Nach dem Lesen Hände waschen

Ottessa Moshfegh: Eileen

Eine junge Frau ist in Ottessa Moshfeghs Roman »Eileen« mit ihrem Leben in einer Sackgasse gelandet, finster, trostlos und ohne Hoffnung, umgeben von Schmutz und Verfall. Bis sich eines Tages die Möglichkeit für einen Neuanfang bietet – allerdings vollkommen anders, als sie es sich hätte vorstellen können.

Der Kaffeehaussitzer gehörte eine Zeitlang zum Blogger-Redaktionsteam des Magazins der Büchergilde Gutenberg. So ist dieser Beitrag über »Eileen« ursprünglich entstanden: Als Text, der neugierig auf das Buch machen, den Lesern des Magazins eine Buchempfehlung geben soll. Doch wie empfiehlt man einen Roman, in dem es um Selbstmitleid, Alkoholismus, Schmutz, Verwahrlosung und eine vollkommen verfahrene Lebenssituation geht? Will man sich das als Leser zumuten? Ich sage: Unbedingt!, denn es ist ein Buch, das ich nicht aus der Hand legen konnte. Eines, bei dem von Beginn an eine unterschwellige Spannung mitschwingt, das einen ganz eigenen Sog entwickelt und bei dem ich von Seite zu Seite neugieriger wurde, wie es wohl ausgehen würde. Nachdem mich bereits »McGlue«, der Debütroman der Autorin, sehr beeindruckt hatte, war ich umso gespannter auf ihr neues Werk – und wurde nicht enttäuscht.

Die Ich-Erzählerin Eileen Dunlop ist eine alte Frau, die uns mitnimmt in ihre Vergangenheit, ins Jahr 1964 in eine Kleinstadt in Neuengland, irgendwo am Atlantik gelegen. Es ist Dezember, ein kalter Monat mit viel Schnee. Eileen erzählt von ihrem Leben als 24-Jährige, die mit ihrem Vater zusammen in einem Haus wohnt. Die Trostlosigkeit, die aus jedem Satz spricht, ist überwältigend. Der Vater ist Alkoholiker, ein körperliches Wrack; das Haus gleicht einer Müllkippe. Berge von ungespültem Geschirr, Abfall, Schmutz und Staub überall, der Geruch von Schimmel, Gin und Urin – der Autorin Ottessa Moshfegh gelingt es, den Verfall so plastisch zu schildern, dass man sich als Leser nach jedem Umblättern beinahe die Hände waschen oder die Schmutzschicht von den Buchseiten pusten möchte.

Eileen hasst sich selbst, hasst ihren Vater, der sie fortwährend im Alkoholrausch beleidigt, hasst ihr Leben und hasst ihren Job als Justizangestellte einer Jugendstrafanstalt. Dürr, ungepflegt und unscheinbar ist sie am liebsten für die Außenwelt unsichtbar. Unsichtbar für die Nachbarn, die um sie herum eine scheinbare Kleinstadtidylle verkörpern, zu der sie nicht gehört, nie gehört hat, nie gehören wird. Und die sie natürlich ebenfalls hasst. Eileens Wunsch, aus all dem herauszukommen, alles hinter sich zu lassen und irgendwo anders neu anzufangen ist übermächtig – und gleichzeitig weiß sie, dass es nur ein Wunsch bleiben wird.

Bis zu jenem Tag ein, zwei Wochen vor Weihnachten, als eine neue Kollegin in der Jugendstrafanstalt zu arbeiten beginnt, Rebecca, die in allem das Gegenteil von Eileen ist: schön, selbstsicher und elegant. Das Wunder geschieht: Rebecca interessiert sich für Eileen, die beiden freunden sich miteinander an. Doch ist das alles echt? Ist da nicht eine Spur Düsternis, die Ahnung eines perfiden Spiels, die man vage wahrzunehmen glaubt? Dann beginnen die Ereignisse, aus dem Ruder zu laufen.

Von Anfang an ist klar, dass Eileen aus ihrer Sackgasse herausgekommen ist und tatsächlich einen Neuanfang geschafft hat. Die Eileen der Gegenwart, die erzählende Seniorin, macht kein Hehl daraus und streut zahlreiche Andeutungen in den Text ein. Andeutungen, mit denen die Handlung vorangetrieben wird, die den Leser mitfiebern lassen. Es ist nicht einfach, einen emotionalen Zugang zu der schmuddeligen, in Selbstmitleid versinkenden 24-jährigen Frau zu finden. Gleichzeitig liest man weiter und weiter und möchte es unbedingt wissen: Was war der Preis für ihr Entkommen? Und gab es jemanden, der ihn bezahlen musste?

Ottessa Moshfegh baut in ihrem Roman einen Spannungsbogen auf, der nie abreißt. Mit der mitreißend-saloppen Sprache der Ich-Erzählerin schafft sie bei aller geschilderten Düsternis ein Leseerlebnis, das noch lange nachhallt.

Buchinformation
Ottessa Moshfegh, Eileen
Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger
Liebeskind Verlag
ISBN 978-3-95438-081-7

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8 Antworten auf „Nach dem Lesen Hände waschen“

  1. Das Buch klingt wirklich toll! Ich habe vor kurzem auch ein Buch mit einer unschönen Geschichte gelesen; diverse töne rot – kennst Du dieses Buch? Es geht nicht um Alkoholmissbrauch sondern um die Krankheit Borderline und ist von Sanny Regen. Eine sehr sympathische Autorin!
    Dein Blog ist echt klasse, bin gerade hier angekommen, aber bleibe noch :D
    Liebste Grüsse
    Janine von https://www.vivarubia.ch/

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