Vom Verlag zur Marke

Carl Heymanns Verlag

Anfang November 2015 war ich zu einem Verlagsempfang im Kölner Gürzenich eingeladen. Der Gürzenich ist der zentrale Festsaal der Stadt – und zu feiern gab es etwas Besonderes: Der Carl Heymanns Verlag – einer der renommierten juristischen Fachverlage in Deutschland – wurde 200 Jahre alt. Veranstalter war der Medienkonzern Wolters Kluwer Deutschland, zu dem der Verlag gehört und es wurden alle Register gezogen. Verlegerprominenz der juristischen Verlagsszene, viele Autoren des Verlages, hochkarätige Gäste aus Justiz, Wissenschaft und Wirtschaft, alle waren da. Ein Höhepunkt der Veranstaltung war die Festrede des früheren Verfassungsrichters Udo di Fabio, in der es ihm gelang, in einer halben Stunde einen brillanten Überblick über die rechtsgeschichtlichen und rechtsphilosophischen Entwicklungen vom Wiener Kongress bis in unsere Zeit zu geben. Inklusive dringender politischer Handlungsempfehlungen. Es war ein absolut gelungener Abend, perfekt organisiert bis in die kleinsten Details. Ein wenig vermisst habe ich eigentlich nur einen: Den Jubilar.

Denn seit 2006 gibt es den Carl Heymanns Verlag nicht mehr als eigenständiges Unternehmen, sondern als »eine Marke von Wolters Kluwer«, so die offizielle Bezeichnung. Das bringt mich zu der Überlegung, was eigentlich einen Verlag ausmacht. 

Aufgrund des besonderen Anlasses sei ein kurzer Rückblick auf 200 Jahre Verlagsgeschichte gestattet. 1815 in Schlesien gegründet und 1835 nach Berlin übergesiedelt, war der Carl Heymanns Verlag zu Beginn des 20. Jahrhunderts der maßgebliche Anbieter juristischer Fachmedien im Kaiserreich. Es war die Blütezeit des Unternehmens, das damals schon beinahe staatstragenden Charakter hatte. Angesiedelt in der Berliner Mauerstraße 43/44 – mitten zwischen den Ministerien – erschienen Dutzende Zeitschriften und sämtliche maßgeblichen Gesesetzeskommentare der damaligen Zeit in diesem Verlag; so etwa 1896 die erste BGB-Kommentierung überhaupt. Die Bedeutung des Unternehmens war deutlich sichtbar in dem prächtigen, fünfstöckigen Gründerzeit-Verlagsgebäude, das auch – wie damals üblich – die hauseigene Druckerei beheimatete.

Nach Erstem Weltkrieg, Weimarer Republik und Wirtschaftskrise folgten die Jahre des »Dritten Reiches«. Die Rolle des Verlags in dieser Zeit ist schwierig zu rekonstruieren, da die meisten Unterlagen während des Krieges verloren gingen. Nach 1945 wurde das Verhalten des Verlags gerne als gesinnungsneutral oder zumindest nur halbherzig loyal gegenüber den nationalsozialistischen Machthabern bezeichnet. Aber ob das so stimmt? Auf einem Heymanns-Buchprospekt aus dem Jahr 1934, den ich einmal bei einem Antiquar gefunden habe, wird die Schriftenreihe »Das Recht der nationalen Revolution« beworben, die laut Werbeaussage »wertvolle Steine für den verfassungsrechtlichen Aufbau des neuen Staates« darstellen sollte. Die Bände der Reihe trugen Titel wie »Der Faschismus und seine Staatsidee«, »Berlin wird deutsch« oder »Die Revolution Adolf Hitlers«. Insgesamt wäre eine Gesamtübersicht, welche Rolle juristische Fachverlage im »Dritten Reich« gespielt haben, sicherlich ein hochinteressantes Forschungsthema.

Ich schweife ab, aber der Schluss ist schnell erzählt. Während des Zweiten Weltkriegs wurde der Verlag komplett zerstört, das Verlagsarchiv vernichtet. Es folgte 1953 die Umsiedlung nach Köln, um weiterhin in Regierungsnähe agieren zu können. Doch die führende Rolle musste der Carl Heymanns Verlag an den Verlag C.H.Beck abgeben, der in Deutschland zum absoluten Marktführer im Bereich juristischer Fachpublikationen wurde – und dies bis heute geblieben ist.

2001 habe ich den Carl Heymanns Verlag kennengelernt; in diesem Jahr hatte ich mein Studium beendet und dort eine Stelle als Marketingassistent gefunden. Angetroffen habe ich ein mittelständisches Unternehmen mit einem angenehmen Arbeitsklima, aber auch mit einer bürokratisierten Organisationsstruktur und einem gewissen Innovationsstau. Es war zu dieser Zeit ein Verlag, der vor allem von seiner Substanz lebte; von einigen, am Markt immens angesehenen Werken. 2004 kam es zu einem dramatischen Umbruch, als der Verleger im Alter von 53 Jahren an einem Herzinfarkt starb. Daraufhin entschloss sich die Eigentümerfamilie zum Verkauf des Verlags an Wolters Kluwer Deutschland – ein wahrscheinlich unumgänglicher Schritt vor dem Hintergrund der Digitalisierung, die zu dieser Zeit Fachverlage schon mit großer Wucht zu treffen begann. Ich erlebte noch den Wandel eines familiengeführten Unternehmens zu einem Konzernverlag mit, bevor ich mich 2009 beruflich neu orientierte.

Was macht einen Verlag aus?

Damit spannt sich der Bogen zur eingangs gestellten Frage. Das Herz eines jeden Verlags ist die Persönlichkeit des Verlegers oder der Verlegerin, einer Persönlichkeit, die das Programm prägt, die das Gesicht nach außen ist. Dazu ein engagiertes Team, Menschen, die nicht nur ihren Job machen, sondern stolz darauf sind, in einer Branche zu arbeiten, in der es eben nicht nur um Produkte, sondern auch um Inhalte geht. Inhalte, die einen Leser weiterbringen können, persönlich oder fachlich. Die sich mit »ihrem« Verlag identifizieren. Dies schließt die Zugehörigkeit zu einem Medienkonzern in keinster Weise aus, wie etwa die eigenständig agierenden Holtzbrinck-Verlage Rowohlt, Kiepenheuer & Witsch oder S. Fischer bzw. die Bonnier-Verlage Piper oder Carlsen eindrucksvoll zeigen. Auch beim Riesen Random House gibt es Verleger-Persönlichkeiten und Verlagsteams, die ein Verlagsprogramm prägen, man denke nur an die wunderbaren Manesse-Bücher.

Das alles trifft auf den heutigen Carl Heymanns Verlag nicht in vollem Maße zu, auch wenn der Name nach wie vor hochangesehen ist. Wolters Kluwer führt die zugehörigen Verlage nicht als eigenständige Unternehmensteile weiter, sondern versucht möglichst viele Funktionen und Ressourcen zu optimieren. Es ist eine andere Konzernstrategie, bei der die Bezeichnung der Verlage als »eine Marke von« nur folgerichtig ist. Sie werden eher als Profitcenter betrachtet, deren Inhalte bei Bedarf auch anderen Marken zugeordnet werden können. Programmteile werden mit passenden Bereichen zusammengelegt, andere werden weiterverkauft – wie etwa die Heymanns- und Luchterhand-Studienliteratur, die an den Beck-Verlag ging. Diese Strategie ist unter rein betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten nachvollziehbar, wenn auch dabei die Gefahr besteht, dass die Identität eines Verlags darunter leiden kann.

Im Zuge der Umstrukturierungen wurde das Carl Heymanns-Verlagsarchiv – mit Werken, die weit bis ins 19. Jahrhundert zurückreichten – verkauft, es gab keinen Verwendungszweck mehr dafür. Das ist für mich ein bisschen so, als wäre damit auch die Seele des Verlags verloren gegangen. Auch das Heymanns-Logo findet heute nur noch in Ausnahmefällen Verwendung.

Aber natürlich ist es richtig und wichtig ein 200jähriges Jubiläum zu feiern. Schon als eine Würdigung der Vision eines Verlegers, der vor zwei Jahrhunderten sein Unternehmen gründete. Doch ich stehe etwas ratlos vor dem Jubilar und überlege, was von diesem nach dieser Zeit und all den Umbrüchen noch existiert. Die Hülle vielleicht und der Name; unter diesem Namen erscheint nach wie vor wichtige und hoch geschätzte Fachliteratur; er wird noch über viele Jahre existieren. Als Marke unter dem Dach eines weltweit agierenden Medienhauses.

2 Antworten auf „Vom Verlag zur Marke“

  1. Hallo Uwe,

    die Frage nach dem, was ein Verlag ausmacht, hängt für mich sehr eng mit der Sichtweise zusammen, die man selbst einnimmt. Für mich persönlich ist die Antwort sehr einfach. Ein Verlag veröffentlich Bücher und ähnlich einem Künstler erwarte ich als Leser, dass mich diese Bücher aus diesem Verlag meine Erwartungen erfüllen. Wird nun das komplette Verlagsteam ausgetauscht und die Bücher erfüllen weiterhin meine Erwartungen, dann ist alles in Ordnung. Bleibt aber beispielsweise das Team gleich und ich bin von den Büchern enttäuscht, dann ist der Laden weg vom Fenster, egal wer dahinter steht. Anders sieht es wohl aus, wenn man einen weitgefassteren Blick hat und einen Verlag aus der Sicht eines Investors oder Arbeitnehmer sieht, oder die gesamte, kulturelle Entwicklung unserer Gesellschaft im Blick hat.

    Aber ich verstehe deinen Standpunkt. Wenn man sehr viel Gefallen an dem fein ausgewählten Programm und der handverlesenen Qualität eines Verlages gefunden hat, dann ist das einfach traurig, wenn ein Verlag seine Ausrichtung ändert oder seinen Fokus verliert. So geht es mir mit dem Mare Verlag, der einfach komplett meinen Nerv trifft und hoffentlich immer auf der Spur bleibt, auf der er jetzt ist. Die machen einfach alles richtig und wenn sich das nun aufgrund betriebswirtschaftlicher Gründe ändern würde, dann wäre das einfach nur schade (was, soweit ich weiß, beim Mare Verlag glücklicherweise nicht der Fall ist).

    Lustig finde ich, dass du bei Random House sofort an Manesse denkst, was auch mein erster Gedanke ist ;)

    Liebe Grüße
    Tobi

    1. Hallo Tobi,

      da stimme ich Dir absolut zu: Den Leser interessiert es wenn überhaupt nur am Rande, welchen Personen in welchem Verlag er seine Bücher verdankt. Solange das Endprodukt stimmt, sind ihm die innerbetrieblichen Abläufe egal. Ich glaube aber, dass es motivierter Mitarbeiter bedarf, um ein gutes Produkt zu erstellen; Menschen, die sich mit ihrem Verlag identifizieren. Denn natürlich funktioniert auch ein Verlag nur, wenn die betriebswirtschaftlichen Kennzahlen stimmen – aber mehr als in jeder anderen Branche geht es eben nicht nur um Zahlen, sondern auch um Herzblut. Oder anders gesagt, ich brauche den Bestseller, um auch das Lyrikbändchen produzieren zu können. Mischkalkulation eben.
      Hoffen wir, dass es immer Verlage geben wird, in denen auch diese Lyrikbändchen erscheinen.

      Viele Grüße
      Uwe

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