Auch über ein Jahrhundert später umgibt die Texte von Franz Kafka eine Aura von geheimnisvoller Eleganz. Sie stammen aus der Feder eines Menschen, für den das Schreiben alles bedeutete, der sich über die Literatur definierte und allen Widrigkeiten zum Trotz jene Texte schuf, die uns heute noch faszinieren. Dabei war er kein einzelgängerischer Außenseiter. Denn auch wenn er zu seiner Familie ein gespaltenes, zu seinem Vater ein zerrüttetes Verhältnis hatte und es ihm schwerfiel, sich anderen Menschen gegenüber zu öffnen oder Beziehungen einzugehen, so war er gleichzeitig fest eingebunden im intellektuellen Leben Prags, hatte Freunde und Bekannte, verbrachte gerne Zeit in Kaffeehäusern und Buchhandlungen, diskutierte leidenschaftlich über Literatur und die Themen der Zeit. Wie haben all diese äußeren Einflüsse sein Schaffen geprägt? Und ist es möglich, Spuren davon in seinen Texten zu finden? Diesen Fragen geht der Literaturwissenschaftler Andreas Kilcher in seinem Buch »Kafkas Werkstatt« nach und nimmt uns mit auf eine Reise in eine Zeit voller Umbrüche und neuer Gedanken. „Ein Sohn seiner Zeit“ weiterlesen
Flaneur der Dämmerung
»Prag lässt nicht los. Dieses Mütterchen hat Krallen.« Diese häufig zitierten Sätze schrieb Franz Kafka als Neunzehnjähriger, es sind klarsichtige Worte eines jungen Mannes, der den Großteil seines viel zu kurzen Lebens in dieser Stadt verbringen wird. Sie ist sein Geburtsort, der Platz seiner Familie, von der er sich durch die dominante Präsenz seines Vaters nie wirklich lösen kann. Und so wird Prag sein gesamtes Schaffen prägen; die prachtvollen Plätze und düsteren Gassen, die erleuchteten Kaffeehäuser und dunklen Hinterhöfe, die Nebelschwaden, die aus der Moldau aufsteigen, eine mystische, unterschwellig bedrohliche Stimmung, die nachts in den leeren Straßen liegt, das Morbide einer jahrhundertealten Stadt – all das finden wir in Kafkas Werk wieder. »Das Charakteristische der Stadt ist ihre Leere« – eine Notiz aus seinem Nachlass. Heute, ein Jahrhundert nach seinem Tod, kommt einem dieser Satz surreal vor angesichts der Touristenmassen, die sich tagein, tagaus durch die Stadt an der Moldau schieben und sie schon längst zu einer Kulisse degradiert haben. Oder doch nicht? Hat Kafkas Prag im Verborgenen überlebt? Gibt es sie noch, jene Atmosphäre, die sein Leben prägte? Der Photograph Helmut Schlaiß hat sich auf eine Spurensuche begeben – und herausgekommen ist ein prachtvoller Bildband mit dem Titel »Kafkas Kosmos«. „Flaneur der Dämmerung“ weiterlesen
Romanhelden in der Matrix
»Himmel über London« von Håkan Nesser ist eines der irritierendsten Bücher, das ich in letzter Zeit gelesen habe. Und eines der faszinierendsten. Eigentlich hatte ich Lust auf einen Krimi und gedacht, dass ich da mit dem neuen Nesser nichts falsch machen kann. Nur dass »Himmel über London« gar kein Krimi ist. Aber allein die Sprache hat mich gleich in ihren Bann gezogen, die Handlung versprach konfliktreich und spannend zu werden, es ging um ein Geheimnis, eine Reise in die Vergangenheit. Und dann wurde alles ganz anders. So richtig anders. „Romanhelden in der Matrix“ weiterlesen
Kafkaesk in Prag
Anfang 1996 arbeitete ich als Buchhändler und verkaufte Reiseführer. Beim Auspacken einer Kiste mit Novitäten fiel mir ein schmales Buch in die Hände, das eines meiner intensivsten Leseerlebnisse überhaupt auslöste. Der Titel lautete »Cafés in Prag« und machmal gibt es Momente, in denen man ganz plötzlich eine Eingebung hat oder eine plötzliche Idee, oder ein Plan glasklar vor dem inneren Auge erscheint. Das war ein solcher Moment. Einen Monat später kaufte ich eine Zugfahrkarte nach Prag und machte mich auf den Weg. „Kafkaesk in Prag“ weiterlesen