Ungläubiges Staunen

Berlin Heartbeats

Es war auf der Leipziger Buchmesse 2015, als ich zum ersten Mal viele meiner Bloggerkollegen im echten Leben getroffen habe. Als Tobias Nazemi vom Blog buchrevier hörte, dass ich in Köln lebe, meinte er »Echt? Ich hätte dich eher in Berlin verortet.« Meine spontane Antwort: »Ich mich auch.« Und genau so ist ist es. Berlin ist die Stadtliebe meines Lebens – obwohl oder vielleicht gerade weil der Kontakt zu dieser Stadt über all die Jahrzehnte nie ein dauerhafter war. Aber die dort verbrachten Wochen und Monate während der Neunziger gehören zu meinen prägendsten Erinnerungen.

Deshalb konnte ich an dem Buch »Berlin Heartbeats« auf keinen Fall vorbeigehen. Darin sind Texte und Bilder versammelt, die Geschichten aus jenem Berlin der Neunzigerjahre erzählen; Geschichten aus einer Zeit des Umbruchs, als alles offen und möglich schien, als Berlin ein einziges großes Experimentierfeld der urbanen Moderne war. Eine Zeit, in der ich diese Stadt während unzähliger, teils mehrmonatiger Besuche kennen- und liebengelernt habe. Sich durch Berlin treiben zu lassen hatte für mich in dieser Zeit stets etwas Inspirierendes, etwas Belebendes, aber auch etwas vage Vertrautes – vielleicht sind es die Gene meiner Familie; meine Großmutter verbrachte die gesamten Zwanzigerjahre in dieser Stadt. Und auch wenn ich heute dort aus dem Zug steige, fühle ich mich auf eine unbestimmte Art und Weise zuhause.

Aber es soll ja eigentlich um das Buch gehen. „Ungläubiges Staunen“ weiterlesen

Vorwärts immer, rückwärts nimmer

Peter Richter: 89/90

Die beiden Jahre 1989 und 1990 waren entscheidend. Entscheidend für die Geschichte unseres Landes, unseres Kontinents und letztendlich für die Welt, wie wir sie heute kennen. Und für mich ganz persönlich ebenfalls. 1989 wurde ich Halbwaise, die Schulzeit endete, der Zivildienst begann, die heimelige süddeutsche Kleinstadt, in der ich aufgewachsen war, blieb hinter mir zurück. Und dann fiel auch noch die Mauer und plötzlich wurde alles anders. Auch im Westen. Auch hier verlief das Leben danach nicht so wie geplant. Wobei ich eigentlich noch gar nichts geplant hatte. Aber plötzlich wurde der Zivildienst drastisch verkürzt, was unvorhergesehene Ereignisse mit sich brachte und ein paar Jahre später verschlug es mich zum Studium nach Leipzig – was noch während meiner Schulzeit nicht nur undenkbar, sondern schlicht und ergreifend unmöglich gewesen wäre. Aber eigentlich möchte ich gar nicht über mich reden, sondern über das Buch »89/90« von Peter Richter. Ein bisschen verschmilzt das aber miteinander. „Vorwärts immer, rückwärts nimmer“ weiterlesen

Leipziger Träumerei

Clemens Meyer: Als wir traeumten

Als sich 1990 die DDR einfach in Luft auflöste, blieben als Vermächtnis des real existierenden Sozialismus ganze Ruinenfelder einst prächtiger Städte und zahllose Menschen mit ungewissen Zukunftsaussichten zurück. An manchen Orten, wie etwa in den Leipziger Stadtteilen Volkmarsdorf, Reudnitz oder Stötteritz sah es aus wie kurz nach dem Krieg: Zerbröselnde Hausfassaden, Risse in den Wänden, kaputte Straßen, alles Grau in Grau und darüber der Geruch der Braunkohleöfen, mit denen ein Großteil der Leipziger Wohnungen geheizt wurde. Dazu das Rattern der 40 Jahre alten Straßenbahnen aus tschechischer Produktion, die damals für den gesamten Ostblock gefertigt worden waren. Das 2006 erschienene Buch »Als wir träumten« von Clemens Meyer ist die Geschichte von vier Freunden, die im Leipzig der Nachwendezeit als junge Erwachsene genau dort zu Hause sind. „Leipziger Träumerei“ weiterlesen

Wie ich Herrn Lehmann traf

Sven Regener: Herr Lehmann | Kaffeehaussitzer

DAS Lieblingsbuch gibt es nicht. Aber »Herr Lehmann« von Sven Regener kommt dem schon sehr nahe. Alles fing damit an, als ich im Frühjahr 2001 Post bekam. Es war ein Bücherpäckchen von einer Freundin, die zu diesem Zeitpunkt gerade beim Eichborn-Verlag arbeitete. Darin war ein Leseexemplar von »Herr Lehmann« und ein Kärtchen, auf dem stand, das mir dieses Buch bestimmt gefallen würde. Das Problem: Im Frühjahr 2001 und besonders gerade zu dem Zeitpunkt, als mir dieses Buch in den Schoß fiel, war ich mitten in der heißen Phase meiner Diplomarbeit und hatte eigentlich absolut gar keine Zeit zum Lesen. „Wie ich Herrn Lehmann traf“ weiterlesen