Drama im Wüstensand

Alberto Vázquez-Figueroa: Tuareg

Auf der ewigen Hitliste der spannendsten Bücher, die ich jemals gelesen habe, dürfte dieses hier einen der Spitzenplätze einnehmen: »Tuareg« von Alberto Vázquez-Figueroa. 1981 das erste Mal erschienen, ist es inzwischen fast so etwas wie ein Klassiker. Selten habe ich erlebt, wie der Spannungsbogen in einem Buch direkt zu Beginn der Handlung nach oben schnellt, dort mit Ausnahme weniger kurzer Momente, in denen der Leser etwas Luft holen kann, auch bleibt und sich zu einem überraschenden und furiosen Ende steigert.

Die Hauptperson ist Gacel Sayah, ein Tuareg, der wie einst sein Vater und dessen Vater mit seiner Familie, seinem Zelt und seinen Kamelen durch die Wüste zieht. Wo und wann genau, wird in dem Roman nicht klar, die Handlung spielt wahrscheinlich irgendwann zwischen 1960 und 1970, irgendwo in einem fiktiven Sahara-Staat, eine Mischung aus Libyen, Algerien oder Mali. Ort und Zeit sind letztendlich nicht wichtig, zumindest nicht für Gacel, der nach den uralten Regeln seiner Vorfahren lebt. Zwar ist ihm bewusst, dass die große Zeit der Tuareg vorbei ist, aber die moderne Welt außerhalb seiner Wüste interessiert ihn nicht. Dies ändert sich an dem Tag, als plötzlich zwei abgerissene, halb verdurstete Männer in seinem Lager auftauchen. Die Gastfreundschaft ist eines der heiligsten Gesetze der Wüste, ohne zu zögern nimmt er die beiden Fremden bei sich auf.

Bald darauf kommen Soldaten in das Lager des Tuareg. Gacel versucht, sie aufzuhalten: »Die Gastfreundschaft ist bei uns heilig. Sie ist Gesetz und älter als der Koran.« Doch vergeblich, sie erschießen den einen der beiden Fremden und nehmen den anderen mit, während der Tuareg machtlos zusehen muss. Dann verschwinden die Armeefahrzeuge und es herrscht wieder Stille über der Wüste. Und Gacel zieht in den Krieg. Für ihn ist es eine Frage der Ehre, seinen Gast, der unter seinem Schutz stand, aus den Händen seiner Entführer zu befreien.

Was jetzt folgt ist die grandiose Beschreibung eines Ein-Mann-Feldzugs gegen die moderne Armee eines autokratischen Regimes. Denn Gacels Gast war ein wichtiger Oppositioneller, gejagt von der Staatsmaschinerie. Das alles weiß er nicht und es wäre ihm auch egal, sein Ziel ist es, den Mann zu befreien, in Sicherheit zu bringen und so seine Ehre wiederherzustellen.  Er wird verfolgt, beschossen, wehrt sich, tötet, durchquert das Land der Leere, einen der berüchtigten weißen Flecken der Sahara, in die sich nur die erfahrensten der Tuareg hineinwagen. Ohne mit Sicherheit zu wissen, ob sie es auch schaffen, wieder herauszukommen. Und gerät immer tiefer hinein in die politischen Verstrickungen einer Welt, mit der er nichts zu tun haben möchte, die er verachtet.

Denn Gacel Sarah ist ein Tuareg, ein Herr der Wüste, stolz und unbeugsam. Er tut, was getan werden muss:
»Du warst mein Gast, und ich muss dich über die Grenze bringen.«
»Weshalb hast du all dies getan?«
Gacel staunte über die Frage. »Weil es meine Pflicht ist«, meinte er dann. »Ich muss dich beschützen, weil du um meinen Schutz gebeten hast.«

Weiter möchte ich von der Handlung nichts berichten, um nicht zuviel zu verraten. Die Wüste ist in diesem Buch mehr als nur eine exotische Kulisse. Sie ist das Buch. Man kann die Hitze beim Lesen schier fühlen, wird durstig, glaubt beinahe, Sandkörner zwischen den Zähnen zu spüren. Ein lebensfeindlicher Raum voller überraschender Schönheit, der gleichzeitig denen, die ihn verstehen und lieben, dort das Leben ermöglicht. Und alle anderen erbarmungslos zugrunde gehen lässt. Dazu ein archaischer Ehrenkodex in einer modernen Welt voller politischer Umbrüche. Erzählt in einer einfachen Sprache, ohne Schnörkel und ohne Belanglosigkeiten. Ein Abenteuerbuch. Eines, das im Gedächtnis bleibt.

Vor ziemlich genau 20 Jahren habe ich es das erste Mal gelesen. Damals hatte ich den Traum, eines Tages durch die Sahara zu reisen, ausgelöst durch Otl Aichers »Gehen in der Wüste«. So war es nur natürlich, dass mir das Buch »Tuareg« in die Hände fiel. Es hat mich nicht losgelassen, bis heute.

Nur in der Sahara war ich immer noch nicht.

Buchinformation
Alberto Vázquez-Figueroa, Tuareg
Aus dem Spanischen von Hartmut Zahn

Goldmann Taschenbuch
ISBN 978-3-442-09141-6

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10 Antworten auf „Drama im Wüstensand“

  1. Ich habe dieses Buch im Jahr 2007 gelesen und auch für mich wird es immer zu einem der besten Bücher zählen, die ich gelesen habe. Von diesem Autor kenne ich aber auch noch „Bocanegra“ und „Aliza muss sterben“, auch beide Spitze!

  2. Nach deiner glühenden Besprechung bin ich versucht, das Buch doch nochmals in die Hand zu nehmen. Ich hatte es irgendwann einmal angelesen, bei einer flüchtigen Begegnung in einem Laden oder bei einem Besuch, und nach der ersten Seite wieder weggelegt, weil es stilistisch nicht gegriffen hat. Aber wie gesagt, es war eine sehr flüchtige Begegnung mit dem Buch. Zu wenig, um mir wirklich ein Urteil zu erlauben. Wie ich mir jetzt nach deinem Text denke.

    1. Es ist keine Hochliteratur, beileibe nicht. Einfach nur ein spannendes Buch in einer etwas spröden Sprache ohne Schnörkel, die perfekt zur Handlung passt. Gute Unterhaltung, ein Einblick in eine fremde Welt und eine andere Zeit.

  3. Ich erinnere mich dunkel an ein Buch mit dem selben Titel, bin aber nicht sicher, ob es das selbe ist. Ein Mann (Spoiler), um zu überleben. Er versteckt sich in (Spoiler). An mehr erinnere ich mich nicht, denn viel weiter bin ich nicht gekommen. Es ging mir zu sehr unter die Haut. Was ja eigentlich für das Buch spricht.

      1. Ups, vielleicht war das jetzt zu sehr gespoilert. Falls, ja, lösche oder editiere den Kommentar bitte einfach. Es ist jedenfalls nicht nur die Szene an sich, sondern die Eindringlichkeit der Sprache, die es so eindringlich macht.

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