Berliner Kulturpanorama

Guenter de Bruyn: Als Poesie gut

Eine pulsierende Literatur- und Kunstszene. Eine junge Avantgarde, die gegen das Establishment aufbegehrt. Literarische Salons. Vordenker. Verquickungen von Kunst und Politik. Affären. Intrigen. Dramen. Wer kann mit wem. Und vor allem: Wer kann mit wem nicht. Dazu eine Stadt im architektonischem Wandel. Das ist Berlin.

Das war Berlin. Um genau zu sein: Das war das kulturelle Leben im Berlin um das Jahr 1800. Günter de Bruyn lässt diese spannende Zeit in seinem Buch »Als Poesie gut« wieder auferstehen. Das ausgehende 18. und das beginnende 19. Jahrhundert war eine Epoche voller Umbrüche, politisch, weltanschaulich und kulturell. Die französische Revolution löste eine Kette von Ereignissen aus, die das Gesicht des europäischen Kontinents nachhaltig verändern sollten. Das Zeitalter der Aufklärung ging zu Ende, die jungen Wilden unter den Schriftstellern und Künstlern lehnten sich gegen das Rationale auf und schufen im Rückblick auf Mythen und Sagen ihre eigenen Welten in Wort und Bild. Romantik war der Trend der Stunde. Die verspielte Architektur des Rokoko wich den klaren Linien des Klassizismus als Rückbesinnung auf die Ästhetik der Antike.

In Mitteleuropa war die preußische Hauptstadt Berlin eines der kulturellen Zentren dieser Umbrüche. Bei uns hat es sich eingebürgert, Preußen ausschließlich als ein Symbol des Militarismus zu sehen. Glücklicherweise setzte in den letzten Jahren ein Umdenken ein, das mit dieser etwas bornierten Sichtweise aufräumt. Sicher, von feindlichen Ländern umgeben definierte sich Preußen über sein Heer. Gleichzeitig war es aber ein Staat, der an Modernität andere europäische Länder oftmals weit hinter sich zurückließ. Und in dem sich ein außerordentlich facettenreiches Kulturleben abspielte, vor allem in Berlin.

Günter de Bruyn stellt in seinem Buch die Akteure dieses kulturellen Lebens in vielen Einzelporträts vor, es geht um den Zeitraum von 1786 bis 1807. Essayhafte Miniaturen führen uns Kapitel für Kapitel tiefer in die Berliner Kunstszene. Dabei wird es sehr persönlich, es geht nicht nur um Kultur, sondern vor allem um das Leben der geschilderten Personen. Es geht um Freundschaften, Liebe, gescheiterte Existenzen, Lebenskünstler, Genies, um Abenteuerlust und Wagnisse. Um Kunst und Kultur, Geld und Geschäft. Um Erfolg und Mißgunst, Klatsch und Tratsch. Und um Politik. Und Krieg. Bekannte Namen wie Kleist, Schadow, Madame de Staël, Schleiermacher, Rauch und viele andere begegnen uns. Aber wir erfahren auch die Hintergründe der Hochzeit von Henriette Herz oder warum E.T.A. Hoffmann seine Verlobung annullierte, lesen über die Lehrjahre von Karl Friedrich Schinkel bei Friedrich Gilly, über das unglückliche Leben des Karl Philipp Moritz oder über das Schicksal Sophie Tiecks, der Schwester des berühmten Ludwig Tieck. Es geht um moderne Schriftsteller, die von konservativen Verlegern boykottiert wurden. Buchhändler, die Ärger mit der politischen Zensur bekamen. Dann Napoleon, der Europa mit Krieg überzog, die Niederlage Preußens, die Flucht der Königsfamilie aus Berlin. Ein Wirbel aus Rauch, Zerstörung und gewaltsamer Umwälzung, die zahlreiche der vorgestellten Biographien veränderte und so manche beendete.

Das Buch gebührend zu beschreiben fällt mir schwer: Es sind so unzählige liebevoll und sorgfältig zusammengetragene Informationen, dass ich hier nicht einmal einen Bruchteil davon unterbringen kann, um deren Fülle gerecht zu werden. Die vorgestellten Einzelschicksale verknüpfen sich, so dass mit der Zeit ein lebendiges Bild dieser Zeit und dieser Berliner Kunstszene entsteht. Ich habe einige Wochen lang jeden Abend ein oder zwei der kurzen Kapitel gelesen und hatte mit der Zeit das Gefühl, von immer mehr Bekannten umgeben zu sein. Und das sich, was die menschliche Natur betrifft, seitdem eigentlich überhaupt nichts verändert hat. Irgendwie beruhigend.

Es gibt noch einen weiteren Band, eine Fortsetzung. »Die Zeit der schweren Not« behandelt die Jahre zwischen 1807 und 1815. Das Buch steht noch ungelesen im Regal, aber ich denke, ich sollte bald damit anfangen. Um endlich mal wieder bei meinen Bekannten vorbeizuschauen, sehen, wie es ihnen so ergangen ist. Ich freue mich schon.

Buchinformation
Günter de Bruyn, Als Poesie gut
Fischer Taschenbuch
ISBN 978-3-596-17488-1

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