Mehr lesen, wissen, können

Mehr lesen, wissen, können: Das Leipziger Buchmaennchen

»Mehr lesen, wissen, können« – eine Weile kam ich fast jeden Tag an diesem Satz vorbei. Er gehört zu einer alten DDR-Leuchtreklame, die an der Fassade des LKG-Gebäudes in Leipzig hängt. Ein stilisierter Mensch reckt froh ein Buch in die Luft und darunter ist jener Slogan zu lesen. Die Leuchtreklame stammt aus dem Jahr 1964; einer Zeit, in der diese Art der Werbung sich in der DDR zu einer eigenen Kunstform entwickelt hatte.

Die Leipziger Kommissons- und Großbuchhandelsgesellschaft (LKG) war die wichtigste Buchauslieferung in der DDR und trug entscheidend zur Versorgung der Bevölkerung mit dem gedruckten Wort bei. Als ich Ende der Neunzigerjahre in Leipzig studierte, lag das wuchtige Gebäude an meinem Weg in die Innenstadt, wo ich einen Nebenjob als Buchhändler hatte. Zu diesem Zeitpunkt leuchtete die Lichtwerbeanlage – so die offizielle Bezeichnung – schon lange nicht mehr, das Areal stand leer und verfiel; ein Schicksal, das es mit zahlreichen Leipziger Industriebauten teilte.

Doch jedes Mal war ich fasziniert von dem sieben Meter hohen »Buchmännchen«, wie es genannt wurde: Die elegante Gestaltung, die Ahnung, wie es in früheren Zeiten nachts schon von weitem sichtbar gewesen sein musste und natürlich die Aussage »Mehr lesen, wissen, können«, die mit vier Worten die Macht der Bildung und der Bücher beschreibt – das alles beeindruckte mich sehr. An einem sonnigen Samstagmorgen, als das Licht perfekt war, photographierte ich es. Was sich als gar nicht so einfach herausstellte, denn die optimale Perspektive erhielt man nur, indem man sich mitten auf die stark befahrene Prager Straße stellte. Ein paar wütend hupende Autos später war alles erledigt. 

Wenn ich dieses Bild heute anschaue, habe ich sofort wieder diesen Morgen im Kopf. Das wunderbare Licht, die dicht an mir vorbeifahrenden Autos, das Klicken des Auslösers. Und ich erinnere mich daran, mit welcher Begeisterung ich damals durch Leipzig lief und radelte. Ich hatte diese wunderbare Stadt schnell ins Herz geschlossen und konnte mich nicht sattsehen an den unzähligen Gründerzeitgebäuden und den vielen Details einer wechselhaften Stadtgeschichte. Gekoppelt war dies mit einem manchmal fast ungläubigen Staunen, denn nur wenige Jahre zuvor wäre es mir als Süddeutschem nicht möglich gewesen, in dieser Stadt zu studieren. Sie lag in einem anderen Land, zu dem ich keinen Zutritt hatte. 

Nun war ein ganzer Staat verschwunden, leerstehende Gebäude und marode Leuchtreklamen erinnerten noch an ihn. Der Werbespruch »Mehr lesen, wissen, können« wirkte dabei wie eine Mahnung: Denn jener Staat hatte seinen Bürgen genau vorgeschrieben, was sie zu lesen und zu wissen hatten. Und das hat glücklicherweise nicht funktioniert. 

Heute, über zwanzig Jahre, nachdem das Photo aufgenommen wurde, ist das Gebäude saniert; Wohnungen und Büros sind hier entstanden. Auch das Buchmännchen leuchtet wieder und nachts sieht man es schon von weitem, dieses »Mehr lesen, wissen, können«.

Eine Nachbemerkung

Dieser Beitrag wurde von mir ursprünglich für das KUDU-Lesemagazin geschrieben. Dies ist eine Kundenzeitschrift, die von zahlreichen unabhängigen Buchhandlungen kostenlos angeboten wird. Heft #2 ist im März 2020 erschienen; kurz danach wurden wir alle von den Ereignissen der Corona-Krise überrollt, und die meisten Buchhandlungen in unserem Land mussten die Ladentüren schließen. Aber nur die Ladentüren, die Buchhändlerinnen und Buchhändler sind nach wie vor für ihre Kunden da.

Daher möchte ich diesen Text mit einem Hinweis schließen, der mir sehr am Herzen liegt: Bitte kauft Eure Bücher auch weiter in den Buchhandlungen vor Ort ein. Sie sind erreichbar und nehmen Bestellungen über ihre Webshops, per E-Mail oder telefonisch entgegen. Den lokalen Handel zu unterstützen war selten wichtiger als jetzt! Denn Online-Bestellungen bei den großen Steuervermeidern finanzieren unsere Infrastruktur nicht.

#SupportYourLocalBookstore
#StayAtHomeReadABook

2 Antworten auf „Mehr lesen, wissen, können“

  1. Hallo Uwe,
    wieder einmal eine großartige Geschichte, die du uns hier erzählst. Mir war das Büchermännchen mit dem Werbespruch bislang nicht bekannt. Schön, dass du auf diese Weise für die Verbreitung sorgst.
    Deine Photos gefallen mir eigentlich immer sehr gut, aber besonders dann, wenn du eine Geschichte dazu erzählst. Da ist dir die Rubrik „Ein Photo und seine Geschichte“ wirklich auf den Leib geschrieben. Um keine weitere zu verpassen, werde ich meine Buchhändlerin mal nach dem Magazin fragen.

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