Wo liegt Faserland?

Christian Kracht: Faserland

Wenn ich schaue, über welche Bücher ich bis jetzt geschrieben habe, dann scheinen die Neunziger Jahre bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen zu haben. Da kann ich hier gleich noch einen Titel nachlegen: »Faserland« von Christian Kracht ist 1995 erschienen. Das Buch war das erste des Autors und der Protoyp eines neuen Erzählstils, der Schule machen sollte. Drei Jahre später war das Phänomen der deutschen Popliteratur in aller Munde. Natürlich habe ich dann auch die Bücher der Stuckrad-Barres, Leberts und wie sie alle hießen gelesen. Und mich durch die blasierte Betrachtung der Gesellschaft aus der Sicht der Protagonisten und die Selbstinszenierung des jeweiligen Autors gequält. Was blieb von diesen Büchern? Ehrlich gesagt habe ich die Inhalte komplett vergessen, so nichtssagend fand ich sie meist. Aber »Faserland« war vor der Popliteratur da und hat sie souverän überlebt. Und steht heute noch in meinem Bücherregal.

Warum ist das so? Die Geschichte ist nicht sympathisch. Der Barbourjacken tragende Ich-Erzähler ist nicht sympathisch. Aber trotzdem mag ich das Buch. Mag es sehr. Unter dem bewusst oberflächlichen und dandyhaften Stil verbirgt sich die Geschichte einer Sinnsuche. Der Erzähler beschreibt eine Reise von Sylt nach Hamburg, dann nach Frankfurt und Heidelberg, schließlich nach München, an den Bodensee und nach Zürich. Er ist auf der rastlosen Suche nach alten Freunden und nach alten Erinnerungen, die ihm helfen sollen, seinem Leben, das geprägt ist von einer Langeweile des Reichtums, einen Sinn zu geben oder zumindest eine Abwechslung zu bieten. Er ist einsam und muss erkennen, dass zwischen ihm und diesen alten Freunden inzwischen Welten liegen. So flüchtet er sich in noch mehr Rastlosigkeit und in Alkoholexzesse. Seine Verachtung für die Gesellschaft wird immer größer, der Kokon, in den er sich einspinnt immer dichter. Am Ende ist er ganz allein, am Ufer des Zürichsees und es wird dunkel. Fürwahr kein fröhliches Buch.

Ein paar Jahre vor Erscheinen von »Faserland« bin ich mit einer Monats-Netzkarte der Deutschen Bahn kreuz und quer durch die Bundesrepublik gefahren. Es war die Zeit, als sich die alten Kontakte aus Schulzeiten zu lösen begannen und sich ein eigenes neues Leben am Horizont abzeichnete. Bei meiner Reise habe ich viele Freunde aus dem alten Leben besucht, die überall verteilt zum Studium in neuen Städten wohnten. Es war 1989 und ich habe die meisten seitdem nicht mehr wieder gesehen.  Vielleicht gefällt mir »Faserland« deshalb so gut.

Über den Titel des Buches kann man lange diskutieren. Für mich ist damit ein »Zerfasern« des bisherigen Lebens gemeint und so ergeht es dem Ich-Erzähler in »Faserland«: Immer mehr Bruchstücke alter Erinnerungen verflüchtigen sich, bis nur er noch alleine übrig bleibt. Es kann natürlich aber auch alles ganz anders sein, auf Wikipedia gibt es einen ausführlichen Eintrag zu dem schmalen Büchlein mit etlichen Deutungsversuchen. Die braucht es aber nicht, um den Roman einfach nur zu lesen. Christian Kracht hat danach noch viele weitere Bücher geschrieben, aber keines hat mir so gut gefallen wie sein erstes.

Buchinformation
Christian Kracht, Faserland
Kiepenheuer & Witsch
ISBN 978-3-462-04239-9

#SupportYourLocalBookstore

8 Antworten auf „Wo liegt Faserland?“

  1. Für mich ist Faserland der Beginn einer Autorenschaft, die weder Inspiration von außen empfängt noch in sich etwas Bedenkenswertes entdeckt. Autoren, die ihre fehlende Empathie und Erregbarkeit gleich zur Weltanschauung erklären und die über das bisschen Leben, was sie kennengelernt haben, einen Verriss in Buchform schreiben.

    1. Im Bezug auf das Phänomen der sogenannten „Pop-Literatur“ stimme ich hundertprozentig zu. Nur dieses eine Buch hier, dieses „Faserland“ sticht für mich vollkommen daraus hervor. Zumindest hat es irgendetwas in mir berührt, so dass ich es schon mehrmals gelesen habe. Und das, obwohl der Ich-Erzähler nicht einmal sonderlich sympathisch herüberkommt…

  2. Christian Kracht ist so eine Sache – ein ganz und gar zwiespältiger Autor für mich: Himmel und Hölle, wenn man so will. Für mich ist „1979“ einer der besten deutschsprachigen Romane überhaupt, aber „Faserland“ hatte ich erst gar nicht angefangen, weil eine Freundin nach der Lektüre von „1979“ bitter enttäuscht war von „Faserland“. (Es kann also auch so herum gehen …) An „Ich werde hier sein im Sonnenschein …“ hatte ich mich dann wieder herangewagt, es mit großer Vorfreude angefangen – und dann nicht einmal zu Ende gelesen, weil ich es einfach nur miserabel fand. Ich habe das Buch sofort aussortiert. Diese Erfahrung hat mich leider bisher auch von „Imperium“ abgehalten.

    1. Das ging mir umgekehrt: Ich fand „Faserland“ großartig und war etwas irritiert von „1979“ – damals konnte ich mit der Geschichte nichts anfangen, der Bruch in der Story war mir zu groß, erst Teheran, dann China und alles ein bisschen zusammenhangslos. Trotzdem ist mir das Buch im Gedächtnis geblieben, vielleicht hat damals der Zeitpunkt nicht gepasst und ich sollte es jetzt noch einmal lesen. „Ich werde hier sein…“ habe ich zwar zu Ende gelesen, so richtig gefallen hat es mir aber auch nicht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert