Hass-Botschaft

Dennis Lehane: Ein letzter Drink

Normalerweise schreibe ich erst über Bücher, wenn ich sie auch zu Ende gelesen habe. In diesem Fall muss ich allerdings eine Ausnahme machen, denn bei der Lektüre von Dennis Lehanes »Ein letzter Drink« stolperte ich über eine Textstelle, die so perfekt zur derzeitigen Situation nach der US-Präsidentenwahl passt, dass ich sie hier direkt und umgehend zitieren möchte, denn ich finde, jeder sollte sie lesen.

»Weißt Du, worin die amerikanische Lebensart besteht?«, fragte Richie. Er blickte immer noch aus dem Fenster, das Glas auf halber Höhe zum Mund.
Ich spürte, wie die Wut im Raum endgültig mit dem Whisky in meinem Blut verschmolz und sich im Sog des Alkohols auflöste. »Nein, Richie. Worin?«
»Einen Schuldigen finden«, sagte er und nahm einen kräftigen Schluck. »Ist doch so. Du arbeitest auf einer Baustelle und lässt einen Hammer auf deinen Fuß fallen? Verklage die Baugesellschaft. Das ist ein Zehntausend-Dollar-Fuß. Du bist weiß und findest keine Arbeit? Gib den Minderheitenprogrammen die Schuld. Du findest keine und bist schwarz? Gib den Weißen die Schuld. Oder den Koreanern. Oder warum nicht gleich den Japanern? Denen gibt sowieso jeder die Schuld. Das ganze Land ist voll von bösen, unglücklichen, verwirrten, beleidigten Menschen, und keiner von denen hat genug Grips, um produktiv mit seiner Situation umzugehen. Sie reden von der guten alten Zeit, als alles noch einfacher war, als ob man in diese Zeit zurückkehren könne. Und weil sie es nicht schnallen, suchen sie sich jemanden, dem sie die Schuld geben können. Nigger, Juden, Weiße, Schlitzaugen, Araber, Russen, Abtreibungsbefürworter, Abtreibungsgegner – sonst noch jemand?«
Ich schwieg. Gegen die Wahrheit lässt sich nicht viel einwenden.

Dennis Lehane hat diesen Text im Jahr 1994 geschrieben. Sie bringt perfekt auf den Punkt, woran es der amerikanischen Lebensart schon vor zwei Jahrzehnten krankte – bis sich all die Wut und der Hass im November 2016 endültig Bahn gebrochen haben. Und er lässt sich zu großen Teilen auf die Entwicklungen adaptieren, die einem in unserem Land Sorge bereiten.

»Ein letzter Drink« ist Dennis Lehanes Erstling. Seit dem großen Erfolg von »In der Nacht« im Jahr 2013 werden auch seine früheren Werke in neuen Übersetzungen neu aufgelegt – allesamt beim Diogenes Verlag, zu dem dieser Autor gewechselt ist. Eine schöne Sache, finde ich, denn sein lakonisch-ironischer Noir-Stil garantiert großes Lesevergnügen. Und manchmal gefriert einem das Schmunzeln im Gesicht.

Wie zum Beispiel bei der zitierten, 22 Jahre alten und auf eine unheimliche Art prophetischen Textstelle.

Buchinformation
Dennis Lehane, Ein letzter Drink
Aus dem Amerikanischen von Steffen Jacobs
Diogenes Verlag
ISBN 978-3-257-30030-7

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10 Antworten auf „Hass-Botschaft“

  1. Perfekt ist gar nichts. Es ist jede Einseitigkeit, die mir auf den Kecks geht. Es gibt Amerikaner, die alles Andern in die Schuhe schieben und es gibt viele andere. Kein Grund, Feindbilder zu kultivieren. Übrigens gibt es ein ziemlich unbekannten Roman von Mitch Cullin, mit dem vielleicht die Amerikaniche Lebensart besser beschrieben wird als wie mit gängigen Vorurteilen, Pauschalisierungen und Clichés: Mitch Cullin – Whompyjawed. So kommt doch fast alles daher, was es auf dieser Welt gibt; whompyjawed. Besser kann man es in einem Wort nicht sagen.
    Vielen Dank für deine Tweets, Uwe.

  2. Das Zitat hat mich auch neugierig gemacht. The American Way of Life.. ist für mich (nachdem ich den Film „The Big Short“ sah) die Kunst des erfolgreichen Tradens. Da kann der Arbeiter noch so hart schuften, er wird seinen Lebensstandard, wenn überhaupt, nur minimal verbessern. Und dann ist die Sehnsucht geweckt. Lehane hat nicht Unrecht. Jeder schiebt dem Anderen die Schuld in die Schuhe. Ich denke da an ein altes Wahlplakat zurück, auf dem traurige Gesichter zu erkennen waren. Es trug die Überschrift „Unsere letzte Hoffnung“. Wenn darunter irgendwann „AFD“ steht, was ich nicht hoffe, Obacht. Da bekommt man doch Falten, wenn man an die Zukunft Europas denkt, nicht wahr?

    Lieben Gruß,
    Tanja

    1. Ja, die Falten werden nicht weniger…Und das Wahlplakat kenne ich – jetzt ist das Kopfkino an. Hoffen wir, dass der Film gut ausgeht.

      Liebe Grüße
      Uwe

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