Leben um des Lebens willen

Guillermo Arriaga: Das Feuer retten

Der Roman »Das Feuer retten« von Guillermo Arriaga liegt neben mir, gerade habe ich ihn beendet und schaue auf das ziegelsteingroße Buch. Aus den achthundert Seiten scheint Qualm aufzusteigen, so als verströmen sie nach der Lektüre noch eine Mischung aus Testosteron, Adrenalin und Pulverdampf. Was habe ich da gelesen? Die Geschichte einer leidenschaftlichen Liebe. Die Geschichte einer Selbstzerstörung. Die Geschichte einer kaputten Gesellschaft. Die Geschichte eines zerrissenen Landes, geprägt von Gewalt und Ungerechtigkeit. Die Geschichte zweier Menschen, deren Anziehungskraft füreinander sie alle Normen vergessen lässt – mit dramatischen Folgen. Und lebensgefährlichen Konsequenzen. 

Der Autor hat dem Buch zwei Sätze des französischen Regisseurs und Autors Jean Cocteau vorangestellt: »Wenn das Feuer mein Haus niederbrennt, was würde ich retten? Ich würde das Feuer retten.« Dieses titelgebende Zitat ist eine Kampfansage an die Mittelmäßigkeit, in der es sich die meisten von uns bequem eingerichtet haben. Doch wehe, wenn die Mauer, die unser bequemes Leben umgibt und die das Gefühlschaos und die brennende Leidenschaft aussperrt, auch nur einen hauchdünnen Riss bekommt. Dann bricht die eigene, kleine Welt auseinander. „Leben um des Lebens willen“ weiterlesen

Zur anderen Seite der Welt

Antonin Varenne: Aequator

Im Roman »Äquator« erzählt Antonin Varenne die Geschichte eines Mannes auf der Flucht vor sich selbst: Pete Ferguson ist ein Getriebener, ein steckbrieflich Gesuchter, der sich im Nebraska des Jahres 1871 auf den Weg in Richtung Äquator macht. Denn dort im tropischen Nirgendwo, so glaubt er, wird er sein Leben neu beginnen können. Varenne hat bereits mit »Die sieben Leben des Arthur Bowman« den Abenteuerroman stilistisch in unsere Zeit geholt. Mit »Äquator« gelingt ihm dies erneut. „Zur anderen Seite der Welt“ weiterlesen

Überleben, irgendwie

Jeanine Cummins: American Dirt

An einem frühen Sonntagnachmittag habe ich den Roman »American Dirt« von Jeanine Cummins zu Ende gelesen. Danach konnte ich mit dem Rest des Tages nichts mehr anfangen, musste mich bewegen und sehr lange durch die Straßen meines Stadtteils laufen. Die Gedanken kreisten pausenlos um das Gelesene. Dabei war ich lediglich auf der Suche nach etwas nervenkitzelnder Unterhaltung, als ich »American Dirt« in der Buchhandlung liegen sah. Gutes Cover, neugierig machender Klappentext – das Versprechen für ein, zwei spannende Lesetage. Und dann bin ich in eine Geschichte hineingestolpert, die mich gepackt, zutiefst berührt und nicht mehr losgelassen hat. Für mich war das Buch ein absoluter Zufallsfund; vielleicht hätte ich es anders gelesen, wenn mir bewusst gewesen wäre, welch erbitterte Debatte durch diesen Roman in den USA losgetreten wurde. Aber die Nachrichten darüber sind komplett an mir vorbeigegangen. Mehr dazu am Ende des Beitrags. „Überleben, irgendwie“ weiterlesen

Zum Wolf werden

Guillermo Arriaga: Der Wilde

Wie anfangen? Diese Frage stelle ich mir oft zu Beginn einer Buchvorstellung, doch selten war ich so unschlüssig wie diesmal. Denn es geht um ein Buch, in dem zwei vollkommen unterschiedliche Handlungsstränge gekonnt zusammengeführt werden; das alles auf drei, vier Zeitebenen. An der Oberfläche ist der Roman »Der Wilde« von Guillermo Arriaga die Geschichte einer Rache. Doch dies in einer Vielschichtigkeit, die weit darüber hinaus geht.

Im Zentrum der Handlung steht das Kleine-Leute-Viertel Unidad Modelo in Mexiko-City, in dem der Ich-Erzähler Juan Guillermo und sein Bruder Carlos aufwachsen. Das Leben findet zu großen Teilen auf den flachen Dächern der Häuser statt, die »Landschaft aus Wassertanks, Wäscheleinen und Fernsehantennen« ist ein Ort, an dem sich besonders die jungen Menschen treffen. Es gibt Wege von Dach zu Dach, die schmalen Gassen müssen übersprungen werden. Der Grund für diese Rückzugsgebiete ist die politische Situation: Es ist das Jahr 1969 und die konservative mexikanische Regierung mit ihrer Kommunisten-Paranoia geht rigoros gegen jeden vor, der nicht in das offizielle Weltbild passt; lange Haare bei einem Mann reichen, um von den patrouillierenden Polizisten zusammengeschlagen zu werden. Ein Jahr zuvor endete eine Studenten-Demonstration im Kreuzfeuer des mexikanischen Militärs. „Zum Wolf werden“ weiterlesen

Hommage an B. Traven

Torsten Seifert: Wer ist B. Traven?

Der Roman »Wer ist B. Traven?« von Torsten Seifert ist in zweifacher Hinsicht ein besonderes Buch. Zum einen bringt uns der Roman den Mythos B. Traven auf eine sehr spannende und unterhaltsame Weise näher, schickt uns auf eine Spurensuche und legt dabei eine Menge falscher Fährten. Und zum anderen wegen des Aufklebers, der auf der Schutzfolie klebt und der stolz verkündet »Blogbuster – Preis der Literaturblogger«. Denn »Wer ist B. Traven?« ist der Siegertitel des Blogbuster-Wettbewerbs 2017. Fünfzehn unterschiedliche Blogs wählten aus 252 eingereichten Manuskripten je eines aus, die hochkarätig besetzte Jury kürte daraus den Gewinner, der als Preis einen Buchvertrag bei Klett-Cotta/Tropen erhielt. Und jetzt liegt dieses Buch zur großen Freude aller Beteiligten in den Buchhandlungen.

Aber wer ist nun B. Traven, der große Unbekannte der Literaturgeschichte? „Hommage an B. Traven“ weiterlesen

Chilenisches Versteckspiel

Roberto Ampuero: Der Fall Neruda

Das Buch »Der Fall Neruda« von Roberto Ampuero war ein Zufallstreffer. Mir hat das Buchcover gefallen, das Buch fühlte sich irgendwie gut an und da habe ich es gekauft. Bei solchen Spontankäufen bin ich auch schon enttäuscht worden, aber diesmal wurde ich mit einer spannenden Geschichte und der Entdeckung eins bis dahin mir unbekannten Autors belohnt. „Chilenisches Versteckspiel“ weiterlesen