Der spanische Autor Arturo Pérez-Reverte ist ein Meister der melancholischen Erzählungen. Die Protagonisten seiner Romane sind oftmals Menschen in der zweiten Hälfte ihres Lebens. Menschen, die realisiert haben, dass die Welt dabei ist, sich zu verändern und dass ihr Platz darin nach und nach an den Rand gerückt wird. Und denen klar geworden ist, dass die Zeit zwar sanft, aber gnadenlos vergeht – und mit ihr all die Träume, die Pläne und die Wünsche. Das alles erdulden sie ohne darüber zu klagen, mit Würde und mit all der Eleganz, die ihnen möglich ist. Denn besiegt von der Vergänglichkeit sind sie noch lange nicht, zumindest nicht vollständig. Ein Roman, in dem Pérez-Reverte all dies in höchster Vollendung einfließen lässt, ist »Dreimal im Leben«. Es geht darin um die abenteuerliche Lebensgeschichte von Max Costa, einem Dieb, Betrüger und Hochstapler, äußerst stilsicher und mit den besten Umgangsformen.
»Er hatte zu der Sorte von Männern gehört, die man morgens im Frack in einer Konditorei antreffen konnte, wo sie den Dienstboten des Hauses, in dem sie am Abend zuvor zu einem Ball oder Festmahl geladen waren, ein Frühstück spendierten. Für solche Dinge hatte er eine Begabung, oder ein Gespür. Wenigstens einmal in seinem Leben hatte er es auch fertiggebracht, sein gesamtes Vermögen im Kasino zu verspielen, auf dem Trittbrett der Straßenbahn nach Hause zu fahren, vollkommen bankrott, und ungerührt ›The Man Who Broke the Bank at Monte Carlo‹ zu pfeifen. Und er wusste mit solcher Nonchalance eine Zigarette anzuzünden, die Krawatte zu binden oder gut gebügelte Hemdmanschetten zu tragen, dass die Polizei nie gewagt hätte, ihn festzunehmen, solange sie ihn nicht auf frischer Tat ertappte.«
Als wir Max im September 1966 kennenlernen, ist von seinem alten Glanz nichts übriggeblieben. Er ist vierundsechzig, schon lange nicht mehr jung, und die glorreichen Tage als Gentleman-Ganove gehören einer anderen Zeit an. Max arbeitet als Chauffeur für einen Schweizer Arzt, der in einer Villa im italienischen Sorrent lebt. Dort ist er untergekommen, er erwartet nicht mehr allzu viel von seinem Leben, ist froh, dass er es überhaupt bis hierhin geschafft hat, irgendwie, mit all seinen Narben und Blessuren. Doch als sein Chef sich zu einer längeren Reise aufmacht, er mit dessen Jaguar durch die prachtvolle Innenstadt von Sorrent fährt – ganz wie in alten Zeiten, als er noch selbst Autos in dieser Preisklasse besaß – da fällt sein Blick auf zwei flanierende Frauen in Begleitung eines jungen Mannes. Und etwas an der älteren der beiden löst einen wahren Sturm an Erinnerungen aus. Oder wie es Arturo Pérez-Reverte viel eleganter formuliert, dessen wunderbar poetische Sprache wir dank der übersetzerischen Leistung von Petra Zickmann auf Deutsch genießen können:
»Tatsache ist, dass Max, so unvermittelt, wie einem manchmal Bruchstücke eines vergessenen Traumes wieder einfallen, vom fernen Echo einer Erinnerung aufgeschreckt wird. Dem Abglanz eines längst vergessenen Bildes, einer Geste, einer Stimme, eines Lachens.«
Es sind Erinnerungen, die Lücken in seinen emotionalen Schutzpanzer reißen, mit dem er sich gegen die Vergänglichkeit mit all ihren verpassten Chancen und Möglichkeiten abschirmt. Denn erst ist er sich nicht ganz sicher, doch die Frau, die er gesehen und erkannt hat, sie ist es. Sie. Mercedes Inzunza de Troeye, genannt Mecha. Die er zum ersten Mal im Jahr 1928 traf, als er als Eintänzer auf einem Überseedampfer nach Buenos Aires gearbeitet hat und Mecha als Passagierin an Bord war. Zusammen mit ihrem Mann, einem weltberühmten Komponisten, der in Buenos Aires auf die Suche nach den Ursprüngen des Tangos gehen wollte. Max wird die beiden dort durch die ärmsten Viertel, die übelsten Spelunken führen und es werden Tage und Nächte sein, die sein Leben verändern.
Der Roman benötigt nur dreizehn Seiten Text bis zu diesem Moment des Wiedererkennens. Und von nun an werden verschiedene Zeitschienen ineinandergreifen, werden wir Max‘ Erinnerungen weit zurück folgen, werden wir nach und nach von der Tragik einer großen Liebe erfahren. Einer Liebe, für die es nie den richtigen Zeitpunkt gab, niemals geben konnte. Max war Mecha nur zwei Mal begegnet – das erste Mal 1928 auf jenem Überseedampfer und das zweite Mal neun Jahre später in Nizza, wo er faschistische Agenten gegen sich aufbrachte – doch diese beiden Begegnungen prägten sein ganzes Leben. Ein Leben, das mal glänzend war und manchmal hoffnungslos; ein Leben, das ihn wurzel- und heimatlos um die Welt getrieben hat, ein Spielball der Launen des Schicksals und der Geschichte. Und diese beiden Begegnungen prägten auch Mechas Leben, aber das weiß er zu diesem Zeitpunkt noch nicht, als er sie zufällig in Sorrent sieht. Das dritte Mal.
Die Erinnerungen an die ersten beiden Begegnungen sind der eine Handlungsfaden des Romans. Parallel dazu geht es um ein Schachturnier, das in Sorrent stattfinden soll und das der Grund für Mechas Aufenthalt dort ist. Denn der junge Mann in Mechas Begleitung ist Jorge Keller, ein Schachgenie. Und ihr Sohn. Er tritt an gegen den russischen Schachgroßmeister Sokolow. Und da wir uns im Jahr 1966 befinden, inmitten des Kalten Krieges zwischen West und Ost, ist dieses Turnier weltanschaulich aufgeladen, wird besonders von sowjetischer Seite zu einem Kampf der Ideologien hochstilisiert. Der KGB ist vor Ort, um im Hintergrund mit allen Mitteln für einen Sieg zu sorgen.
Max kann es noch nicht ahnen, aber dieses Schachturnier wird seinem Leben eine weitere, vollkommen unerwartete Wendung geben, wird ihn noch einmal zu alter Form auflaufen lassen; ein letztes Mal, dem Schicksal zum Trotz. Alles beginnt mit dem zufälligen Blick auf die beiden flanierenden Frauen in Begleitung des jungen Mannes. Und nicht lange danach treffen sie dann tatsächlich aufeinander, Max und Mecha. Zwei Menschen, die sich kaum kennen, aber alles voneinander wissen. Dabei gerät das unerwartete Wiedersehen nicht zu einem kitschigen Sich-in-die-Arme-fallen. Natürlich nicht. Die beiden sind sich fast drei Jahrzehnte lang nicht mehr begegnet, sie tasten einander vorsichtig ab, die Deckung bleibt oben, keiner möchte sich eine Blöße geben. Doch in der Unfähigkeit, über ihre Gefühle und Verletzungen zu reden schwingt gleichzeitig eine Vertrautheit mit, die nicht in Worte zu fassen ist. Es ist eine Rückkehr in die »Welt, wie wir sie damals erlebt haben.«
»Dreimal im Leben« bettet die klassische Geschichte zweier Liebender, die nicht zueinander finden können, in verschiedene Epochen des 20. Jahrhunderts ein: Die Reise führt durch die glitzernde Zeit der Zwanziger, durch die Jahre des Faschismus bis hinein in die Weltordnung des Kalten Kriegs, der hinter den Kulissen so kalt nicht war. In ihren jungen Jahren lebten Max und Mecha in einer alten Welt, einer Welt der Grand Hotels, einer Welt des Glanzes und des Elends, einer Welt des Aufbruchs und des vollkommenen Niedergangs, einer Welt, die schon längst verschwunden ist, als sie sich in Sorrent wiedertreffen.
Und Arturo Pérez-Reverte erzählt davon in einer so unnachahmlichen Weise, das man nicht aufhören möchte, die Schwermut des Textes in sich aufzusaugen. Eine kämpferische Schwermut, die sich anstemmt gegen jenes sanfte, aber gnadenlos unaufhaltsame Vergehen der Zeit.
»Jede Epoche hat ihre Zeit«, erwidert er zurückhaltend. »Und ihre Menschen. Meine ist schon lange vorbei und ich hasse es, wenn sich ein Ende hinauszögert. Das verdirbt die Sitten.«
Buchinformation
Arturo Pérez-Reverte, Dreimal im Leben
Aus dem Spanischen von Petra Zickmann
Insel Verlag
ISBN 978-3-458-17580-3
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