Das Abschiedsbuch

Paul Auster: Baumgartner

Ein seltsamer Zufall, falls es so etwas gibt. Am 30. April 2024 stand ich spätabends vor dem Bücherregal und überlegte, was ich als nächstes lesen möchte. Es ist eines meiner liebsten Rituale, ich schaue die Buchrücken entlang, lese hier kurz hinein und dort, bei manchen Büchern ist es sofort klar, dass sie gerade nicht passen, bei anderen bin ich unschlüssig, stelle oder lege sie dann doch zurück und schaue weiter. Irgendwann kommen zwei, drei Titel in die engere Wahl, ein Favorit kristallisiert sich heraus – und die Entscheidung ist getroffen. Da es inzwischen sehr spät geworden war, wollte ich mich am nächsten Morgen endgültig für die nächste Lektüre entscheiden. Mit in die engere Wahl gekommen war der Roman »Baumgartner« von Paul Auster, das zuletzt erschienene Buch eines meiner Lieblingsautoren, dessen Werke einige Spuren in meiner Leserbiographie hinterlassen haben. Am nächsten Morgen dann verbreitete sich weltweit die Nachricht von Paul Austers Tod, er war 77jährig an einer schweren Krebserkrankung gestorben. Und »Baumgartner« ist zu seinem Abschiedsbuch geworden. „Das Abschiedsbuch“ weiterlesen

Das Ende des Davonlaufens

Salih Jamal: Das perfekte Grau

Wenn ich ein Buch aufschlage, dann schaue ich instinktiv, ob auch ein Bleistift in Reichweite liegt, mit dem ich die Stellen, die den Text für mich besonders machen, markieren kann. Beim Roman »Das perfekte Grau« von Salih Jamal allerdings hatte ich den Bleistift fast von Beginn an in der Hand und habe ihn über weite Strecken des Buches nicht mehr losgelassen. Gleich auf den ersten Seiten stieß ich auf eine Stelle, die mich schon innehalten ließ, bevor die Geschichte richtig gestartet war. „Das Ende des Davonlaufens“ weiterlesen

Mit dem Tod am Tresen

Thees Uhlmann: Sophia, der Tod und ich

Frankfurter Buchmesse 2015: Ich war gerade bei Kiepenheuer & Witsch in ein Gespräch vertieft, als ein Typ durch den Messestand gerauscht kam. Er war Anfang vierzig und schaffte es, gleichzeitig aufgedreht, müde, gut gelaunt und cool zu wirken. In alle Richtungen grüßend sagte er mehrmals »Guten Morgen, Verlag«, »Guten Morgen, Verlag« und verschwand durch eine Tür ins Messe-Kabuff, um nach einer Tasse Kaffee Ausschau zu halten. Alle lächelten. Das war Thees Uhlmann, Sänger der Hamburger Band »Tomte«. Auf der Buchmesse war er nicht als Musiker, sondern als Autor zu Gast, denn gerade war sein erster Roman »Sophia, der Tod und ich« erschienen. „Mit dem Tod am Tresen“ weiterlesen

Achtzig Jahre sind ein Buch

Robert Seethaler: Ein ganzes Leben

Andreas Egger lebt achtzig Jahre lang in einem Hochtal der österreichischen Alpen. Der Schriftsteller Robert Seethaler erzählt auf 155 Seiten seine Geschichte, »Ein ganzes Leben« ist der Titel dieses großartigen Buches. Ich hatte schon viel davon gehört, es lag auch schon längst bereit, aber ich wartete auf einen ruhigen Moment. Letztes Wochenende hatte ich eine sechsstündige Zugfahrt vor mir, das schien perfekt. Nach fünf Stunden war ich damit durch und die restlichen sechzig Minuten verbrachte ich damit, über das nachzudenken, was ich gerade gelesen hatte. „Achtzig Jahre sind ein Buch“ weiterlesen