Weit oben in den Bergen

Regina Denk: Die Schwarzgeherin

Als ich mir Gedanken darüber gemacht habe, wie ich die Vorstellung des Romans »Die Schwarzgeherin« von Regina Denk beginnen könnte, ist mir aufgefallen, dass hier im Blog inzwischen etliche Romane zusammengekommen sind, die weit oben in den Bergen spielen. Und es geht darin meist um Menschen, die in einer Umgebung, einer Landschaft überleben müssen, die keinen Fehler verzeiht. Oft um Einzelgänger, die versuchen, aus gesellschaftlichen Strukturen auszubrechen oder sich mit ihnen auseinanderzusetzen, ihnen vielleicht sogar Risse zuzufügen. Es sind festgefügte Regeln des Zusammenlebens, die sich über die Jahrhunderte geformt haben und die – bedingt durch die Einsamkeit und Lebensfeindlichkeit der Berge – noch undurchdringlicher sind als anderswo. Ein weiterer Gedanke: Vielleicht hat die Faszination für Bücher, deren Handlung im Gebirge angesiedelt ist, auch damit zu tun, dass ich in Sichtweite der Alpen aufgewachsen bin, wer weiß.

Menschen in Ausnahmesituationen, auf sich allein gestellt; Menschen die kämpfen müssen, um ihren eigenen Weg zu gehen – das ist eines der klassischen literarischen Themen, von denen ich nie genug bekomme. In den Bergen angesiedelt entsteht dabei eine Situation, in der es kein Ausweichen geben kann und in der alles auf ein Drama hinausläuft. Hinauslaufen muss. Und trotz der ähnlichen Rahmenbedingungen erzählt jeder dieser Romane seine Geschichte auf eine einzigartige Weise. So, dass man sie nicht wieder vergisst. »Die Schwarzgeherin« ist eines dieser Bücher. „Weit oben in den Bergen“ weiterlesen

Der letzte Ort

Andreas Moster: Wir leben hier, seit wir geboren sind

Ein Buch von gerade einmal 175 Seiten ist normalerweise in wenigen Stunden durchgelesen. Nicht so der Roman »Wir leben hier, seit wir geboren sind« von Andreas Moster. Für diesen schmalen Band habe ich vier Tage gebraucht, musste immer wieder innehalten, die gelesenen Sätze nachklingen lassen, konnte immer nur ein paar Seiten am Stück lesen, langsam und behutsam, um kein Wort zu überspringen. Denn es ist eine ganz besondere Sprache, die das Buch auszeichnet. Roh und zart, abweisend und einladend zugleich, archaisch und düster, durchsetzt mit hellen Flecken einer unbestimmten Hoffnung. Und jedes Wort sitzt perfekt an der Stelle, an der es stehen soll. „Der letzte Ort“ weiterlesen

Im Lawinenwinter

Das Buch "Der Schnee, das Feuer, die Schuld und der Tod" von Gerhard Jäger erzählt vom Lawinenwinter 1951

Das Buch »Der Schnee, das Feuer, die Schuld und der Tod« von Gerhard Jäger ist der Roman, der mich von allen Büchern in den letzten Monaten am meisten begeistert hat. Dabei wäre er beinahe an mir vorbeigegangen, wenn nicht Bloggerkollegin Mareike Fallwickl ihn als ihre nächste Lektüre angekündigt hätte, ich neugierig nachfragte, worauf Buchhändlerin Nina Merks meinte, ich würde das Buch lieben. Wir haben uns im realen Leben noch nie gesehen, trotzdem kennen wir unsere Lesevorlieben gegenseitig so gut, dass ich umgehend in eine der Buchhandlungen meines Vertrauens spaziert bin und das Buch gekauft habe. Und was soll ich sagen, sie hatte recht. Und wie. „Im Lawinenwinter“ weiterlesen

Tief in den Wäldern

Jocelyne Saucier: Ein Leben mehr und Castle Freeman: Männer mit Erfahrung

In diesem Beitrag geht es um zwei Bücher, die inhaltlich und stilistisch sehr verschieden sind. Doch sie haben ein verbindendes Element: Den Wald. Oder vielmehr den Wald als Rückzugsort von der Gesellschaft, als Versteck vor anderen Menschen, weitab von allem. Im zersiedelten und straßenzerschnittenen Mitteleuropa kann man sich solche Wälder nur schwerlich vorstellen, doch mit den Romanen »Ein Leben mehr« von Jocelyne Saucier und »Männer mit Erfahrung« von Castle Freeman lernen wir Waldgebiete ganz anderer Dimensionen kennen. Und Lebensentwürfe, die so bei uns kaum möglich sein dürften. „Tief in den Wäldern“ weiterlesen

Woodrell-Lesetag in Berlin

Daniel Woodrell: Winters Knochen

Eigentlich sollte dies ein Text über die Ozarks-Trilogie von Daniel Woodrell werden. »Der Tod von Sweet Mister« und »Winters Knochen« standen schon lange ungelesen im Regal, das Erscheinen der Neuübersetzung von »Tomatenrot« war der perfekte Anlass, alle drei Bände hintereinander zu lesen. Dabei wurde klar: Die Idee mit der Gesamtbesprechung wird nicht funktionieren. Zwar sind »Der Tod von Sweet Mister« und »Tomatenrot« beides lesenswerte Bücher; schon alleine durch Woodrells unnachahmliche Art die Trostlosigkeit gescheiterter Leben zu ästhetisieren.

Aber »Winters Knochen« ragt aus diesen drei Werken so hervor, ist ein so sprachgewaltiges Buch, ein so durch und durch gelungener und mitreißender Roman, dass es nun vor allem um ihn gehen wird. Zumal mich die Geschichte einen Tag lang in Berliner Cafés begleitet hat. Ein Kaffeehaus-Lesetag, so wie schon einmal mit einem Buch von ihm in Köln. „Woodrell-Lesetag in Berlin“ weiterlesen

Achtzig Jahre sind ein Buch

Robert Seethaler: Ein ganzes Leben

Andreas Egger lebt achtzig Jahre lang in einem Hochtal der österreichischen Alpen. Der Schriftsteller Robert Seethaler erzählt auf 155 Seiten seine Geschichte, »Ein ganzes Leben« ist der Titel dieses großartigen Buches. Ich hatte schon viel davon gehört, es lag auch schon längst bereit, aber ich wartete auf einen ruhigen Moment. Letztes Wochenende hatte ich eine sechsstündige Zugfahrt vor mir, das schien perfekt. Nach fünf Stunden war ich damit durch und die restlichen sechzig Minuten verbrachte ich damit, über das nachzudenken, was ich gerade gelesen hatte. „Achtzig Jahre sind ein Buch“ weiterlesen