Darf man Bücher wegschmeißen?

Darf man Buecher wegschmeißen?

Bücher in den Müll? Eine polarisierende Frage, hier gehen die Meinungen auseinander. Neulich saß ich in einem Café und bekam eine Unterhaltung am Nachbartisch zu genau diesem Thema mit. Einer der beiden Gesprächspartner meinte, dass er niemals auch nur ein Buch ins Altpapier geben würde, das käme schon beinahe einer Todsünde gleich. Ist das so? Das finde ich nicht, im Gegenteil, ich habe schon ziemlich viele Bücher weggeworfen. Und ich habe kein einziges davon vermisst. „Darf man Bücher wegschmeißen?“ weiterlesen

Romanhelden in der Matrix

Håkan Nesser: Himmel über London

»Himmel über London« von Håkan Nesser ist eines der irritierendsten Bücher, das ich in letzter Zeit gelesen habe. Und eines der faszinierendsten. Eigentlich hatte ich Lust auf einen Krimi und gedacht, dass ich da mit dem neuen Nesser nichts falsch machen kann. Nur dass »Himmel über London« gar kein Krimi ist. Aber allein die Sprache hat mich gleich in ihren Bann gezogen, die Handlung versprach konfliktreich und spannend zu werden, es ging um ein Geheimnis, eine Reise in die Vergangenheit. Und dann wurde alles ganz anders. So richtig anders. „Romanhelden in der Matrix“ weiterlesen

Alternativlose Politik 1914

Christopher Clark: Die Schlafwandler

722 Seiten über Politik und Diplomatie in einem Buch, an dem der Autor fünf Jahre gearbeitet hat, das frischen Wind in die seit Jahrzehnten andauernde Debatte über die Ursachen des Ersten Weltkriegs bringt und das Zeug hat, zu einem neuen Standardwerk der Geschichtsforschung zu avancieren. Wie soll man solch ein Werk in einem kurzen Blogbeitrag beschreiben? Genau, es geht um »Die Schlafwandler« von Christopher Clark. „Alternativlose Politik 1914“ weiterlesen

Spurensuche im Graphischen Viertel

Durch das Graphische Viertel: Der Leipziger Gutenbergweg

Man stelle sich eine Stadt vor. Eine Stadt mit weit über 700.000 Einwohnern. Eine Stadt, in der Kultur, Handel und Industrie in einer perfekten Symbiose existieren. Eine Stadt mit mehr als unzähligen Buchhandlungen, Verlagen und Druckereien. Eine Stadt als Zentrum der Medienproduktion schlechthin. Eine Buchstadt. Wohlhabend. Lebendig. Innovativ. Verschwunden im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs. Geblieben ist ein Mythos. „Spurensuche im Graphischen Viertel“ weiterlesen

Made in Germany

Gerhard Seyfried: Verdammte Deutsche

Was es bedeutet, nicht in einer bestimmten Phase seines Lebens hängenzubleiben, das zeigt beeindruckend der Cartoonist und Schriftsteller Gerhard Seyfried. Erschienen in den Achtzigern seine wunderbar schrägen Comics rund um die linksalternative Berliner Hausbesetzerszene, hat er sich in den letzten elf Jahren einen Namen als Autor beeindruckend recherchierter historischer Romane gemacht. »Verdammte Deutsche« thematisiert wie die Vorgänger-Romane »Herero« und »Gelber Wind« die Zeit des wilhelminischen Kaiserreichs und nimmt uns mit in ein Europa kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. „Made in Germany“ weiterlesen

Fleisch essen

Wolfgang Schorlau: Am zwölften Tag

Das Buch »Am zwölften Tag« von Wolfgang Schorlau hat tiefen Eindruck bei mir hinterlassen. Er ist ein Autor, der genau hinschaut und seine Krimis rund um den privaten Ermittler und Ex-BKA-Beamten Georg Dengler legen den Finger auf wunde Stellen in Politik und Gesellschaft. Im Verlauf der sechs bisherigen Fälle hatte Dengler mit den kriminellen Praktiken der Pharmaindustrie zu tun. Oder es ging um Privatisierung der Wasserversorgung auf Kosten des Allgemeinwohls. Oder den Bombenanschlag auf das Oktoberfest 1980 und die bis heute ungeklärten offensichtlichen Vertuschungen bei den Ermittlungen. Alle Romane sind sehr, sehr gründlich recherchiert und der Leser weiß nie ganz genau, wo die Wirklichkeit endet und die Fiktion beginnt. Oder umgekehrt. Und jetzt, in »Am zwölften Tag«, seinem siebten Fall, legt sich Dengler sich mit der Fleischindustrie und ihren mafiösen Machenschaften an. „Fleisch essen“ weiterlesen

Maigret und die Schnapszahl

Georges Simenon: Die Maigret-Romane

Georges Simenon hat am 13. Februar Geburtstag. Ich auch. Er wäre dieses 111 Jahre alt geworden. Ich nicht, aber bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich  noch nie einen seiner Maigret-Romane gelesen. 111 Jahre, eine Schnapszahl und ein schöner Anlass, sich von seinen Geburtstagsgästen einzelne Bände aus der Maigret-Gesamtausgabe schenken zu lassen. Da sind einige zusammengekommen. „Maigret und die Schnapszahl“ weiterlesen

Jeder Mensch ist eine Insel

Jan Costin Wagner: Tage des letzten Schnees

Der Roman »Tage des letzten Schnees« von Jan Costin Wagner beginnt mit einem schweren Autounfall, bei dem ein elfjähriges Mädchen stirbt. Den Leser lässt dieser Einstieg sprach- und hilflos zurück, die Situation ist emotional so nah beschrieben, das man es kaum aushält. Wäre mir das im Vorfeld bekannt gewesen, dann hätte ich das Buch ziemlich sicher nicht gekauft. Und mir wäre eine intensive Leseerfahrung entgangen. „Jeder Mensch ist eine Insel“ weiterlesen

Die Tramper-Zeit. Ein Textbaustein*

Jack Kerouac: Unterwegs

Früher bin ich viel getrampt, allein oder mit Freunden und auf diese Weise durch halb Europa gekommen. Schon damals, Anfang bis Mitte der Neunziger war das eine etwas aus der Mode gekommene Fortbewegungsmethode, heute sieht man sie fast gar nicht mehr, die rucksacktragenden Gestalten am Wegesrand, die den Autofahrern Daumen oder Schilder mit Ortsnamen entgegenrecken.

Meistens bin ich gut vorangekommen. „Die Tramper-Zeit. Ein Textbaustein*“ weiterlesen

Lasst alle Hoffnung fahren?

Stephen Emmott: Zehn Milliarden

Das Buch »Zehn Milliarden« von Stephen Emmott hat es in sich. Und zwar gleich in zweifacher Hinsicht. Zum einen ist es buchgestalterisch ein echter Hingucker, mit einem aufwändig produzierten und sehr haptischen Umschlag, der Innenteil schon fast ein typographisches Gesamtkunstwerk. Und zum anderen geht es um nichts Geringeres als den Untergang unserer Welt. „Lasst alle Hoffnung fahren?“ weiterlesen

Es kommt alles anders

Stephen Fry: Geschichte machen

Im August 2013 sorgte der Kurzfilm eines Filmakademie-Absolventen für Kontroversen. Zwei Dinge irritieren gleich in den ersten Sekunden des Films: Der nagelneue Mercedes passt nicht in die sepiafarben gehaltene Landschaft mit einem Dorf und Menschen aus dem 19. Jahrhundert. Und es ist kein Fahrer in dem schnell fahrenden Auto zu erkennen. Dafür reagiert der fahrerlose Wagen zuverlässig und intelligent: Zwei Mädchen spielen auf der Straße, das Fahrzeug bremst. Kurz darauf springt ein Junge auf die Fahrbahn. Der Mercedes beschleunigt und überfährt das Kind. Die Mutter schreit mit schreckgeweiteten Augen »Adolf!«, das Auto fährt weiter, passiert das Ortsschild »Braunau am Inn«, in der mercedeseigenen Schrift wird eingeblendet »Erkennt Gefahren, bevor sie entstehen«. „Es kommt alles anders“ weiterlesen

Ein Rechtsanwalt in rauen Zeiten

Christopher J. Sansom: Die Matthew-Shardlake-Romane

Manchmal lese ich gerne historische Romane. Leider ist dies jedoch ein Genre, in dem es zu viele Bücher gibt, die besser nie geschrieben worden wären, weshalb ich für eine gute Empfehlung immer dankbar bin. In diesem Fall wurde ich in einer der Buchhandlungen meines Vertrauens auf eine großartige Buchreihe aufmerksam gemacht: Christopher J. Sansom hat mit seinen Matthew-Shardlake-Romanen das England zur Zeit Heinrichs VIII. wiederauferstehen lassen. „Ein Rechtsanwalt in rauen Zeiten“ weiterlesen

Am Anfang war das Wort

Otfried Preußler: Der Räuber Hotzenplotz

Nicht selten verbringt man zwischen Weihnachten und Neujahr ein oder zwei Tage an dem Ort, an dem man aufgewachsen ist, den man aber schon lange verlassen hat. So war es Ende 2013 auch bei mir. Von nostalgischen Gefühlen getrieben habe ich den Keller meines Elternhauses durchstöbert und es tatsächlich gefunden: Das Buch »Der Räuber Hotzenplotz« von Otfried Preußler. Und zwar genau das Exemplar, aus dem mir meine Oma vor nun über vierzig Jahren vorgelesen hatte. Stockfleckig, von Feuchtigkeit beschädigt, aber immer noch da. „Am Anfang war das Wort“ weiterlesen

Stolz noch im Verfall

Marc Mielzarjewicz: Lost Places Leipzig

Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts war Leipzig eine der wichtigsten deutschen Industriestädte und einer der bedeutendsten europäischen Handelsplätze. Industrie und Handel, beides prägte das Stadtbild der Gründerzeit und der folgenden Jahrzehnte. Da Leipzig im 2. Weltkrieg »nur« zu einem Drittel zerstört wurde, sind viele Spuren dieser Zeit noch sichtbar, auch wenn die sozialistische Planwirtschaft fast genauso verheerende Auswirkungen hatte wie der Krieg. „Stolz noch im Verfall“ weiterlesen