Das Hotel des Cousins 2.0

Marc Elsberg: Zero

Facebook? Apple? Google? Amazon? WhatsApp? Alles Schnee von gestern. Der Datensammler der Zukunft heißt Freemee. Zumindest im Roman »Zero« von Marc Elsberg. Das Geschäftsmodell ist perfide genial: Jeder Nutzer von Freemee sammelt in seinem Account so viele persönliche Daten wie möglich. Alle Daten, vom Kontostand bis zum Blutdruck. Wenn er möchte, kann er sie dann an Freemee zur weiteren Nutzung verkaufen, ganz nach dem Motto »Meine Daten gehören mir«. Das klingt erst einmal recht plausibel, denn bisher wurden die Daten der Internetnutzer zu Geld gemacht, ohne dass sie davon etwas hatten. Aber es ist natürlich Unsinn. »In dieser vernetzten Welt ist Kontrolle über dein Leben eine Illusion! Willst du die Vorzüge der modernen Zivilisation genießen, kannst du das nicht ohne die andere Seite der Münze Denn Freemee geht noch einen Schritt weiter, es gibt eine Art globale Benchmark-Liste, in der über so viele Menschen wie möglich die frei zugänglichen Daten gesammelt und bewertet werden. Ein besserer Wert bedeutet, dass die persönlichen Daten auf dem Werbemarkt mehr Geld bringen. Schnell ist man als Freemeenutzer dabei, seine Werte verbessern zu wollen und Freemee bietet dazu Hilfe in Form von ActApps an, die das eigene Verhalten optimieren sollen. Bezahlt werden diese ActApps mit – eigenen Daten. Dabei geht es um Hilfe für alle Bereiche des Lebens, von besseren Schulnoten über Erfolg im Job bis hin zum Finden des Traumpartners mit der perfekten ActApp-Flirthilfe. Tragen die Nutzer SmartWatches oder SmartGlasses wird die Kontrolle perfekt. Aber was passiert, wenn Freemee bewusst mit den Nutzern spielt, versucht ihr Verhalten zu manipulieren, indem durch Wertsteigerungs-Anreize ihre Persönlichkeit verändert und nach Freemees Gutdünken geformt wird? Und das Experiment dann aus dem Ruder läuft?

Doch eigentlich beginnt der Roman mit einem politischen Eklat. Der titelgebenden Hackergruppe »Zero« gelingt es, winzige Drohnen mit kleinen Kameras auf den Präsidenten loszulassen. Nicht auf irgendeinen Präsidenten, sondern auf den bestgesichertsten Menschen der Welt, den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Sein entsetztes und wütendes Gesicht wird von den Drohnenkameras eingefangen und ist umgehend auf der ganzen Welt online zu sehen. Der Secret Service ist blamiert und die Jagd auf Zero beginnt.

Mit dabei ist auch »Daily«, eine Londoner Zeitung, die gerade auf Biegen und Brechen für das digitale Zeitalter zurechtgetrimmt wird. Die Reporterin Cynthia Bonsant wird mit einem kleinen Team nach der Drohnenattacke ebenfalls auf Zero angesetzt – um die Hacker zu interviewen, bevor die internationalen Geheimdienste sie finden. Cynthia ist alleinerziehende Mutter und analoger Mensch durch und durch – der Online-Welt ihrer Tochter, einer begeisterten Freemee-Nutzerin, steht sie hilf- und ahnungslos gegenüber. Als sie sich trotzdem überreden lässt, ebenfalls ein Freemee-Konto anzulegen, merkt sie schnell, wie schwer es ist, sich dem Sog der ActApp-Hilfen zu entziehen.

Inzwischen versucht Zero mit neuen Aktionen, die manipulativen Spielchen des Freemee-Konzerns aufzudecken, worauf dessen Vorstandsvorsitzender den hauseigenen Sicherheitsdienst auf Zero ansetzt. Gleichzeitig wecken die Möglichkeiten von Freemee Begehrlichkeiten bei gewissen staatlichen Stellen. Und die Jagd beginnt. Um es kurz zusammenzufassen: Die CIA jagt Zero. Freemee jagt Zero. Das Daily-Team jagt Zero. Freemee hat die Möglichkeit, Daten zu manipulieren, weshalb die NSA die Kontrolle über Zero will. Als Cynthia durch ihre Nachforschungen eine Ahnung von den Machenschaften Freemees erhält, geraten sie und ihre Tochter Viola zwischen alle Fronten. Dann geht es nicht mehr um die Wahrheit, sondern um ihr Leben.

Eine spannende Geschichte, wobei ich ein bisschen über die Ausgestaltung der handelnden Charaktere gestolpert bin. Sie wirken auf mich etwas holzschnittartig dargestellt und bleiben dadurch seltsam unpersönlich. In seinem Erstling »Blackout« hatte der Autor gezeigt, dass er es eigentlich besser kann.

Aber.

Aber letztendlich ist die Beschreibung der Protagonisten eigentlich Nebensache. Im Mittelpunkt steht die Technik. Denn was dieses Buch absolut lesenswert macht ist die Tatsache, dass es kein Sciencefiction-Roman ist, auch wenn es manchmal so klingt. Nein, die Handlung spielt heute, im Jahr 2014. Sämtliche geschilderten technischen Möglichkeiten gibt es schon, auch wenn sie noch nicht alle so flächendeckend eingesetzt werden. Wir hinterlassen unaufhörlich Spuren im Netz, die gesammelt, ausgewertet und zusammengefügt werden können. Algorithmen kontrollieren unser Verhalten – das beginnt schon bei jeder Google-Suche, deren Ergebnisse individuell aus den früheren Sucheingaben errechnet werden.  Facebook experimentiert ohne Einwilligung mit hunderttausenden seiner Nutzer, um deren Stimmung zu steuern. Natürlich interessiert sich der Staat für unsere Daten – und dabei müssen wir gar nicht erst über den Atlantik schauen. Und auch der Personal-Data-Marketplace ist gerade im Entstehen begriffen. »Letztendlich sind den meisten Menschen Bequemlichkeit und Sicherheit wichtiger als Freiheit und Unabhängigkeit. Damit wissen sie ohnehin nichts anzufangen.« Ein Schlüsselsatz aus »Zero«.

Alle diese Tatsachen machen dieses Buch beklemmend aktuell. Und es gibt noch viel, viel mehr Materialien dazu, die der Autor auf seiner Homepage zusammengestellt hat. Dort einmal vorbeizuschauen lohnt sich sehr. Den »Zero« ist ein Roman, eine erfundene Geschichte. Aber die Realität ist nur einen Mausklick entfernt.

Besonders gut gefallen hat mir ein Zitat über das Wesen des Internets, mit dem ich diese Buchvorstellung abschließen möchte:

»Wir reden nicht von Informationsfreiheit, sondern von Informationsfilterung. Nichts davon ist wirklich neutral. Warum auch? Das  Internet ist ja keine neue Welt, sondern einfach ein weiterer Teil unserer bisherigen. Da wird genauso getrickst und betrogen, verheimlicht, enthüllt und entblößt, manipuliert und intrigiert, verehrt und verhöhnt, gehasst und geliebt wie woanders auch. Bloß von viel mehr Menschen und viel schneller als früher. Einen Dienst im Internet in Anspruch nehmen ist, als würdest du in einer fremden Stadt einen Taxifahrer bitten, dich in ein gutes Hotel zu bringen. Im besten Fall tut er das. Im zweitbesten bringt er dich zu einem, das er für gut hält – nur leider hat er ganz andere Vorstellungen von gut als du. Und in den meisten Fällen bringt er dich in das Hotel seines Cousins.«

Dies ist ein Titel des aus einer Twitter-Idee entstandenen Leseprojekts Schöne neue, paranoide Welt.

Buchinformation
Marc Elsberg, Zero
Blanvalet Verlag
ISBN 978-3-7645-0492-2

#SupportYourLocalBookstore

4 Antworten auf „Das Hotel des Cousins 2.0“

  1. Hallo Uwe,
    herzlichen Dank nochmal für den Link-Verweis. „Zero“ ist nach „Blackout“ bestimmt ein Muss. Jetzt weiß ich womit ich meinem Mann eine weitere Freude bereiten kann.

  2. Mal wieder Danke für den Tipp. Habe gerade Blackout von ihm beendet und spüre bei jeder durchgebrannte Glühbirne noch immer das mulmige Gefühl, das dieser beeindruckende Roman hinterlässt. Zuvor hatte ich auch Drohnenland gelesen. Ebenfalls ziemlich mitreißend, toll recherchiert und weiter fantasiert, wobei ich dabei ebenfalls, wie offenbar hier in Zero, die Figuren recht stereotyp und holzschnittartig empfand. Das tat aber dem Thriller-Vergnügen keinen Abbruch.

    1. Vielen Dank! Ja, „Blackout“ fand ich auch sehr beunruhigend. Wenn man das Buch im Winter lesen würde, wäre es bestimmt noch drastischer… Die unmittelbare Bedrohung durch den Ausfall der Infrastruktur wirkt in „Blackout“ sehr bedrohlich – in „Zero“ ist die Bedrohung virtueller Natur, hat aber direkte Auswirkungen auf das reale Leben. Dem Autor ist es gelungen, genau dies sehr anschaulich darzustellen, mit direktem Bezug auf unsere moderne Welt. Da lassen sich stereotype Charakterdarstellungen durchaus verschmerzen…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert