Druckerschwärze und Digitalverlage

Leipzig: Museum fuer Druckkunst

Vier Jahre lang, von 1997 bis 2001, habe ich in Leipzig gelebt. Und obwohl diese Zeit inzwischen schon eine ganze Weile her ist, obwohl sich die Stadt seitdem sehr verändert hat, fühlt es sich auch heute jedes Mal wie Heimkommen an, wenn ich im riesigen Leipziger Hauptbahnhof aus dem Zug steige. Wie immer im März voller Vorfreude auf die trubeligen Tage der Buchmesse. »Manchmal gibt es so Orte, an denen alles irgendwie zusammenläuft. Für mich gehört Leipzig definitiv dazu. Immer wieder.« Das hatte ich vor einem Jahr in einem Buchmessebericht geschrieben, und auch dieses Jahr verknüpften sich die Eindrücke zu einem inspirierenden und bereichernden Erlebnis.

Das wird jetzt aber trotzdem kein Messerückblick, denn da gibt es bereits die lesenswerten Texte auf lustauflesen.de, glasperlenspiel13 oder buchrevier. Bei vielen der von meinen geschätzten Bloggerkollegen geschilderten Begebenheiten war ich mit dabei, so dass ich sie hier nicht ein weiteres Mal beschreiben, sondern stattdessen über eine Art Zeitreise berichten möchte, die ich am Messesamstag erlebt habe. Und die meine Wahrnehmung ein großes Stück verändert hat.

Geruch nach Papier, Druckerschwärze und Maschinenöl 

Der Buchmessesamstag also. Er begann nicht auf der Messe, sondern in der Nonnenstraße 38, genauer gesagt im Museum für Druckkunst. Am Vorabend war ich dort zu einem Empfang der Büchergilde Gutenberg eingeladen gewesen und konnte Weißwein zwischen alten, aber funktionstüchtigen und wunderschönen Druckmaschinen trinken. Die wollte ich mir noch einmal in Ruhe ansehen und so betrat ich am Samstagmorgen gegen zehn Uhr die Räume des Museums. Was dort zuerst auffällt, ist der herrliche Geruch. Eine Mischung aus Papier, Druckerschwärze, Maschinenöl und Reinigungsbenzin. Sofort fühlt man sich in die Vergangenheit versetzt, in eine Zeit, als Buchdruck ein Handwerksberuf war, die schwarze Kunst. Diese Zeit haben auch die Betreuer der Maschinen noch miterlebt, die sie mit Hingabe pflegen, denn die Druck- und Satzmaschinen sind alle – wie gesagt – voll funktionsfähig und werden regelmäßig für Kurse, Workshops, die Herstellung von Werbemitteln des Museums oder für kleinere Druckaufträge genutzt. Ein älterer Herr war gerade dabei, eine der Maschinen zu polieren, als ich mit ihm ins Gespräch kam. Mit leuchtenden Augen erklärte er mir technische Details, erläuterte den Druckprozess und führte mir als einzigem Besucher in der Halle zwei Maschinen vor: Eine Offset-Druckmaschine der Offizin Andersen Nexö aus dem Jahr 1964 und ein Schmuckstück aus dem Jahr 1886, das zu großen Teilen aus Holz bestand. Sehr, sehr beeindruckend.

Auch in den anderen Räumen gab es viel zu sehen, Bleisatz, Schriften, Handpressen, Druckvorstufen, Bilderdruck, Notendruck, Plakatdruck, Handbuchbinderei. Und jeweils die zugehörigen Maschinen aus verschiedenen Zeiten – alles so präsentiert, dass man das Gefühl hat, durch einen Druckbetrieb zu laufen, wie er einst ausgesehen haben mag. Nicht nur für bibliophile Menschen ein phantastisches Museum; einen Druckworkshop habe ich für den nächsten Leipzig-Besuch fest eingeplant. Wer noch mehr Photos von diesem wunderbaren Ort als die untenstehenden sehen möchte: Bitte hier entlang.

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Mit Herzblut für digitale Bücher

Epochenwechsel: Nur zwei Stunden nach diesem Museumsbesuch befand ich mich auf dem Messegelände in einer Gesprächsrunde zwischen Digitalverlegern und Literaturbloggern. Eine spannende Runde, in der es darum ging, wie diese beiden Gruppen stärker voneinander profitieren können. Und es war eine schöne Gelegenheit, Nikola Richter, Christiane Frohmann und Zoë Beck einmal persönlich kennenzulernen – die drei Personen, die wohl am häufigsten in der Branchenpresse genannt werden, wenn es um das Thema Digitalverlage geht. Wir sprachen über ihr Selbstverständnis als Verlegerinnen, über die Akzeptanz ihrer elektronischen Bücher in der öffentlichen Wahrnehmung, über Lesegewohnheiten und vieles mehr. Mit dabei waren Kathrin Blum, die mit den Rowohlt-eBooks neue Wege geht und Tea Herovic, die bei mojoreads an einem sozialen Netzwerk für Literatur arbeitet. Und die Blogger Jochen Kienbaum, Tilman Winterling, Sophie Weigand, Ilja Regier, Tobias Nazemi, Tania Folaji und Katharina Herrmann.

Es war faszinierend, denn noch hatte ich den Geruch der Druckerschwärze in der Nase und saß dabei Menschen gegenüber, die mit den gleichen leuchtenden Augen von ihren digitalen Büchern und Projekten sprachen, wie der Drucker vorhin über seine Maschinen. Und sie alle brannten für das, was sie tun, waren mit Herzblut bei der Sache. Das alles in ein und derselben Branche, bei der es letztendlich um Texte geht. Egal in welcher Form.

Nun habe ich nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich kein großer eBook-Leser bin, dazu ist mir das Buch als Gegenstand einfach viel zu wichtig. Gleichzeitig finde ich die leidige Diskussion Print versus Digital überflüssig und ermüdend, denn jeder kann schließlich lesen, was und wie er möchte. Aber durch diese Gesprächsrunde ist mir klar geworden, dass eBooks vor allem eines sein können: Eine Erweiterung des Lesehorizonts. Denn es geht nicht nur um einen bloßen Abklatsch gedruckter Texte als elektronische Version, sondern um Texte, die nur oder vor allem elektronisch funktionieren. Die es nur elektronisch gibt. Die sorgfältig editiert und layoutet sind, die etwas Eigenständiges darstellen.

Mit dem Geruch von Druckerschwärze in der Nase über digitale Bücher reden? Für mich war das kein Gegensatz, sondern eine Bereicherung. Und schaue ich zurück, auch eine Änderung der eigenen Wahrnehmung, die sich hier im Blog wiederspiegelt. Im November 2013 gab es auf Kaffeehaussitzer noch ein Loblied auf das gedruckte Buch. Im November 2015 wurde ich zum eBook-Mitautor beim Projekt »Tausend Tode schreiben«. Und jetzt, im März 2016 sitze ich ein einer Gesprächsrunde mit digitalen Buchmenschen und lasse mich von ihrer Begeisterung anstecken.

Nachtrag, drei Wochen später: Tilman Winterling hat – auch als Ergebnis dieser Gesprächsrunde –  in seinem Blog 54books unter dem Titel #einfachWeiterlesen Nr. 1 sehr anschauliche Beispiele zusammengestellt, um zu zeigen, was digitale Bücher leisten können.

Und zum Schluss: Ein neues Lieblingscafé

So war dieser Buchmessesamstag in Leipzig ein wahrer Parforceritt durch die Buchgeschichte. Seine Fortsetzung nahm er am späten Nachmittag in einem neu entdeckten Lieblingscafé, in der »Fleischerei«. Ein Café in einer ehemaligen, denkmalgeschützten Metzgerei, ein Gründerzeittraum vom Feinsten. Fliesen, Wanddekoration, hohe Räume – alles im Originalzustand wie vor einem Jahrhundert, bis auf die neu eingebaute Theke. Stilvoll, leicht morbide, mit sehr leckerem Kuchen und dem guten Julius-Meinl-Kaffee aus Wien. Wo könnte man einen so beeindruckenden Buchmessetag besser sacken lassen? Um dann gestärkt in das Abendprogramm zu starten, vor lauter Gesprächen bei hopfenhaltigen Getränken eine Veranstaltung zu verpassen, zu der man eigentlich unbedingt wollte, und um sich irgendwann zu wundern, wie denn die ganze Zeit so schnell vergehen konnte. Leipziger Buchmesse eben.

Schön war es und ich freue mich jetzt schon auf den März 2017.

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16 Antworten auf „Druckerschwärze und Digitalverlage“

  1. Lieber Uwe,

    erst seit ein paar Wochen kenne ich deine Seite. Manchmal rufe ich sie nur auf, um die Fotos anzuschauen.
    Ich glaube, dass du dazu beigetragen hast, dass ich den Weg zum e-Book gegangen bin. Den Weg kannte ich und auch einige Menschen aus meinem Bekanntenkreis, die schon vom Anfang an e-Books lesen. Aber irgendetwas hinderte mich, den letzten Schritt zu tun.
    Vor ein paar Tagen las ich deinen Bericht über die Lesetage in Berlin. Es ließ mir keine Ruhe. Am Ostermontag war es dann soweit: ich wollte nur schauen, ob die Bücher von Daniel Woodrell im App Store gab. Es gab sie zum halben Preis. Ich fing an,den Auszug zu lesen und konnte nicht aufhören. Am Ostersonntag kaufte ich meine ersten e-Books „Der Tod von Sweet Mister“ und „Asche“ von Sven Heuchert(du hast auch darüber geschrieben). Gestern war ich mit meinem ersten e-Book fertig und konnte nicht einschlafen, so sehr hat mich die Geschichte aufgewühlt.

    Aller Anfang ist schwer. Ich werde nie ausschließlich e-Books lesen, aber manche Bücher in digitaler Fassung für immer auf meinem iPad haben.
    Liebe Grüße
    Tanja

    1. Liebe Tanja,

      das ist ja schon fast ein bisschen die Ironie des Schicksals: Mit meinen Photos (schön, dass sie Dir gefallen) möchte ich insbesondere das haptische des gedruckten Buches betonen – und gebe Dir mit einer Besprechung den finalen Anstoß, E-Books zu lesen. Tja, so ist das Leben. Unberechenbar. Aber egal ob gedruckt oder elektronisch, Woodrells und Sven Heucherts Texte sind einfach phänomenal.
      Viel Spaß beim Lesen!

      Liebe Grüße

      Uwe

  2. Ich bin so einer der die Schätzchen noch bedienen kann.
    Wem es in Leipzig gefallen hat, oder mehr Richtung Belgien wohnt:
    Schaut euch das Plantin Moretus Museum in Antwerpen an.
    Eine Druckerei die es zum Weltkulturerbe gebracht hat.

  3. Ich habe, als Digitalverlegerin/ E-Book-Verlegerin, sogar auch ein Faible für Druckerschwärze und das Drucken, aber sie eignen sich eben für bestimmte Texte nicht unbedingt oder nicht als erste Wahl. Besonders, wenn es schnell gehen soll. Ich habe vor einigen Jahren in der historischen Druckerei im Kreuzberg-Museum eine Werkstatt für Berliner Lyriker organisiert – auch ein einfacher Besuch ist sehr zu empfehlen http://www.fhxb-museum.de/index.php?id=163#c214. Da musste einer etwa sein Gedicht umschreiben, weil in der ausgewählten Schrifttype nicht genug e’s vorhanden waren. Oder die Langzeilen passten nicht auf den Winkelhaken! Wir kamen schnell an Grenzen, die wir vom Tippen am Bildschirm gar nicht gewohnt waren. Und das Bildschirmschreiben hat sich ja mittlerweile fast überall durchgesetzt: Es beeinflusst also, wie Text entsteht, wie er bearbeitet und dann veröffentlicht wird. Mitunter eben auch digital first! Salut!

    1. Das habe ich inzwischen auch gelernt, es gibt Texte, die digital besser oder anders funktionieren – weshalb elektronisches Lesen einfach eine enorme Horizonterweiterung unseres Lesebewusstseins darstellen kann. Wird. Darstellt.

  4. Ich bin und bleibe wohl auf Dauer der analoge Lesetyp ;) Schon beeindruckend, wie man früher gedruckt hat. So eine Lynotype zum Beispiel hat was ganz eigenes …
    Eine schöne Verbindung, die Du geknüpft hast.

  5. Hallo, danke für diesen sehr einfühlsamen Messerückblick. Die gegensätzlichen Pole des Berichts fand ich eindrucksvoll und mit viel Herzblut geschrieben. Der Blick zurück ist gut, trotzdem müssen wir uns mit der Zukunft (und dort mit dem ebook) vertraut machen. Alles andere ist kontraprokuktiv. M.E. kann „Beides“ nebeneinander genutzt werden. Nochmals Danke für diesen Bericht.

  6. ein sehr besonderer Messerückblick. Ich habe noch nicht den Weg zum e-Book gefunden, aber vielleicht kommt es wirklich auf einen Versuch an. Vielen Dank für den Café-Tipp, da schaue ich mal vorbei. Ich habe ab 1997 während meines Studiums auch in Leipzig gewohnt, und ich vermisse die Stadt sehr. Ich fahre aber regelmäßig für ein Museums- oder Kinobesuch nach L.E., ist von mir nur einen Katzensprung entfernt. Viele Grüße

  7. Lieber Uwe,

    da hast du echt schöne Bilder im Gepäck und das Cafe sieht schon sehr genial aus. Da kann ich dich gut verstehen. Ich liebe auch so ganz urige Buzzen, die ganz original sind und dem schnellen Schritt der Zeit trotzen. Irgendwie erfüllen mich solche Ort mit einer ganz sonderbaren Romantik, die auch nicht echt ist, denn wirklich bessere Tage holen solche kleinen Oasen ja auch nicht zurück. Aber sie beleben ein geschöntes Bild davon und dafür bin ich auch immer sehr empfänglich.

    Dein Blick auf eBooks gefällt mir. Ich sehe das ganz ähnlich und bevorzuge einfach das gesamte Erlebnis eines gedruckten Buches, dem ich mich noch nie entziehen konnte. Gleichzeitig kann ich gut verstehen, wieso viele zum eBook greifen. Als IT Nerd würde ich mir immer beides wünschen. Das gedruckte Buch zum Lesen und die digitale Fassung auf einem eBookreader als Archiv zum immer dabei haben.

    Liebe Grüße
    Tobi

    1. Lieber Tobi,

      vielen Dank, schön, dass Dir die Bilder gefallen; ich weiß ja, was Du für einen besonderen Anspruch an die Photographie hast.
      Und ja, manche Orte sind etwas Besonderes. Es ist nicht so, dass da die Zeit stehen geblieben wäre, denn alleine die Umnutzung zu einem Café lässt sie ja weitergehen. Aber der Hauch der Vergangenheit ist überall spürbar. Und das mag ich an solchen Plätzen. Und Städten wie Leipzig.

      Viele Grüße

      Uwe

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