Blogs als Literaturvermittler? Dreimal Treibgut

Treibgut: Literaturblogs als Literaturvermittler?

Das Internet wirkt manchmal wie ein riesiger Fluss, der ununterbrochen vorüberströmt. Ein Fluss aus unzähligen Beiträgen, Artikeln, Tweets, Posts, Texten aller Art. Vielleicht habe ich dieses Bild deshalb vor Augen, weil ich gerade die Bayou-Trilogie »Im Süden« gelesen habe; die ersten Krimis von Daniel Woodrell, angesiedelt in einem fiktiven Ort im Mündungsgebiet des Mississippi. Und dieser gewaltige Fluss ist in der Handlung der Romane ständig präsent, Landschaft und Menschen prägend.

Aber heute soll es nicht um ein bestimmtes Buch gehen, sondern um das Treibgut, das einem der virtuelle Strom Internet ab und zu vor die Füße spült. Denn in den letzten Wochen waren es drei Textstücke, die kurz hintereinander bei mir landeten und in ihren gegenteiligen Aussagen so schön zueinander passten, dass ich sie hier miteinander verknüpfen möchte.

Treibgut eins: Eine Börsenblatt-Kolumne

Auf boersenblatt.net schrieb am 16. Juni die Buchhändlerin und Verlegerin Martina Bergmann in einer ihrer Kolumnen über die Kernkompetenzen des Buchhandels. Ich lese diese Beiträge immer sehr gerne, finde sie treffsicher formuliert mit einem guten Blick für Zusammenhänge. Diesmal allerdings stolperte ich über folgende Textstelle, in der es um Empfehlungsmarketing im Buchhandel geht.

»Schön, dass es Buchblogger gibt. Erfreulich, dass sie gern viel lesen und Besinnungsaufsätze über ihre Lektüreerfahrungen verfassen. Kann man alles zur Kenntnis nehmen, ist auch nicht alles blöd. Aber hilft dieses literaturkritische Amateurwesen im Sortimentsalltag? Nein. Kunden überzeugt es, wenn ich sage – hier mein aktuelles Lieblingsbuch. Diesen Kriminalroman hat meine Mutter gern gelesen, und jenem Sachbuch sind bereits sieben Leute in den Wald gefolgt. Sie kamen alle wieder. Kunden interessiert Empfehlungsmarketing von Menschen, die sie kennen, also von mir selbst, ihren Nachbarn und Christine Westermann. Alles, was dazwischen herumarbeitet, all die in ihren jeweiligen Filterblasen geläufigen Büchersender, interessieren Buchhandelskunden nicht. Deswegen soll man sie als Sortimenter nicht völlig ignorieren, aber doch darauf achten, sich ihre Wahrheiten nicht aufnötigen zu lassen. Dann besser selbst ein Bücherblog betreiben; es ist nicht schwer.«

Den letzten Satz würde ich nicht so stehen lassen, bloggende Buchhändlerinnen und Buchhändler wie Sarah Reul von pinkfisch, die Klappentexterin Simone Finkenwirth oder Hauke Harder von leseschatz könnten sicherlich bestätigen, wie viel Arbeit in ihren Blogs steckt. Und die Autorin dieser Textstelle erkennt nicht – wie so viele vor ihr – die große Heterogenität der Buchblogger-Szene, in der es zugegebenermaßen von »Besinnungsaufsätzen über Lektüreerfahrungen« nur so wimmelt, in der es aber auch Blogs gibt, die durchaus die Funktion von Literaturvermittlern ausüben können.

Habe ich mich über die Passage in Martina Bergmanns Kolumne geärgert? Nein. Ja. Ein bisschen? Ärgern ist der falsche Ausdruck. Natürlich weiß ich, dass sich die Buchblogger-Welt vor allem um sich selbst dreht. Aber eben nicht nur, denn gerade in den letzten Jahren hat sich hier sehr viel getan. Und deshalb war ich wohl etwas enttäuscht, ein solch abschätzendes, verallgemeinerndes Urteil zu lesen – dazu von jemandem, dessen präzisen Blick auf die Buchbranche ich ansonsten sehr schätze.

Treibgut zwei: Ein Blogbeitrag

Direkt passend dazu stellte nur ein paar Tage später Blogger Sandro Abate auf seinem Blog novelero die Ergebnisse einer Umfrage vor, die er durchgeführt hatte und mit der er herausfinden wollte, ob und wie Literaturblogs als Buchempfehler wahrgenommen und genutzt werden. 168 Menschen haben sich daran beteiligt, etwa die Hälfte davon ist selbst als Buchblogger tätig. Insgesamt vielleicht keine statistisch repräsentative Studie, zumal sie – natürlich – nur Leser erreicht hat, die sich auch in den sozialen Netzwerken tummeln. Sie lässt aber durchaus eine Tendenz erkennen, die auch gleich als Beitragsüberschrift verwendet wurde: »Literaturblogs sind authentische Literaturvermittler«. Eine interessante Umfrage mit zielführenden Fragen, deren Antworten durchaus überraschen können; es lohnt sich auf jeden Fall, einmal hineinzuschauen.

Treibgut drei: Ein Tweet

Treibgut drei wurde wieder ein paar Tage später angespült, diesmal war es lediglich ein Tweet auf Twitter. Aber einer, der die beiden anderen Fundstücke ergänzt und eine Verbindung schafft. Mal davon abgesehen, dass er mich auch ziemlich stolz gemacht hat.

Kundin eben: „Ich gucke immer auf eine Seite, die heißt @cafehaussitzer , da ist das so schön beschrieben.“ <3
— Buchhandlung am Turm (@TurmBuchOch), 24. Juni 2017

Wer immer diese Kundin gewesen sein mag: Vielen herzlichen Dank für dieses wunderbare Feedback. Vor allem freut es mich, diese Rückmeldung von einer Buchhandlung zu erhalten, denn wenn jemand sich auf Kaffeehaussitzer über ein Buch informiert und dieses dann nicht online, sondern in seiner Buchhandlung vor Ort kauft – das macht mich glücklich.

Ärgern, überrascht sein und sich freuen: Drei Treibgut-Fundstücke zum Thema Literaturblogs als Buchempfehler. Mal sehen, was noch alles angespült wird, während der große Strom ohne Pause an uns vorbeifließt, immer weiter und weiter.

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6 Antworten auf „Blogs als Literaturvermittler? Dreimal Treibgut“

  1. Wie Anna und Petra schon sagen, was für den einen der Friseur oder der Buchchändler um die Ecke sind, ist für den anderen der Buchblogger. Manche Blogs begleiten mich seit Jahren. Ich muss nicht alles gut finden, aber ich schätze ihre Meinungen und werde dadurch auch zu Büchern gebracht, die ich sonst nie gefunden hätte.

    Frau Bergmann zeigt durch die Wortwahl deutlich ihre Meinung über „dieses literaturkritische Amateurwesen“. Eine so elitäre Meinung, dass mich, hätte ich ihn gelesen, der Artikel schon geärgert hätte. Gut also, dass ich ihn nicht gelesen habe.

    Ich finde, wir sollten mit diesem „Treibgut“ umgehen, wie mit tatsächlichem Treibgut: Wegschmeißen, was nicht gefällt, und behalten, was uns erfreut.

    Lächeln, Fabian.

  2. Ich kenne nur wenige Literaturblogs – und die schreiben profunde Beiträge.

    Wenn mich mich dann für ein Buch interessiere, so hole ich in der Regel selbst weitere Infos ein.

    Für mich ist Vielfalt interessant – ich erfahre über Blogs ein wenig vom Querschnitt des Angebotenen. Nutzen kann ich das Vielfältige eh nicht, mich aber anregen lassen.

  3. Zu Treibgut Nr. 1: Bei meinen Buchkaufentscheidungen spielen Blogs eine enorme Rolle, und zwar, weil man über die Monate und Jahre auch die BloggerInnen „kennenlernt“ und dann doch ganz gut einschätzen kann, ob das jeweilige Buch etwas für einen sein könnte. Und so generieren Blogs auch wieder Kunden, über die man sich als BuchhändlerIn doch hoffentlich freut. Und manchmal wirkt das dann sogar in die entgegengesetzte Richtung: Die Buchhändlerin meines Vertrauens meinte kürzlich, sie würde sich immer genau anschauen, was ich so bestelle, weil auch sie davon profitiere :-)

  4. Wie so oft macht’s wohl einfach die Mischung: mal FreundInnen oder Bekannte, mal BuchhändlerInnen, mal ’ne interessante Rezension im Feuilleton – und nun sind eben noch BloggerInnen dazu gekommen. Ist doch prima! Anstatt immer nur zu betonen, wie wichtig die eigene „Gruppe“ für die Literaturvermittlung ist, könnte man sich doch einfach mal endlich entspannen und darüber freuen, dass sich diese schöne Aufgabe auf immer mehr Menschen verteilt. Das ist ja schließlich auch ein gutes Zeichen, wenn sich immer mehr Menschen intensiv mit Literatur befassen (oder auch einfach nur lesen und darüber schreiben).
    Herzliche Grüße
    Petra

  5. Ein sehr schöner Artikel Uwe! Du hast es verstanden, diese drei Fundstücke miteinander zu verweben und auszuloten.

    Als Buchhändlerin zu sagen „Wissen Sie, dass hier ist Empfehlung A von Blogger B“ – ja, damit hole ich meinen Kunden nicht unbedingt ab, je nach Netzaffinität. Dass ich aber eine Empfehlung habe, die ich selbst von einem Buchblog habe und das Buch dann gut verkaufen kann, das kommt wahrlich nicht selten vor. Insofern, wenn vielleicht auch durch die Hintertür, hat das natürlich Einfluss.

    Noch ein Beispiel: Regelmäßig kaufen Kunden (Kinder-)Bücher, die die Bloggerin, mit der wir noch zusammenarbeiten, auf unserer Website empfiehlt. Das funktioniert ebenfalls gut.

    Ich kann für mich sagen, dass Blogs und Social Media einen ganz beträchtlichen Einfluss auf meinen Arbeitsalltag als Buchhändlerin haben. Ich kann hier sehr früh Trends erkennen (und muss die natürlich auch je nach Filterblase einordnen, wie relevant es dann für unser Sortiment ist, aber das ist ja nun auch eine Kernkompetenz des Buchhandels…), ich kann besonderes entdecken. Es bringt hier und da auch dazu, einem Buch nochmal eine Chance zu geben oder altes neu zu entdecken, ein englisches Original deutlich früher zu entdecken…

    Und zur Arbeit, die ein Blog macht – ein regelmäßig bestückter Blog kostet viele Stunden Arbeitszeit. Aber das wissen wir =).

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