekannten traf, der eigentlich zum Studium in eine andere Stadt gezogen war. Auf meine Frage, was er denn außerhalb der Semesterferien hier mache, antwortete er, er habe sein Studium abgebrochen und beginne jetzt eine Buchhändlerlehre. Es gibt ein paar wenige Tage, von denen man weiß, dass sie für den weiteren Verlauf des Lebens entscheidend waren. Dieser Tag damals gehört dazu, denn es fühlte sich so an, als hätte jemand einen Vorhang auf die Seite gezogen. Ich kann mich noch so genau an dieses Gespräch erinnern, als wäre es letzte Woche gewesen und nicht vor einem Vierteljahrhundert. Am darauffolgenden Tag brach ich auch mein Studium ab, dann kümmerte mich um eine Lehrstelle. Als Buchhändler.

Bis 2001 arbeitete ich als Buchhändler, dann wechselte ich auf die Verlagsseite. Der Buchbranche bin ich bis heute treu geblieben, ich möchte in keiner anderen arbeiten. Und so kenne ich vieles von dem, was Petra Hartlieb beschreibt, aus eigenem Erleben: Das Chaos des Weihnachtsgeschäfts, die Betreuung von Büchertischen in irgendwelchen zugigen Ecken eines Veranstaltungsraumes, die Unterkunftssuche während der Frankfurter Buchmesse, sogar eine gußeiserne Wendeltreppe gab es in einer der Buchhandlungen, in denen ich arbeitete. Einmal Buchhändler, immer Buchhändler, auch wenn ich nicht mehr im Laden stehe und Bücher verkaufe. Damals war eine eigene Buchhandlung auch immer ein Traum gewesen und eigentlich ist sie das bis heute geblieben. Eine kleine Buchhandlung, am liebsten mit angeschlossenem kleinen Café. Ein schöner Traum, aber wer weiß, was noch alles im Leben passieren wird.

Doch man muss kein Buchhändler sein, um dieses Buch zu lieben. Jeder, dessen Herz für Bücher schlägt, der an keiner Buchhandlung vorbeigehen kann, ohne kurz einen Blick hineinzuwerfen, wird begeistert sein von dieser Familiengeschichte im Zeichen des Buches und des geschriebenen Wortes. Eine Geschichte der Zufälle, Erfolge, Rückschläge, voller Anekdoten und Erlebnisse, voller »Buchbesessenheit«. Ein Buch, gefüllt mit Herzblut für einen der schönsten Berufe der Welt.

Ob wohl irgendjemand »Meine wundervolle Buchhandlung« bei Amazon bestellt? Dann hat er nicht verstanden, worum es darin eigentlich geht. Oder er versteht es beim Lesen dieses Buches. Und bestellt dann nie wieder beim großen Infrastrukturzerstörer aus Seattle. Denn als Leser benötige ich zum Eintauchen in die Welt der Bücher solche Literatur-Orte wie »Hartliebs Bücher«, die man glücklicherweise allem Strukturwandel zum Trotz in vielen verschiedenen Städten findet.  Amazon brauche ich dazu nicht. Ganz und gar nicht.

»Weiterzumachen in Zeiten, in denen so anachronistische Läden wie unserer einmal pro Woche totgesagt werden. Weiter machen, weil uns nichts anderes übrig bleibt. Weil wir nichts besser können. Weil wir nichts lieber tun.« 

Es ist nicht nur eine wundervolle Buchhandlung, sondern auch eine wundervoll erzählte Geschichte, sehr persönlich, mit viel Humor und Selbstironie, doch auch voller Selbstbewusstsein und Stolz auf das Erreichte. Als Buchhändler, als Leser, als Buchkäufer, als Buchmensch möchte ich nur eines sagen: Liebe Petra Hartlieb, danke für dieses Buch!

Buchinformation
Petra Hartlieb, Meine wundervolle Buchhandlung
DuMont Verlag
ISBN 978-3-8321-9743-8

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7 Antworten auf „Buchhändlers Traum“

  1. Auch bei uns in der stadt, wo es mehrere kleine buchhandlungen gibt, liegt dieses tolle buch nicht aus!
    Ich wurde durch einen beitrag in der zeitschrift „brigitte“ auf dieses buch aufmerksam, hab es mir dann bestellt und mit begeisterung gelesen. Dieses buch gab mir einen umfassenden einblick in die durchaus sehr anstrengende arbeit in einer buchhandlung.
    Seither gehe ich mit noch mehr respekt und verständnis vor und für die arbeit der mitarbeiter in kleine buchhandlungen und kaufe meine bücher hier.

  2. Neben deiner schönen Besprechung zu „Meine wundervolle Buchhandlung “ finde ich auch dein eigenes Erleben höchstinteressant. Hat Spaß gemacht zu lesen!

    Neben den großen Giganten wie Apple, Amazon und Google, sind da noch diverse Streamingdienste die die Infrastruktur zerstören. Und es ist mir schon fast peinlich zu sagen, denn Spotify zum Beispiel, ist auch auf meinem Android installiert. Vor allem stört mich, wie Großunternehmen ihre Mitarbeiter ausbeuten. Das ist wirklich einer der Hauptgründe, warum ich bei Firmen wie Zalando oder Amazon nichts mehr bestelle, bzw. schon lange nicht mehr bestellt habe. Was den Buchkauf angeht, so schlender ich gerne durch kleine gemütliche Buchhandlungen. Und da kommt mir auch wieder der Gedanke ganz bald nach Maastricht zu fahren. Ich möchte unbedingt mal die Dominikanerkirche von innen sehen. Drinnen, eine riesige Buchhandlung.

    1. Auch ich habe mir irgendwann mal ein Amazonkonto angelegt und da ein ganze Weile auch regelmäßig bestellt. Allerdings hauptsächlich DVDs, nie ein Buch. Seit knapp zwei Jahren ruht der Account in Frieden und ich habe ihn ehrlich gesagt nie vermisst. Neulich habe ich einen Buchhändler darauf aufmerksam gemacht, dass sein benachbarter Tabakladen Amazon-Gutscheine verkauft. Die beiden haben dann miteinander geredet, seitdem gibt es diese Gutscheine dort nicht mehr. Das ist nur eine Kleinigkeit, die mich aber nachhaltig gefreut hat.

  3. Klar darf man ein solches Buch nicht bei amazon bestellen. Hab gleich mal vor ein paar Tagen bei unserer örtlichen, wirklich sehr engagierten Buchhandlung danach Ausschau gehalten. Dachte, jede Buchhandlung stellt diese Buch schon mindestens der Dekoration halber als Blickfang auf. Doch musste ich leider enttäuscht von dannen ziehen. Ganz verschämt stand das Buch im obersten Regal der Neuerscheinungen am Rand nur den Rücken zugewandt. Ich glaubte fast, es schluchzen zu hören. Ich schwankte, ob ich es hier erlösen oder doch eine andere Buchhandlung ins Auge fassen soll, die dieses Buch mehr zu schätzen weiß. Habe mich für letzteres entschieden. Ich wollte aber auch noch abwarten, was mir der Kaffeehaussitzer über sein Lesevergnügen berichtet.

    Petra Hartlieb darf sich auf jeden Fall über zwei weitere verkaufte Exemplar freuen.

    1. Ja, das ist mir auch so gegangen. Auch ich hätte damit gerechnet, dass gerade kleine Buchhandlungen das Buch offensiver präsentieren. Also, ich würde das so machen, wenn ich eine hätte… Doch vielleicht tut sich noch mehr, denn das Buch ist ja gerade in aller Munde. Ich werde mir auch noch ein paar Exemplare als Geschenkevorrat anschaffen.

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