Luft zum Atmen

Benedict Wells: Becks letzter Sommer

Eigentlich ist es mir unerklärlich, dass ich bisher »Becks letzter Sommer« von Benedict Wells nicht gelesen hatte; ist es doch ein Buch genau nach meinem Geschmack. Denn ich mag diese Geschichten über Typen, die durch ihr Leben stolpern, orientierungslos, hoffnungslos, auf der Suche nach irgendeinem Sinn. Aber irgendwie ging der Roman damals an mir vorbei, vielleicht auch einfach nur deshalb, weil mir das Titelbild auf dem Umschlag nicht gefallen hat. Und da wäre mir beinahe etwas entgangen – wenn nicht ein Buchhändler meines Vertrauens es mir empfohlen hätte. Da ich ihm schon viele gute Lesetipps verdanke, habe ich auch diesmal beherzt zugegriffen. Und was soll ich sagen? Ich bin begeistert. Nur das Titelbild gefällt mir immer noch nicht. „Luft zum Atmen“ weiterlesen

Arabischer Frühling querfeldein

Ece Temelkuran: Was nützt mir die Revolution, wenn ich nicht tanzen kann?

Die letzten Sommerferien meiner Schulzeit verbrachte ich zu großen Teilen in überfüllten Zügen. Per Interrail ging es durch Spanien und Marokko. Es war das Jahr 1988 und eine Reise voller Eindrücke, von denen manche bis heute präsent sind. An einen Moment erinnere ich mich noch besonders gut: Während der Zugfahrt nach Fès im östlichen Marokko fuhr ein alter, roter Mercedes neben uns her. Die Straße verlief eine ganze Weile parallel zur Bahnstrecke, weit und breit war nichts, keine Dörfer, kaum Vegetation, manchmal ein einsames Haus aus Lehmziegeln mit einigen Palmen drumherum und eben diese ungeteerte Straße und der Mercedes, in einer Staubwolke neben uns. In dem Auto saß eine ganze Familie und irgendwann bog die Straße ab, es war Abend und wurde rasch dunkel und der rote Mercedes verschwand in der staubigen Dämmerung. Aus irgendeinem Grund ist mir diese Szene im Kopf geblieben, damals dachte ich, was das wohl für Menschen sein mögen, wohin sie wollten, hier, inmitten des Nichts.

Dieses Bild eines Mercedes in einer Staubwolke hatte ich vor mir, während ich das Buch »Was nützt mir die Revolution, wenn ich nicht tanzen kann?« von Ece Temelkuran gelesen habe. „Arabischer Frühling querfeldein“ weiterlesen

Erst schießen, dann fragen

Bruce Holbert: Einsame Tiere

Den Wilden Westen betrachtet man gemeinhin als eine Epoche des 19. Jahrhunderts. Nach der Lektüre von Bruce Holberts »Einsame Tiere« weiß ich, dass dies nicht stimmt. Der Roman spielt zu Beginn der 1930er-Jahre im Okanogan County, einer abgelegenen Gegend nahe Kanada im US-Bundesstaat Washington. Auf den ersten Blick meint man, dass auch hier moderne Zeiten angebrochen sind, es gibt schließlich Elektrizität, Autos, Mähdrescher und Telefone. Aber es ist ein Grenzland. Und zwar gleich auf dreifache Weise. Die Grenze zwischen den USA und Kanada verläuft hier. Indianerreservation und Farmland der Weißen stoßen aneinander. Und die Vergangenheit des Wilden Westens grenzt an das 20. Jahrhundert. „Erst schießen, dann fragen“ weiterlesen

In Bewegung bleiben

Nic Pizzolatto: Galveston

»Du wirst geboren und vierzig Jahre später humpelst du aufgeschreckt von deinen Wehwehchen aus einer Bar. Niemand kennt dich. Du fährst über nachtschwarze Highways und erfindest ein Ziel, denn es kommt darauf an, in Bewegung zu bleiben. Deshalb steuerst du auf das Letzte zu, was du zu verlieren hast, ohne eine Ahnung, was du damit anfangen sollst.« Klingt ziemlich düster. Ist es auch. So wie es eben sein muss, denn Nic Pizzolatto hat mit »Galveston« einen ganz und gar großartigen Noir-Krimi geschrieben. „In Bewegung bleiben“ weiterlesen

Die Tramper-Zeit. Ein Textbaustein*

Jack Kerouac: Unterwegs

Früher bin ich viel getrampt, allein oder mit Freunden und auf diese Weise durch halb Europa gekommen. Schon damals, Anfang bis Mitte der Neunziger war das eine etwas aus der Mode gekommene Fortbewegungsmethode, heute sieht man sie fast gar nicht mehr, die rucksacktragenden Gestalten am Wegesrand, die den Autofahrern Daumen oder Schilder mit Ortsnamen entgegenrecken.

Meistens bin ich gut vorangekommen. „Die Tramper-Zeit. Ein Textbaustein*“ weiterlesen

Schrecksekunde mit Mario Vargas Llosa

Mario Vargas Llosa: Tod in den Anden

Einmal hat mich ein Buch, besser gesagt eine Textstelle in einem Buch, für einen kurzen Moment in Todesangst versetzt. Und das meine ich ganz wörtlich. Es handelt sich um den Roman »Tod in den Anden« von Mario Vargas Llosa, den ich 1996 gelesen habe. Zu Beginn der Handlung wird ein Überlandbus irgendwo in den peruanischen Anden von einer Einheit der maoistischen Terrrorgruppe Leuchtender Pfad angehalten. Es ist mitten in der Nacht, die beiden einzigen Touristen in dem Bus werden herausgezerrt und getötet. Diese extrem barbarisch geschilderte Szene hat sich tief in mein Bewusstsein eingegraben.

Vier Wochen später saß ich in einem Flugzeug auf dem Weg nach Peru. „Schrecksekunde mit Mario Vargas Llosa“ weiterlesen

Otl Aichers Wüstentrip

Otl Aicher: gehen in der wueste

Das Buch »gehen in der wüste« von Otl Aicher ist ein typographisches, photographisches und textliches Gesamtkunstwerk. Das verwundert nicht, schließlich war Otl Aicher einer der bedeutendsten Kommunikationsdesigner des 20. Jahrhunderts. Er hat das Erscheinungsbild Westdeutschlands entscheidend mitgeprägt und uns zahlreiche Piktogramme, Signets und Logos hinterlassen, die jeder kennt. Und dieses Buch. „Otl Aichers Wüstentrip“ weiterlesen

Kafkaesk in Prag

Kafkaesk in Prag

Anfang 1996 arbeitete ich als Buchhändler und verkaufte Reiseführer. Beim Auspacken einer Kiste mit Novitäten fiel mir ein schmales Buch in die Hände, das eines meiner intensivsten Leseerlebnisse überhaupt auslöste. Der Titel lautete »Cafés in Prag« und machmal gibt es Momente, in denen man ganz plötzlich eine Eingebung hat oder eine plötzliche Idee, oder ein Plan glasklar vor dem inneren Auge erscheint. Das war ein solcher Moment. Einen Monat später kaufte ich eine Zugfahrkarte nach Prag und machte mich auf den Weg. „Kafkaesk in Prag“ weiterlesen

Wilder Westen unplugged

Wolfgang Büscher: Hartland

Ab und zu blättere ich im Globetrotter-Magazin. Es ist faszinierend, was es alles an Outdoor-Produkten gibt und wie viele ach so überlebenswichtige Dinge man unbedingt zum Wandern benötigt. Theoretisch. Man kann aber auch einfach seinen alten, abgewetzten Rucksack packen, loslaufen und dann monatelang ein Land erkunden. So hat es Wolfgang Büscher in den USA gemacht und er berichtet in seinem Buch »Hartland« eindrucksvoll darüber. Er ist der Fußgänger unter den Reiseschriftstellern. Nachdem er von Berlin nach Moskau gelaufen ist, dann einmal Deutschland komplett an den Grenzen entlang umwandert hat, war der USA-Trip sein nächstes großes Projekt. „Wilder Westen unplugged“ weiterlesen

Südamerikanische Zeitreise

Christopher Isherwood: Kondor und Kühe

Seit vielen Jahren habe ich ein Faible für Südamerika, für Historisches und für gut geschriebene Reiseberichte. Umso neugieriger war ich auf das Buch »Kondor und Kühe« von Christopher Isherwood. Der angloamerikanische Schriftsteller brach im September 1947 zusammen mit dem Photographen William Caskey zu einer mehrmonatigen Reise auf. Sie führte ihn durch Venezuela, Kolumbien, Ecuador, Peru, Bolivien, Peru und Argentinien – quer über die Anden bis nach Buenos Aires. Herausgekommen ist dabei ein stilistisch brillant geschriebener Reisebericht, der erst jetzt, 2013, im wunderbaren Liebeskind Verlag auf deutsch erschienen ist. „Südamerikanische Zeitreise“ weiterlesen