»Isenhart« von Holger Karsten Schmidt ist ein historischer Roman, der deutlich aus dem Einheitsbrei dieses Genres herausragt. Beurteilt man ihn nur nach dem Klappentext, wird dies nicht sofort deutlich. Dort ist von einem Serienmörder die Rede, von einem mittelalterlichen Profiler; insgesamt entsteht dadurch ein falscher Eindruck von diesem großartigen Buch. Denn es handelt sich hier nicht um einen Mittelalter-Krimi. »Isenhart« ist viel mehr als das.
Dabei spielen ein Mord und dessen Aufklärung durchaus eine wichtige Rolle in der Handlung. Isenhart ist Sohn des Schmieds auf der Burg Laurin bei Spira. Er freundet sich mit den Kindern des Burgherrn an, Konrad und Anna, und wird aufgrund seiner Wissbegierde und Intelligenz auf Geheiß des Burgherrn zusammen mit den beiden unterrichtet. Als Jugendliche werden Isenhart und Anna ein Paar, heimlich natürlich, da diese Verbindung gegen alle Standesregeln verstoßen würde. Dann wird Anna ermordet und der unbekannte Täter hat der Leiche das Herz entnommen. Zwar wird schnell – zu schnell – ein Täter gefasst und verurteilt, aber Isenharts Welt ist aus den Fugen. Auch dass ihn der Burgherr als Sohn adoptiert, kann ihn nicht über den erlittenen Verlust hinwegtrösten. Einige Zeit später löst Isenhart durch sein Verhalten eine Fehde mit dem Abt Wilbrand von Mulenbrunnen aus, der daraufhin Söldner schickt, die zum Sturm auf die Burg ansetzen. Alles versinkt in Chaos und Zerstörung, doch Isenhart kann entkommen und untertauchen.
Er beginnt ein neues Leben, dort wo ihn keiner kennt, gründet eine Familie und wird sesshaft. Gleichzeitig interessiert er sich immer mehr für Forschung und Wissenschaft, ist geradezu besessen von der Suche nach neuen Erkenntnissen und als er Henning von Braake kennenlernt, einen anderen jungen Mann, ebenfalls voll unendlicher Wissbegierde, entsteht eine tiefe Freundschaft. Die beiden stellen festgelegte Regeln in Frage, erfinden Maschinen, rütteln an der gottgegebenen Ordnung, werden dafür von der Kirche zur Rede gestellt und bestraft, machen weiter, heimlich. Denn Isenhart und Henning finden keine Ruhe, Wissensdrang kann man nicht unterdrücken.
»Er kam sich vor wie eine Gestalt, die für eine andere Zeit, eine andere Epoche vorgesehen gewesen war. Er gehörte nicht hierher. Lediglich eine Laune oder ein Irrtum der Schöpfung hatte ihn in diese Ära katapultiert, aus der auzubrechen ihm nicht gegeben war. Er war ein Gefangener seiner Zeit.«
Und eines Tages hört Isenhart von einem weiteren Mord, dem Opfer wurde ebenfalls das Herz entfernt. Er beginnt sich umzuhören, recherchiert weitere, ähnlich gelagerte Taten und die Jagd auf den wahren Mörder seiner Jugendliebe Anna beginnt. Sie führt ihn quer durch Europa bis ins maurische Spanien und wieder zurück. Und ganz zum Schluss schließt sich der Kreis und plötzlich ergibt alles einen Sinn. Denn auch die verschwundenen Herzen haben mit Forscherneugier und Wissensdrang zu tun.
In »Isenhart« geht es wie in jedem im Mittelalter angesiedelten historischen Roman um Kämpfe und gestürmte Burgen, allerdings nicht heroisch oder verklärt, sondern blutig und brutal. Aber es ist auch eine Erzählung über die Macht der Neugier, über Wissenschaft in der Zeit der Unterdrückung des freien Denkens. Denn »der Glaube an ein Schicksal ist der Glaube daran, im Leben nichts ausrichten zu können. Es führt dazu, dass kluge und kräftige Männer die Hände in den Schoß legen, statt Kopf und Herz in die Waagschale zu werfen.«
Es ist die Geschichte einer tiefen Freundschaft, einer Seelenverwandtschaft, voller Größe und Tragik.
Buchinformation
Holger Karsten Schmidt, Isenhart
KiWi Taschenbuch
ISBN 978-3-462-04439-3
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Eine Kirsche im historischen Einheitsbrei. Das Buch hat so seine Längen, aber wenn man durch ist und die Sache aufgelöst wird, dann merkt man, dass man gerade einen richtig guten historischen Roman gelesen hat.
Genau so ging es mir auch. 864 Seiten sind eine Menge, aber wie sich zum Schluß die Handlungsstränge ineinanderfügen ist schon ziemlich klasse.