Die Liste der Neun. Ein Ausblick

Neue Buchvorstellungen auf Kaffeehaussitzer: Viel Zeitgeschichte und neun Bücher, die mich beeindruckt haben.

In den letzten Wochen war es etwas ruhig auf Kaffeehaussitzer. Zwischen Weihnachten, Jahreswechsel, beruflichen und privaten Verpflichtungen gab es keine richtige Muße, um einen Blogbeitrag zu schreiben. Was aber nicht heißen soll, dass die Zeit auch zum Lesen nicht gereicht hat, ganz im Gegenteil. Mittlerweile warten neun Bücher darauf, hier vorgestellt zu werden und als kleinen Zwischenbericht möchte ich einen Ausblick geben, was in nächster Zeit auf Kaffeehaussitzer geplant ist. Das hilft mir auch dabei, eine Gliederung zu schaffen, um mich nicht zu verzetteln.

Es ist nicht so, dass ich jedes Buch bespreche, das ich gelesen habe. Manche hinterlassen zu wenig Eindruck, als das es sich lohnen würde, sich näher damit zu beschäftigen. Allerdings hatte ich Glück bei der Auswahl der letzten Lektüren und so sind neun ganz und gar unterschiedliche Bücher zusammengekommen, um die es hier in den nächsten Beiträgen gehen wird. „Die Liste der Neun. Ein Ausblick“ weiterlesen

Ein jüdisches Familientreffen. Unerwartet

Jüdisches Familientreffen

Die Leipziger Buchmesse steht vor der Türe. Wie jedes Jahr freue ich mich auch dieses Mal wieder auf das Treffen mit Freunden und alten Bekannten, auf das Kennenlernen neuer Menschen und auf unerwartete Begegnungen. Unerwartet, wie bei der letztjährigen Messe. Denn man macht in seinem Leben oft die Bekanntschaft völlig unterschiedlicher Personen, die aber doch in irgendeinem Zusammenhang miteinander stehen. Letztes Jahr bin ich durch die Leipziger Buchmesse drei jüdischen Familien begegnet. An drei aufeinanderfolgenden Tagen. Völlig unterschiedlich und vor allem komplett unerwartet. „Ein jüdisches Familientreffen. Unerwartet“ weiterlesen

Schelm ohne Gesicht

Piere Lemaitre: Wir sehen uns dort oben

Mit drei unterschiedlichen Charakteren haben wir es in dem Buch »Wir sehen uns dort oben« von Pierre Lemaitre zu tun. Da ist einmal der skrupellose Schurke, der bereit ist, für seinen Erfolg über Leichen zu gehen, dann der naive Tor, unbeholfen, etwas zu gut für diese Welt und schließlich der gerissene, aber an sich gutmütige Schelm. Drei Charaktere, drei Personen, vom Schicksal aneinandergekettet, ohne es zu wollen. „Schelm ohne Gesicht“ weiterlesen

Ritterdämmerung

Oliver Poetzsch: Die Burg der Koenige

Es war das perfekte Timing, kurz nach dem Jahresbeginn 2015. Viel Zeit haben und dazu ein dickes Buch, 936 Seiten, ein richtig schöner Historienschmöker. Drei Tage lang war ich abgetaucht in die Jahre 1524 und 1525. In dieser Zeit spielt »Die Burg der Könige« von Oliver Pötzsch. Darauf aufmerksam wurde ich schon vor einiger Zeit durch eine begeisterte Besprechung im Blog Analog-Lesen (leider inzwischen offline) und hatte mir das Buch auf Vorrat angeschafft. Um es genau für solch einen perfekten Zeitpunkt zur Hand zu haben. „Ritterdämmerung“ weiterlesen

Dramaturgie des Scheiterns

Erster Weltkrieg. Joerg Friedrich: 14-18

Für den Zivilisationsbruch zu Beginn des 20. Jahrhunderts gibt es verschiedene Bezeichnungen, Erster Weltkrieg oder auch der Große Krieg. Jörg Friedrich hat sein Buch einfach »14/18« genannt – groß und plakativ prangen die Ziffern auf dem Umschlag. Es ist ein wenig anders als die anderen Gesamtdarstellungen dieser vier Jahre. Anders von der Sprache her, anders von der Gliederung her, anders in der gesamten Konzeption. Da Friedrich kein Historiker, sondern Publizist und Journalist ist, bewegt er sich sprachlich weg von einer wissenschaftlichen Darstellung. Weit weg. Denn die Sprache ist das, was das Werk gleich auf den ersten Seiten von anderen Sachbüchern unterscheidet. Mitreißend, wuchtig, etwas pathetisch, manchmal brachial, mit einem Hauch Polemik inszeniert der Autor den Ersten Weltkrieg als europäisches Drama. „Dramaturgie des Scheiterns“ weiterlesen

West. Ost. Konflikt

Verdun und Ober Ost: Facetten des Ersten Weltkriegs

Den Ersten Weltkrieg assoziiert man gemeinhin mit Bildern von völlig verwüsteten Landschaften, durchzogen von Gräben, durchlöchert von Granateinschlägen. Dies ist aber nur eine Facette. Wie viele andere es gab, wird mir immer klarer, denn die hundertjährige Wiederkehr des Kriegsausbruchs nehme ich zum Anlass, mich intensiv mit der Thematik zu beschäftigen. Aus den zahlreichen Büchern, die es momentan über den Ersten Weltkrieg gibt, habe ich mir ein Leseprojekt zusammengestellt und bin dabei, immer tiefer in diese Epoche einzutauchen, die prägend für das gesamte 20. Jahrhundert war – und damit auch für die Welt, in der wir heute leben. 

1914 war das deutsche Kaiserreich in einer selbst verschuldeten und denkbar ungünstigen Ausgangssituation und musste im Westen wie auch im Osten Krieg führen. Wie es genau dazu kam, schildert Christopher Clark meisterhaft in seinem Werk Die Schlafwandler. Für die Geschehnisse nach Ausbruch des Krieges habe ich zwei Sachbücher in die Leseliste mit  aufgenommen, die thematisch für jeweils eine der beiden Himmelsrichtungen stehen. Zum einen »Verdun 1916« von Olaf Jessen und zum anderen »Kriegsland im Osten« von Vejas Gabriel Liulevicius. „West. Ost. Konflikt“ weiterlesen

Erster Weltkrieg privat

Vor ein paar Jahren ist eine Bewohnerin unserer Straße 100 Jahre alt geworden. Alle Nachbarn waren vor dem Haus versammelt, um ihr zu gratulieren, Bierbänke wurden aufgestellt und es gab Kölsch. Im Verlauf der kleinen Feier unterhielt ich mich kurz mit der Jubilarin und sie erzählte mir von einer ihrer ersten Erinnerungen, damals, als sie ein fünfjähriges Mädchen war: Sie wusste heute noch, wie ihr Vater aus dem Krieg zurückkehrte. Ich musste kurz überlegen, bis mir klar wurde, dass sie vom Ersten Weltkrieg sprach. Da lief mir ein Schauer über den Rücken, ein direkter Kontakt mit einer Zeitzeugin einer solch fernen Epoche ist selten geworden und wird in wenigen Jahren nicht mehr möglich sein. Und erzählte Geschichte ist Thema des Buches, das ich hier vorstellen möchte.

An Büchern über den Ersten Weltkrieg herrschte gerade im Gedenkjahr 2014 beileibe kein Mangel, Bücher über die Ursachen, über den Verlauf, über einzelne Aspekte, über globale Zusammenhänge, über kulturgeschichtliche Erkenntnisse. Aber was dachten die Menschen, die in dieser Zeit lebten? Wie lebten sie? Was empfanden sie? Was erduldeten, ertrugen, erlitten sie? Welche Spuren haben die Kriegsjahre in ihnen hinterlassen? Und: Wer waren sie? Was haben sie davon berichtet? Hier sticht ein Buch aus der Masse hervor. Es ist »Schönheit und Schrecken« von Peter Englund. „Erster Weltkrieg privat“ weiterlesen

Das Ende der bekannten Welt

Herfried Münkler: Der große Krieg

Die Welt, in der wir heute leben, ist zu großen Teilen aus den Folgen der Ereignisse entstanden, die 1914 begannen und die in England und Frankreich der Große Krieg genannt werden. »Der Große Krieg« ist auch der Titel von Herfried Münklers lesenswerter Darstellung des Ersten Weltkriegs. Die Jahre von 1914 bis 1918 waren eine Zeitenwende von epochaler Wucht, die in der deutschen Erinnerungskultur bisher immer ein Schattendasein führte – überlagert von den verheerenden Ereignissen, die danach stattfanden. Und unmittelbar darauf zurückzuführen sind. Denn 1914 hat alles angefangen.

Das Buch ist ein weiterer wichtiger Baustein meines Leseprojekts Erster Weltkrieg. „Das Ende der bekannten Welt“ weiterlesen

Alternativlose Politik 1914

Christopher Clark: Die Schlafwandler

722 Seiten über Politik und Diplomatie in einem Buch, an dem der Autor fünf Jahre gearbeitet hat, das frischen Wind in die seit Jahrzehnten andauernde Debatte über die Ursachen des Ersten Weltkriegs bringt und das Zeug hat, zu einem neuen Standardwerk der Geschichtsforschung zu avancieren. Wie soll man solch ein Werk in einem kurzen Blogbeitrag beschreiben? Genau, es geht um »Die Schlafwandler« von Christopher Clark. „Alternativlose Politik 1914“ weiterlesen

Es kommt alles anders

Stephen Fry: Geschichte machen

Im August 2013 sorgte der Kurzfilm eines Filmakademie-Absolventen für Kontroversen. Zwei Dinge irritieren gleich in den ersten Sekunden des Films: Der nagelneue Mercedes passt nicht in die sepiafarben gehaltene Landschaft mit einem Dorf und Menschen aus dem 19. Jahrhundert. Und es ist kein Fahrer in dem schnell fahrenden Auto zu erkennen. Dafür reagiert der fahrerlose Wagen zuverlässig und intelligent: Zwei Mädchen spielen auf der Straße, das Fahrzeug bremst. Kurz darauf springt ein Junge auf die Fahrbahn. Der Mercedes beschleunigt und überfährt das Kind. Die Mutter schreit mit schreckgeweiteten Augen »Adolf!«, das Auto fährt weiter, passiert das Ortsschild »Braunau am Inn«, in der mercedeseigenen Schrift wird eingeblendet »Erkennt Gefahren, bevor sie entstehen«. „Es kommt alles anders“ weiterlesen