Graphic-Novel-Werkstattbericht

Arne Jysch und Volker Kutscher: Der nasse Fisch - Graphic Novel

Es ist noch nicht so lange her, seit ich Graphic Novels als Literatur- und Kunstform für mich entdeckt habe. Gleichzeitig bin ich begeisterter Leser der Krimireihe rund um den Ermittler Gereon Rath. Wenn dann der erste Band dieser Reihe – »Der nasse Fisch« – als Graphic Novel erscheint und wenn Zeichner und Romanautor gemeinsam das Werk im Kölner Literaturhaus vorstellen – dann ist ja klar, dass ich mir diesen Abend auf keinen Fall entgehen lassen konnte. Und jede Minute hat sich gelohnt; es war eine ungemein spannende Veranstaltung, die den zahlreich erschienenen Zuhörern und Zuschauern die Entstehung einer Graphic Novel auf eine beeindruckende Art näher gebracht hat.

2007 ist »Der nasse Fisch« erschienen und Volker Kutscher hat damit den Grundstein für die Reihe gelegt, die seinen Ermittler Gereon Rath die ausgehenden zwanziger Jahre und den Beginn der dunklen Zeit der Nazi-Herrschaft erleben lässt. Als Kölner in Berlin, eng verbunden mit beiden Städten.

2017, zehn Jahre und 48 (!!) Auflagen später hat der Zeichner Arne Jysch daraus nun eine Graphic Novel gemacht. Gestaltet. Gezeichnet. Konstruiert. Was ist das richtige Wort? Komponiert würde passen, denn es geht nicht um eine Eins-zu-eins-Adaption, sondern um ein eigenständiges Werk mit einer eigenen Dramaturgie. Aber dazu gleich mehr.

Neben Volker Kutscher und Arne Jysch saß der Comicerzähler und -übersetzer Matthias Wieland auf dem Podium im Literaturhaus. Und wer sich gefragt haben sollte, wie eine Graphic-Novel-Lesung aussehen könnte, der erlebte eine regelrechte Performance. Denn nach einer kurzen Begrüßung legten Wieland und Jysch los: Während die gezeichneten Bilder in Überblendtechnik auf einer großen Leinwand erschienen, lasen die beiden die Dialoge der Sprechblasen in verteilten Rollen. Dazu gab es perfekte Hintergrundmusik und Martin Wieland begleitete den Text mit passenden Geräuschen. Eine Schaffnerpfeife, ein Anklopfen an der Tür, Schläge während einer Prügelei, das Eingießen von Schnaps – wir Zuschauer saßen wie gebannt und hatten schon beinahe ein Kino-Gefühl.

Anschließend folgte das Herzstück des Abends, das ausführliche Gespräch über das Making-of von »Der nasse Fisch« als Graphic Novel. Arne Jysch erzählte, dass er schon früher ein Faible für die 20er-Jahre hatte und als 2007 Volker Kutschers erster Gereon-Rath-Fall erschien, war er sofort an dem Stoff interessiert. Bereits zwei Jahre später sprachen die beiden über ein mögliches gezeichnetes Projekt; Kutscher berichtete, dass er die Idee gleich reizvoll fand, zumal er als visuell denkender Mensch Graphic Novels und Comics schon immer sehr mochte. Als der Carlsen-Verleger – ebenfalls ein Fan der Reihe – die ersten Probezeichnungen in den Händen hielt, waren die Verwertungsrechte schnell geklärt und der Carlsen-Verlag hatte eine neue Graphic Novel im Programm. Die allerdings erst noch entstehen musste, und bei dem folgenden Teil des Gesprächs kam ich aus dem bewundernden Staunen gar nicht mehr heraus.

Arne Jysch und Volker Kutscher: Der nasse Fisch - Graphic Novel. Ein Gespräch im Kölner Literaturhaus.

Denn Arne Jysch berichtete detailliert, wie er sich dem Buch angenähert hat. Zuerst musste der Roman vollkommen auseinandergenommen, schriftlich in kleine dramaturgische Häppchen zerlegt werden, um so die einzelnen Handlungsstränge klar herauszuarbeiten. Hier war Volker Kutscher noch mit dabei, er konnte auch bei den ersten Skizzen noch die ein oder andere historische Anmerkung mit einfließen lassen, aber danach hat er erst den fertigen Comic wieder zu Gesicht bekommen.

Bis dahin war immens viel zu tun. Eine neue Dramaturgie musste konzipiert werden, um Szenen des Buches in gezeichneter Form darzustellen. Manche Handlungsstränge wurden zusammengefasst, einige verschwanden ganz. Viel Fingerspitzengefühl wird dafür benötigt, um dabei die Handlung nicht zu verfremden; so ersetzt etwa in der Graphic Novel ein faksimilierter Brief, den Gereon Raths Vater an den Berliner Polizeipräsidenten schrieb, die gesamte Vorgeschichte, die Rath überhaupt erst aus Köln nach Berlin vertrieben hat. Auch die Erzählform wurde von der dritten Person in die Ich-Perspektive geändert, da dies behutsam einen komprimierteren Inhalt schafft.

Gleichzeitig muss der graphische Seitenaufbau von Beginn an mitgedacht werden, doch bis zur ersten Zeichnung verging noch einiges an Zeit. Nachdem die Handlungsstränge neu definiert waren, erstellte Arne Jysch ein Manuskript, in dem er – schriftlich, nicht graphisch – Seite für Seite genau plante. Hier galt es bestimmte Regeln für gelungene Graphic Novels zu beachten, etwa, dass jede Seite mit einer Art »Cliffhanger« enden sollte, um einen Spannungsbogen aufrecht zu erhalten.

Dann folgte die Szenario-Planung, in der die Dialoge festgelegt wurden, ähnlich wie bei einem Drehbuch. Bis zu diesem Punkt hatte Jysch noch keinen Strich gezeichnet.

Konnte er dann loslegen? So einfach war das nicht, schließlich spielt die Geschichte im Berlin des Jahres 1929. Um dies glaubwürdig abzubilden, musste erst einmal umfassend recherchiert werden. Berlin-Bildbände wurden durchgearbeitet, Mode-Kataloge der damaligen Zeit, die Porträt-Photos von Otto Sander waren ein wichtige Inspirationsquelle; ebenso Besuche in der polizeihistorischen Sammlung Berlins, in Museumswohnungen aus der damaligen Zeit oder im Oldtimer-Museum. Unzählige Skizzen entstanden.

Skizzen von Straßenzügen, Plätzen, Straßenleben, Autos, Bussen oder Straßenbahnen. Von Restaurants, Clubs, Speisehallen. Von Gebäuden, die schon lange verschwunden sind. Von Hüten, Bärten, Frisuren, Anzügen, Kleidern, Hosen, Röcken; da die Kleidung damals aus dickeren Stoffen gearbeitet war als heute, war der Faltenwurf ein anderer, was wiederum berücksichtigt werden musste. Schließlich Skizzen von Menschen auf der Straße, direkt aus alten Photos herausgezeichnet. Und Skizzen von damaliger Polizeiausrüstung, von Waffen, Pfeifen, Handschellen, Tschakos, Uniformen, Knüppeln. Außerdem beschäftigte er sich intensiv mit Zeichnern dieser Zeit wie etwa Hans Baluschek, Emil Orlik, Jeanne Mammen oder Russell Patterson, um sich inspirieren zu lassen und die Stimmung besser einfangen zu können.

Was für ein Aufwand! Aber er hat sich gelohnt, denn so entwickelte er aus all diesen Studien nach und nach die Welt Gereon Raths. Authentisch, detailgetreu, faszinierend. Interessant dabei: In den Momenten großer Brutalität werden die Zeichnungen oft schattenhaft, bieten keinen Gewalt-Voyeurismus, der manchen Graphic Novels eigen ist.

Irgendwann musste sich der Zeichner natürlich mit der Frage befassen, wie Gereon Rath eigentlich aussehen soll. Ein Mann, von dem sich unzählige Leser bereits ein eigenes Bild gemacht haben. Arne Jysch gab zu, dass er ganz grob Michael Fassbender im Hinterkopf hatte, als er sich an die Arbeit machte. Herausgekommen ist eine Physiognomie, die neutral genug daherkommt, um keine Kopfbilder zu zerstören. Aber gleichzeitig aussagekräftig genug ist, um nicht in Beliebigkeit abzugleiten. Ein Art Michael-Humphrey-Gereon-Bogart-Rath-Fassbender, mit dem alle Fans leben können, denke ich.

Und jetzt konnte Arne Jysch sich endlich daran machen, die Graphic Novel zu zeichnen. Natürlich erst, nachdem er sich etliche Schauplätze noch in der Wirklichkeit angeschaut hat, da sich doch manches nicht verändert hat – wie etwa die Hochbahn am Landwehrkanal. Dann folgten Rohentwurf, eingeplante Sprechblasen, Planung des Leseflusses, Feinabstimmung. Während die Vorab-Skizzen alle von Hand gezeichnet wurden, entstand die Reinzeichnung auf einem großen Zeichner-Tablet.

Und dann lag irgendwann nach jahrelanger akribischer Arbeit endlich die finale Version vor, die wir jetzt in den Händen halten.

Wir – und ich denke, da kann ich getrost im Namen aller Literaturhaus-Besucher dieses Abends sprechen – waren sprachlos ob all dieses Aufwands. Waren begeistert von dem Gehörten und Gesehenen. Und hätten noch endlos lange weiter zuhören können. Zum Schluss gab es eine weitere Graphic-Novel-Performance mit Dialogen, Soundtrack und Geräuschen.

Eigentlich muss man gar nicht mehr betonen, dass Graphic Novels eine eigene Kunstform sind. Dieser Abend hat das noch einmal mehr bewiesen und gezeigt, wie viel Gedanken, Kreativiät, wie viel Sorgfalt und Detailbesessenheit in einem Werk vereint sein können.

Arne Jysch und Volker Kutscher: Der nasse Fisch - Graphic Novel

Buchinformation
Arne Jysch/Volker Kutscher, Der nasse Fisch
Carlsen Verlag
ISBN 978-3-551-78248-9

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10 Antworten auf „Graphic-Novel-Werkstattbericht“

  1. Spannender Bericht! Ich durfte Buch, Autor und Zeichner auf der Leipziger Buchmesse kennenlernen und Arne Jysch fast eine Stunde beim Zeichnen zuschauen (so lang war die Signierschlange) und besitze jetzt auch so ein Meisterstück! Viele Grüße, Petra

    1. Fast eine Stunde hat es bei mir auch gedauert – aber die wunderbare Signatur ist ja wohl jede Minute davon wert…
      Viele Grüße
      Uwe

  2. Guten Morgen,
    den Beitrag habe ich mit Begeisterung gelesen da ich ein Fan von Graphic Novel bin, auch wenn ich diese Kunstwerke viel zu selten ‚lese‘. Aus einem mehrere hunderte Seiten umfassendem Buch die prägnanten Szenen herauszufischen und graphisch darzustellen um die Geschichte zu erzählen ist wirklich eine Kunst.
    Sehr interessant fand ich hier die Entstehung und Umsetzung, was für eine Arbeit.
    Der Abend muss grandios gewesen sein.
    Wenn ich eine GN empfehlen darf – Der Mörder weinte, umgesetzt von Thierry Murat.
    Liebe Grüße
    Kerstin

    1. Liebe Kerstin,

      vielen Dank für den Tipp, das schaue ich mir auf jeden Fall mal näher an. Ich habe erst in den letzten zwei, drei Jahren Graphic Novels für mich entdeckt, bin aber zunehmend begeistert davon.

      Liebe Grüße

      Uwe

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